VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Julius Bab, Seite 14

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durchaus epigonische und rhetorische Glockengießer Heinrich,
licher ist. Was um die 19. Jahrhundertwende als Neuromantik
sie zeigen, was dieser Dichter nicht vermag. Und wo die kind¬
in den Vordergrund trat, das war gegenüber dem „Naturalismus“
lich heidnischen Elemente, die zuweilen unterirdisch durch sein
Hauptmannschen Stils nur ein Wechsel des stofflichen und sprach¬
Werk zucken, nach dramatischer Gestalt verlangen, wie in den
lichen Kostüms, kein Wechsel der Gesinnung, der eigentlichen
außerseelischen Nixenwesen Rautändelein oder der Gersuind, da
Weltanschauung. Jenes Gefühl von der Abhängigkeit, der Un¬
verliert sich dieser große Künstler ins dilettantisch Zurecht¬
freiheit, dem leidenden Zustand des Menschen, das der Natura¬
gemachte, absichtsvoll Deutliche, Leblose. Es ist freilich wahr,
lismus an Stoffen der Gegenwart mit einem bitteren, anklagenden
daß hin und wieder in Hauptmanns letzten Arbeiten, zumal in
Ton zum Ausdruck gebracht hatte, brachte ein schwächeres und
dem schönen Märchenspiel Griseldis, sich ein neuer Ton von
sinnlich anspruchsvolleres Geschlecht weich und wehklagend in
mehr weltlicher Lebenskraft zu befreien scheint. Aber dies sind
mythisch märchenhaften Stoffen zum Ausdruck. Ein Stellungs¬
bestenfalls Anfänge eines Hauptmann, den wir noch nicht kennen.
wechsel den entscheidenden Lebensmächten gegenüber, und damit
Der Dramatiker, der uns bisher etwas bedeutet, ließ sein Werk
eine von Grund aus neue Kunst war nicht gegeben. Und so ist
mit Notwendigkeit in den Christusroman Emanuel Quint ein¬
es verständlich, daß die „Naturalisten“ Hauptmann und Schnitzler
münden. Aber gerade wegen dieses Gegensatzes der im Kern
genau so gut wie Maeterlinck und Hofmannsthal auch in die
aktiven dramatischen Form und seines passiven Weltgefühls, ist
Geschichte der neuen Romantik gehören. — Wenn von dem
dem Gerhart Hauptmann die stilistisch größte Leistung der künst¬
deutschen Stimmführer der sogenannten Neuromantik von dem
lerischen deutschen Gegenwart gelungen: Er hat bis zu einem
Wiener Hugo von Hofmannsthal nun in unserem Zusammen¬
größt möglichen Grade die dramatische Form einer christlichen
hang doch ausführlich gesprochen werden muß, so hat das seinen
Weltansicht dienstbar gemacht, oder von innen gesehen: er hat
Grund darin, daß sein Weltgefühl, die Art seines Fatalismus
aus einem leidenschaftlichen Gefühl für Menschen einen über¬
doch eine wesentlich andere und radikalere ist, als die Gerhart
menschlichen Glauben zu entwickeln vermocht.
Hauptmanns.
Wir wollen hier nur die großen, die seelisch aufschlu߬
Löst Gerhart Hauptmann von der menschlichen Existenz
reichsten Stiltendenzen des gegenwärtigen Dramas betrachten,
die große Masse der äußeren, unserm Willen entrückten Mächte,
und die zahlreichen kleinen Mitstrebenden Hauptmanns, bei denen
um den göttlichen Seelenkern, der ihm gewiß ist, desto heller
sich ähnliches aber schwächeres und unklareres Weltgefühl zu
erstrahlen zu lassen, so löst sich für Hofmannsthal die ganze
dilettantisch verdünnten oder theatralisch verdickten Produktionen
menschliche Existenz kernlos in ein Gewebe äußerer Gewalten
formte, brauchen wir nicht zu betrachten. Auch der interessan¬
auf — der Mensch wird nur zu dem rätselhaft bewußten Durch¬
teste Fall dieser Art, der des Wieners Arthur Schnitzler, dem
gangspunkt fremder Mächte. In Hofmannsthals, weniger vom
sich Hauptmanns Glauben zu einer melancholischen Sehnsucht,
elementaren Leben als von der Kultur genährten und deshalb
Hauptmanns tragisches Leiden in eine weltmännische Skepsis
immerfort poetische Reminiszenzen treu und doch selbständig
umsetzt, und der in den klugen, lyrisch getönten Dialogen eines
verarbeitenden, Sinne lebt das Immermannsche Wort: „Wir sind
fast französischen Gesellschaftsstücks seinen am meisten charak¬
nicht mehr als ein Taubenschlag“ auf, und Shakespeares melan¬
teristischen Ausdruck findet, auch Schnitzler gibt nichts so ele¬
cholische Weisheit aus dem „Sturm“: „Wir sind von solchem Zeug
mentar neues, daß wir länger bei ihm verweilen müßten. In¬
wie das zu träumen.“ Es ist Hofmannsthals große künstlerische
dessen beweist er mit seinen zahlreichen, phantastischen und gro¬
Leistung, dieses Gefühl bangster menschlicher Unsicherheit in
tesken Versuchen, was der Märchendichter Hauptmann uns ja schon
Verse von so ansteckend melancholischem Klang, von so angst¬
deutlich genug beweisen konnte, noch einmal: daß der Unterschied
voll tastender Weite gebannt zu haben, daß sich niemand ihrem
zwischen der „neuromantischen“ und der naturalistischen Epoche,
erschreckenden Erlebnis entziehen kann. Aber nun erhebt sich
den man seinerzeit zu machen liebte, ein ganz und gar unwesent¬
die Frage, wo in aller Welt gibt es von diesem lyrisch voll¬
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