VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Julius Bab, Seite 19

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1. Panphlets, offprints
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Dramas bewältigen soll, so müßte er den Stoff unseres Lebens
freien, einfach pathetischen Rhythmen gefüllt) seine Komposition
nicht mit jener zügellosen Hingabe an die Macht der individuellen
mehr und mehr dem Bilde eines echten, großen, gleichgerichteten
Lebenskraft ergreifen, sondern mit einem weiter gespannten Sinn
dramatischen Kampfspiels zu. — Wenn man das Gefühl hat, daß
für das Recht alles Lebendigen, für den Kosmos des mensch¬
Naturen von solcher Begabung im wesentlichen nur der geistige
lichen Lebens. Er wird jenem wahren Shakespeare gleichen
Uberblick, die Erkenntnis vom Wesen der eigenen Kräfte noch
müssen, der ohne irgendwelche moralische Hemmung, aus tiefstem
fehlt, um in dem planvollen Ergreifen und Bändigen des Stoffes
Miterleben den wilden Macbeth schuf, ihm aber in der ethisch
ein Meisterwerk zu schaffen, so haben wir schließlich noch eine
gerichteten Kraft des jungen Malcon, des männlichen Macluff,
Gruppe von dramatischen Versuchen zu betrachten, die umgekehrt
des greisen Siward ein so wundervolles Gegengewicht gab. Mit
einen vollkommen klaren Begriff der dramatischen Notwendigkeit
andern Worten: da das Drama nicht Monolog, sondern Zwie¬
nicht zu vollblütigem Leben erwecken können.
Gespräch ist, so hat es ein Gefühl von vollkommen schranken¬
Die Gruppe, um die es sich hier handelt, nennt man die
loser menschlicher Freiheit zum dramatischen Rhythmus fast
neuklassische und ihr weitaus bedeutendster und reinster Vertreter
ebenso weit, wie das Gefühl menschlicher Unfreiheit. Und nur
ist Paul Ernst. Der Weg dieses Mannes ist sehr merkwürdig
die Vorstellung von einer menschlichen Frciheitsmacht, die sich
und sehr charakteristisch. Er hat als krasser Materialist begonnen
selbst Schranken setzt und setzen muß, kann zum Drama führen.
und den gröbsten ästhetischen Irrtum, den naiv naturalistischen
Es käme also darauf an, unter den Dramatikern der deutschen
seines Freundes Arno Holz geteilt, daß Kunst eine Sache der
Gegenwart Umschau zu halten nach Geistern, die die freie
bloß exakten Stoffreproduktion sei. Er ist von tieferen ethi¬
schöpferische Kraft und die notwendigen Schranken der Menschen¬
schen Leidenschaften als Holz getrieben, im gleichen Dualis¬
natur gleich lebhaft erfahren haben, die die lebendige Indivi¬
mus zu dem anderen Extrem fortgeschritten und lehrt heute
dualität in einem nicht minder lebendigen Kosmos einzuordnen
gleich fanatisch, daß Kunst reiner Geist und nichts anderes sei.
wissen. Bildkräftige Ansätze solchen Lebens sind, glaube ich,
An der monistischen Grundweisheit aller Kunst, daß ein Kunst¬
hier und da zu spüren. Carl Schönherr, der Vielberufene,
werk im Stoff offenbarter Geist sei, trifft die großzügige Un¬
ist doch nicht nur ein glücklicher, von schwächlichem Nach¬
bedingtheit des Mannes beidemal vorbei. So hat er vom Drama
gefühl zu grobschlächtigen Effekten verlockter Theatraliker. Er
sehr wohl erkannt, daß sein innerstes Wesen im Zweiklang gleich¬
hat in besseren Momenten (zumal in seiner Komödie Erde)
starker Stimmen, im Zusammenprall zweier von gleicher Not¬
eine Fähigkeit, menschliche Naturgebundenheit und Naturkraft
wendigkeit gezeugter Willen bestehe, und daß alles auf die
zugleich zu gestalten — durch eine betont rhythmische Behandlung
monumentale Gegenüberstellung dieser sich ergänzenden Grund¬
eines ganz naturalistisch ergriffenen Milieus — eine Fähigheit,
gewalten ankäme. Aber er ist sich nicht darüber klar, daß
die zweifellos stilistische Bedeutung hat. — Ein junges Talent
solcher Wille eine künstlerische Wirkung nur dann tut, wenn
wie Hans Kyser scheint von exzentrischer Uberspannung sub¬
er von innen den Stoff ganz suggestiv gepackter Wirklich¬
jektiven Machtgefühls allmählich einen Weg in die Welt drama¬
keiten durchglüht. Je reiner daher Paul Ernst seine Ideen
tischer Ordnung zu finden. Und am meisten Hoffnung weckt
vom Drama durchsetzt, je mehr nähert sich sein Werk dem rein
vielleicht die Begabung von Wilhelm Schmidtbonn, der
philosophischen Dialog und entfernt sich immer mehr von der
einen ähnlich lyrisch verschwärmten Grundzug wie Eulenberg
Kunst. Während es nach dem Worte von Otto Ludwigs Shake¬
trägt, aber „dem Geist der Erde näher“, mehr realistisches
speare-Erkenntnis das höchste Ziel ist, „die tiefste Absicht mit
Gefühl für die sozialen grenzensetzenden und häuserbauenden
dem Schein vollkommener Absichtslosigkeit zu ver¬
Gewalten besitzt. Wie in seiner Sprache von Anfang an eine
binden“, gibt Ernst immer mehr in nackter Absichtlichkeit den
erdig männliche Bilderkraft einen lyrisch-weichen, fast Hof¬
Ausdruck seiner Ideen. In seiner Fassung des Nibelungenstoffes
mannsthalisch ängstlischen Ton durchdringt, so wächst auch (von
etwa, der Brunhild, spricht der grimme Hagen:




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