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verzehren muß, so glücklich als Symbol des dichterischen Willens,
der der tötlichen analytischen Betrachtung in eine Welt des Ent¬
schlusses und der Tat entlaufen möchte, daß eine starke, balladen¬
artige Wirkung nicht ausbleiben kann. Das Wesen der Balladen¬
wirkung aber ist es, aus einer starken menschlichen Handlung
einen einheitlich lyrischen Stimmungston statt eines dramatischen
Zweiklangs zu bilden. Und über diese Zwischenstufe zwischen
dem lyrischen und dem dramatischen Gedicht, über die Balladen¬
wirkung, ist im Grunde Hofmannsthal nicht hinausgekommen —
denn es gelingt ihm, sich für den aktiven, den wollenden Men¬
schen zu begeistern, aber nicht ihn ganz zu erfüllen, ihn darzu¬
stellen. Er gibt die Stimmung einer Handlung, nicht die Hand¬
lung selbst. Dies wird dann in seinen folgenden dramatischen
Versuchen, die nicht über einem so glücklich konzentrierten Bal¬
ladenmotiv wie die Elektra komponiert sind, hemmend bemerk¬
bar: lyrische Stimmungsmalerei überwuchert und erdrückt den
dramatischen Dialog; nur hin und wieder gewinnen ein paar
balladeske Situationen anschauliche Kraft. In der Wendung, die
das Stoffliche dieser Dramen fast unbewußt nimmt, symbolisiert
sich Hofmannsthals nur sehnsüchtiges Verhältnis zur Welt der Tat
und des Willens aufs merkwürdigste: Im „geretteten Venedig“
soll die verhängnisvolle Freundschaft eines Tapferen und eines
aus übermäßiger Sensibilität Feigen das Hauptmotiv abgeben.
In Odipas und die Sphina wird Odipus, der ahnenlos nur „in
seinen Taten wohnen“ will, mit Creon, dem das Ubermaß der
Erkenntnis die Möglichkeit zum Handeln genommen hat und in
dessen Mund Hebbels Wort „man kann sich auch mit Taten
schminken“ auflebt, kontrastiert. Aber in jedem Fall überwiegt
in des Dichters Anteil und Darstellungsfähigkeit das Element
des Tatunfähigen, bedenkenvoll Gelähmten so sehr, daß auch
für unser Gefühl wieder der alte Hofmannsthalsche Thor mit
seinen tragischen Monologen das Stück beherrscht. Und in seinen
folgenden Bühnenarbeiten, die sich mit immer krampfhafterer
Bemühung dem leichten, in sinnlicher Kraft entfalteten Leben
zuwenden, wird der Effekt immer mehr ein spielerischer, äußer¬
licher; ohne rechte eigene Tragkraft, nur noch als allgemeine
Stimmungsauslösungen wirksam, werden diese Kompositionen von
selbst zu bloßen szenischen und musikalischen Partituren, werden
mit Grund zu Operntexten. (Von denen erst wieder die Ariadne
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auf Nawos eine dichterische, freilich ganz undramatische Schön¬
heit und ernsten Sinn zeigt.) Die minderen Talente aber, die
in großer Zahl den Spuren Hofmannsthals folgten (Vollmöller und
Ernst Hardt sind durch ihre Erfolge hier am bekanntesten ge¬
worden), kommen zu einem bunten, aller inneren Notwendigkeit
barem Theaterstück, dem sie mit dem Sprachstil von Hofmanns¬
thals melancholischer Lyrik ein literarisches Air zu geben suchen.
