VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Julius Bab, Seite 13

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Panphlets „fprints
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großstädtischen Mörder für einen Augenblick die „Seele“ frei¬
mann so oft und falsch nachgesagt hat, besitzt der Dichter der
zumachen — die durch kein äußeres Schicksal zu verwirkende
M’eber nicht. Ihm kommt es immer nur darauf an, unter dem
Fähigkeit des Menschen sich liebend, fühlend, ahnend über die
größten äußeren Druck die letzte seelische Freiheit des Einzelnen
eigene sinnliche Existenz zu erheben. — Weil er aber so an die
zu zeigen, die untilgbar ist: „ein jeder Mensch hat halt a Sehn¬
Zauberkraft der Seele glaubt, die er noch zum Ziele seiner
sucht.“
dunkelsten Tragödien macht, so ist es kein Widerspruch, sondern
Wie in Hannele aus dem Todeskampf des armen, elenden
eine einfache Konsequenz seiner innersten Natur, daß dieser
Dorfkindes der Traum aufsteigt, in dem die Seele göttlich frei
Naturalist zugleich ein Märchendichter ist. Daß er zuweilen
zum Himmel fährt, so bricht aus dem Dunkel Hauptmannscher
phantastische Idyllen schafft, in denen nicht aus blutigen Kämpfen,
Milieudarstellung immer wieder jener Strom göttlichen Lichts,
sondern in leichtem göttlichen Spiel die erdüberwindende Seele
um dessentwillen dieser Dichter im Grunde allein schafft. Das
triumphierend erhebt. „Hannele“, in dem aus der Milieutragödie
Gôttliche dieser letzten Seelenmacht beweist sich eben darin,
unmittelbar das Märchenspiel erwächst, ist recht der Schlüssel
daß sie nicht vertilgbar ist durch alle die Außenmächte, die in
seines Gesamtwerkes. Ein Wunderglauben, der Glaube an den
den Menschen hineinwirken, und daß alle diese Geschöpfe, vom
heiligen, aller irdischen Bindung spottenden Geist, durchzieht
Fuhrmann Henschel bis zum Maler Gabriel Schilling lieber den
jedes Haupmannsche Drama.
Tod des Leibes wählen, ehe sie die Reinheit dessen, was sie
Freilich, wenn Hauptmanns künstlerische Orginalität darin
als das Wichtigste in sich empfinden, preisgeben. So geht schon
besteht, daß er in einem vorher nicht gekannten Grade, diesem,
Florian Geyer in den Tod, weil er nach einer göttlichen keiner
nicht in menschlicher Handlung zentralisierten, Weltbild echt
irdischen Sache mehr dienen will. Das Walten dieser erdüber¬
dramatischen Ausdruck schaffen konnte, indem er die außer¬
windenden seelischen Macht aber kündet sich in Hauptmanns
menschlichen Gewalten doch im Menschen selber sichtbar zu
dramatischer Sprache an durch einen heimlichen Vers, eine
machen verstand — ein letzter Widerspruch zwischen der Haupt¬
innerliche Musik, die sehr bald alle Naturalismen dieser Sprache
mannschen Stiltendenz und dem eigentlichen Willen der dra¬
durchzieht. Spätestens von „Kollege Krampton“ an ist dieser
matischen Form muß fühlbar bleiben. Denn das Drama will
Vers in Hauptmanns Dramen so deutlich, daß man ihn leicht
nicht nur den in seiner Sprache lebendig bewegten Meuschen,
metrisch nachzeichnen kann. Und es nimmt nicht Wunder, wenn
es will auch die in antithetischer Sprache gegeneinander ge¬
man dann sicht, daß sein trochäischer Fall bei größerer Beweg¬
stellten Menschen, es will den Kampf, die Handlung. Hauptmann
lichkeit doch die stärkste musikalische Verwandtschaft mit dem
aber hat selbst bekannt, daß ihn „nicht Konflikte, sondern Si¬
Vers des Calderon hat — des großen Spaniers, der schon ein¬
tuationen“ reizen. Der Kampf der Menschen miteinander ist für
mal ein Drama von christlichem Grundklang versuchte.
ihn niemals letztes Symbol des Weltgeschehens, es kommt ihm
Und auf den Wellen dieser Musik wird nun Hauptmanns
darauf an, was mit den Menschen geschieht, was sie von höherer
Kunst getragen zu der Gestaltung jener Augenblicke, in denen
Macht erleiden. Und daher schreibt sich denn das passivische,
ihm nun aus dem unfreien Menschendasein untilgbar frei die
das handlungsarme, das in einem letzten Sinn „undramatische“,
göttliche Seele aufleuchtet. In dem Feuer des Todes oder der
was man doch mit Recht der Hauptmannschen Form des Dramas
Liebe glüht sich die menschliche Seele rein und zeigt ihren
nachgesagt hat. Fast überall, wo Hauptmann versucht hat, wirk¬
wahren ihren ewigen Gehalt. Die Größe Hauptmanns, das was ihn
lich aktive, heldische Menschen in den Mittelpunkt seiner Dramen
so haushoch über viele zeitgenössische, sehr subtile Schilderer des
zu stellen (die Weber und auch der Florian Geyer sind ja im
blos nervösen, unfreien Menschentums erhebt, ist seine geniale
Grunde nur erleidende), hat er Schiffbruch gelitten; der forciert
Spürkraft für Seelen, seine Fähigkeit durch irgend eine Wendung
heroische Literat Loth in dem Erstlingswerk, der nervös schwäch¬
noch in den Letzten und Geringsten, in dem fast verblödeten
liche Revolutionär Vockerat in den Einsamen Menschen, der
Korbflechter, wie in dem mißgeschaffenen Maler und selbst im


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