VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Julius Bab, Seite 18

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der mit schwärmerischer Liebesfülle, mit entzückter Leidenschaft
hunderterlei Dinge dieser Welt anzuschauen vermag, und der
deshalb im einzelnen immer Schönes und Lebensvolles bieten
wird. Jenen geistigen Uberblick aber über das Ganze, dessen
der Dramatiker bedarf, besitzt dieser ungeduldig hitzige Nach¬
fahre der Romantik ebensowenig wie Frank Wedekind. Sein Ideal
ist nicht ein so grandios borniertes wie das des Frank Wedekind,
nicht nur die sinnliche Qualität ist es, die Eulenbergs Held entfalten
soll. Eine etwas unklare Vorstellung vom idealen Menschen, der
alle seelische Feinheit und alle physische Brutalität auf einmal
besitzt, liegt der Eulenbergschen Hauptgestalt zugrunde. Aber
immer lebt bei ihm die gleiche und nur die eine Gestalt: als
Walewski, als Ulrich von Waldeck, als Münchhausen oder als
Blaubart — die Gestalt, die er am treffendsten mit dem (später
in Der natürliche Vater veränderten) Titel einer Komödie: Der
wilde Mann, genannt hat. Der wilde Mann, der im Zorn seiner
großen Seele gegen die dumme, blöde, gemeine Welt anrennt
die Eulenberg ebenso gern, wenn auch nicht immer so
schneidend scharf wie Wedekind in Karikaturen zeichnet. Der
Wilde ist auf jeden Fall der bessere Mensch und hat allein
recht. — Der Mangel eines Gefühls für den Sinn der ordnenden,
der Kraft verteilenden Mächte machten Eulenbergs Werke im
letzten Grunde wieder monologisch, undramatisch, lyrisch. Da
er nicht von einer so scharf pointierten Uberzeugung wie Wede¬
kind ausgcht, ist sein Stil nicht so bös witzig, so fanatisch ein¬
bohrend, aber in seiner Entartung auch nicht so papieren agi¬
tatorisch wie der Wedekinds. Sein mehr weicher und reicher
lyrischer Ton droht aber regelmäßig im Bramabarsieren, in Ge¬
fühlsrenommisterei zu endigen. Eulenberg sieht dem Shakespeare
die Maßlosigkeit der einzelnen Außerungen ab, und begreift nicht,
daß die bei dem größten Dramatiker nur deshalb ein Kunst¬
mittel sind, weil sie durch entgegengestellte Außerungen von eben¬
bürtiger Intentität im Gleichgewicht gehalten wird. Bei Eulenberg
wird der Schein der Wahrheit immer wieder zerrissen, weil der
Dichter so parteiisch, wie nur ein Lyriker es sein darf, mit
allen seinen Gefühlen auf die Seite des starken Mannes tritt, der
sich gegen eine fratzenhaft blöde Welt vergeblich abmüht. Auf
diese Weise entstehen wiederum rein balladeske Wirkungen —
wir bringen es höchstens zu einem direkten Gefühl für den
—.—
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Dichter, der durch diese Handlung unmittelbar zu uns spricht,
nicht für die handelnden Menschen, deren gleichlebendiges Dasein
uns das Gefühl eines überpersönlichen, weltgroßen Dichtergeistes
vermitteln sollte.
Was Naturen wie Wedekind und Eulenberg im Grunde
gemein haben, und was sie beide vom geistigen Wesen des
Dramas trennt, das ist, sie sind Romantiker — Romantiker im
formalen Sinne des Wortes. Menschen, die einen feindlichen
Standpunkt dem realen Wesen der Welt gegenüber eingenommen
haben. Menschen, die deshalb nicht das Leben in jeder seiner
Außerungen als notwendig, sondern abwechselnd als herrlich
schön und niederträchtig schlecht empfinden. Ob man diesem
Leben, in dem Geist und Stoff unlösbar geeint sind, mit einem
rein sinnlichen oder rein seelischen Anspruch gegenübertritt,
das ist fast gleichgültig gegenüber der Tatsache, daß in jedem
Fall das Verhältnis problematisch, und daß deshalb statt
Genuß und Schaffen Sehnsucht und Zerstören seine Folge ist.
Daß ein so unerhört radikaler Materialist wie Frank Wedekind
noch einmal im asketischen Katholizismus endet, halte ich für
keineswegs ausgeschlossen. Hier berühren sich die Extreme.
Extreme Naturen aber können im Grunde nur Propheten oder
Lyriker sein; das Wesen des Dramas erschließt sich allein der
Weisheit der Gerechten — denen, die in körperhaften Wesen Träger
des Geistes fühlen, und die im Prozeß der Geschichte so wenig
von Recht und Unrecht wissen, daß sie in allen Kontrahenten
leben und jeden zu seinem wahren Worte kommen lassen. (Dieses
Kriterium des göttlich überschauenden Geistes paßt nur sehr
scheinbar auch für die nur gleichgültige Mittelmäßigkeit des
Philisters, dessen lieblose Feigheit niemals Gestalten beseelen
können wird, weil er nicht die heilige Unruhe alles Lebens,
sondern nur die bequeme Ruhe seiner Existenz liebt.) So
können geborene Exzentriker wie Eulenberg oder Wedekind nur
zuletzt unfruchtbare — Versuche machen, den Stil des Dramas
ins Agitatorisch-Rednerische oder Lyrisch-Balladeske umzubiegen,
denn sie können immer nur einzelne Lebensmomente, nie einen
ganzen Lebensablauf objektiv fühlen und also dramatisch dar¬
stellen. Und sie begreifen als echte Romantiker nicht, daß Ob¬
jektivität ein Plus, nicht ein Minus gegenüber der lyrischen Emp¬
findung bedeutet. Wenn also ein Dichter heute die Form des
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