In Wahrheit aber gelangen sie auf diesem Umweg ganz zu jenem
epigonischen, aus der literarischen Einfühlung gewachsenen, von
keiner inneren Not gerechtfertigten Kostümspiel, von denen sich
wenige Jahrzehnte zuvor unsere literarische Jugend so stürmisch
— Mußte selbst Gerhart Hauptmanns Stil,
losgerissen hatte.
der aus der Liebe zum Menschen, aber nur zum passiven Men¬
schen erwuchs, eine fühlbare Kluft zwischen sich und der eigent¬
lichen Anforderung des Dramas lassen, so kann vollends keine
stilistische Anspannung die Unmöglichkeit verdecken, aus Hof¬
mannsthals skeptischen, ja fast nihilistischen Verhältnisse zum
Menschen heraus ein Drama zu dichten. Der Weg ist hier so weit,
daß die seelische Kraft allmählich erlahmt und ein bloßes Spiel
an die Stelle tritt. Wie indessen von dem Hauptmannschen Drama
eine neue Kunst transparenter Menschendarstellung, so wird als
ein bescheidenerer aber nic ganz zu verachtender Gewinn vom
Hofmannsthalschen Vers dies neue Pathos des staunenden, er¬
schreckten und verwirrten Menschen in der Entwicklungsgeschichte
des Dramas bleiben.
Haben wir bisher in zwei wesentlichen Typen die Drama¬
tiker betrachtet, denen jener naturalistische Aufschwung, mit dem
die Geschichte der gegenwärtigen Kunst beginnt, im wesentlichen
die Auslieferung des Menschen an die Natur bedeutete, so ist
nun von denen zu reden, die die Wogen der neuen Zeit zu einem
Gefühl von Naturherrschaft, von der Kraft und vom Recht der
menschlichen Individualität trugen. Es ist ohne weiteres klar,
daß von solcher Empfindung ein unmittelbarer und gerader Weg
zum Drama gegeben ist, den ein großer Dichter wie Hauptmann,
ein feiner Künstler wie Hofmannsthal nicht besitzen. In der Tat,
wenn man das Erstlingswerk Frank Wedekinds ansieht, wenn
man einzelne Szenen von Frühlings-Ertachen auf sich wirken
läßt, so atmet man reinere dramatische Luft, als in irgend einem
anderen Werk der letzten deutschen Epoche. Hier ist alles
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verzehren muß, so glücklich als Symbol des dichterischen Willens,
der der tötlichen analytischen Betrachtung in eine Welt des Ent¬
schlusses und der Tat entlaufen möchte, daß eine starke, balladen¬
artige Wirkung nicht ausbleiben kann. Das Wesen der Balladen¬
wirkung aber ist es, aus einer starken menschlichen Handlung
einen einheitlich lyrischen Stimmungston statt eines dramatischen
Zweiklangs zu bilden. Und über diese Zwischenstufe zwischen
dem lyrischen und dem dramatischen Gedicht, über die Balladen¬
wirkung, ist im Grunde Hofmannsthal nicht hinausgekommen —
denn es gelingt ihm, sich für den aktiven, den wollenden Men¬
schen zu begeistern, aber nicht ihn ganz zu erfüllen, ihn darzu¬
stellen. Er gibt die Stimmung einer Handlung, nicht die Hand¬
lung selbst. Dies wird dann in seinen folgenden dramatischen
Versuchen, die nicht über einem so glücklich konzentrierten Bal¬
ladenmotiv wie die Elektra komponiert sind, hemmend bemerk¬
bar: lyrische Stimmungsmalerei überwuchert und erdrückt den
dramatischen Dialog; nur hin und wieder gewinnen ein paar
balladeske Situationen anschauliche Kraft. In der Wendung, die
das Stoffliche dieser Dramen fast unbewußt nimmt, symbolisiert
sich Hofmannsthals nur sehnsüchtiges Verhältnis zur Welt der Tat
und des Willens aufs merkwürdigste: Im „geretteten Venedig“
soll die verhängnisvolle Freundschaft eines Tapferen und eines
aus übermäßiger Sensibilität Feigen das Hauptmotiv abgeben.
In Odipas und die Sphina wird Odipus, der ahnenlos nur „in
seinen Taten wohnen“ will, mit Creon, dem das Ubermaß der
Erkenntnis die Möglichkeit zum Handeln genommen hat und in
dessen Mund Hebbels Wort „man kann sich auch mit Taten
schminken“ auflebt, kontrastiert. Aber in jedem Fall überwiegt
in des Dichters Anteil und Darstellungsfähigkeit das Element
des Tatunfähigen, bedenkenvoll Gelähmten so sehr, daß auch
für unser Gefühl wieder der alte Hofmannsthalsche Thor mit
seinen tragischen Monologen das Stück beherrscht. Und in seinen
folgenden Bühnenarbeiten, die sich mit immer krampfhafterer
Bemühung dem leichten, in sinnlicher Kraft entfalteten Leben
zuwenden, wird der Effekt immer mehr ein spielerischer, äußer¬
licher; ohne rechte eigene Tragkraft, nur noch als allgemeine
Stimmungsauslösungen wirksam, werden diese Kompositionen von
selbst zu bloßen szenischen und musikalischen Partituren, werden
mit Grund zu Operntexten. (Von denen erst wieder die Ariadne
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auf Nawos eine dichterische, freilich ganz undramatische Schön¬
heit und ernsten Sinn zeigt.) Die minderen Talente aber, die
in großer Zahl den Spuren Hofmannsthals folgten (Vollmöller und
Ernst Hardt sind durch ihre Erfolge hier am bekanntesten ge¬
worden), kommen zu einem bunten, aller inneren Notwendigkeit
barem Theaterstück, dem sie mit dem Sprachstil von Hofmanns¬
thals melancholischer Lyrik ein literarisches Air zu geben suchen.
In Wahrheit aber gelangen sie auf diesem Umweg ganz zu jenem
epigonischen, aus der literarischen Einfühlung gewachsenen, von
keiner inneren Not gerechtfertigten Kostümspiel, von denen sich
wenige Jahrzehnte zuvor unsere literarische Jugend so stürmisch
— Mußte selbst Gerhart Hauptmanns Stil,
losgerissen hatte.
der aus der Liebe zum Menschen, aber nur zum passiven Men¬
schen erwuchs, eine fühlbare Kluft zwischen sich und der eigent¬
lichen Anforderung des Dramas lassen, so kann vollends keine
stilistische Anspannung die Unmöglichkeit verdecken, aus Hof¬
mannsthals skeptischen, ja fast nihilistischen Verhältnisse zum
Menschen heraus ein Drama zu dichten. Der Weg ist hier so weit,
daß die seelische Kraft allmählich erlahmt und ein bloßes Spiel
an die Stelle tritt. Wie indessen von dem Hauptmannschen Drama
eine neue Kunst transparenter Menschendarstellung, so wird als
ein bescheidenerer aber nic ganz zu verachtender Gewinn vom
Hofmannsthalschen Vers dies neue Pathos des staunenden, er¬
schreckten und verwirrten Menschen in der Entwicklungsgeschichte
des Dramas bleiben.
Haben wir bisher in zwei wesentlichen Typen die Drama¬
tiker betrachtet, denen jener naturalistische Aufschwung, mit dem
die Geschichte der gegenwärtigen Kunst beginnt, im wesentlichen
die Auslieferung des Menschen an die Natur bedeutete, so ist
nun von denen zu reden, die die Wogen der neuen Zeit zu einem
Gefühl von Naturherrschaft, von der Kraft und vom Recht der
menschlichen Individualität trugen. Es ist ohne weiteres klar,
daß von solcher Empfindung ein unmittelbarer und gerader Weg
zum Drama gegeben ist, den ein großer Dichter wie Hauptmann,
ein feiner Künstler wie Hofmannsthal nicht besitzen. In der Tat,
wenn man das Erstlingswerk Frank Wedekinds ansieht, wenn
man einzelne Szenen von Frühlings-Ertachen auf sich wirken
läßt, so atmet man reinere dramatische Luft, als in irgend einem
anderen Werk der letzten deutschen Epoche. Hier ist alles
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