VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Julius Bab, Seite 20

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1. Pan Ifforints
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„Erinnerung eigener Jugend weckt dein Wort.
Vor langen Jahren dacht’ auch ich wie Du,
Und nach dem einen Punkte sucht’ ich lange,
In dem für mich mein Handeln ruhen muß.“
Und eine Magd doziert wie folgt:
„Wenn Götter litten, wären sie gleich Menschen:
Denn daß wir leiden können, macht uns stolz,
Und nur der Stolz macht, daß wir leben können.
Und leid’ ich schuldig, leid' ich ohne Schuld
Eine solche Sprache erschafft für uns natürlich nie irgend wie
lebendige Menschen, sie beschwört nur verschieden gefärbte
Schatten des Philosophen Ernst; aus dem dramatischen Dialog
wird philosophische Dialektik. Den Weg zu dem ganz versinn¬
lichten Kosmos Shakespeares, dessen tief verborgene Absichtlich¬
keiten er verkennt, verschmäht Ernst bewußt; aber er irrt auch,
wenn er sich auf dem Wege zur griechischen Tragödie glaubt.
Abgesehen davon, daß uns nach Shakespeare Geborenen dieser
Weg kaum mehr gangbar sein wird: Das Werk der Griechen
wuchs dem mythischen Stoff wie der sakralen Form nach aus
einer Religiosität, deren lyrische Gewalt es in allen Teilen
durchdringt und verbindet — und für diese Religion kann Ernst
nur eine moral-philosopische Leidenschaft einsetzen, die ihn zwar
in einzelnen Augenblicken mit wirklich starken und ergreifenden
Worten rüstet, die aber, vom Geist geboren, niemals jene künst¬
lerische Zeugungskraft haben kann, wie sie eine aus alten Ge¬
fühlstraditionen wachsende Religiosität besitzt. Ernst’s Irrtum ist
ehrwürdig, und so weit er das Gefühl für den einen Pol des
dramatischen Lebens nährt, auch sicher heilsam. Aber im ganzen
bedeutet seine rein intellektuelle Art doch nur das lehrreiche
Gegenstück zu dem all zu ungeistigen Temperament eines Eulen¬
berg. Bringt er mehr Wahrheit, so doch viel weniger Fühlbares
als Eulenberg. Und fühlbare Wahrheit ist das Ziel der Kunst.
Taumelt Eulenbergs Mensch in einer Welt ohne Gleichgewicht,
so balanzieren kalte Marmorstatuen bei Paul Ernst die sittliche
Wage
— aber das Gleichgewicht des Lebendigen ist
der Sinn des Dramas.
Wenn wir aber in Deutschland einen Dichter von Paul Ernst’s
tiefem rhythmischen Weltgefühl und einer dabei intakt geblie¬
benen Tendenz zur sinnlichen Gestalt suchen, und zwar einen
Dramatiker, der das spezifisch gegenwärtige Erlebnis gestaltet,

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das Erlebnis des Menschen, der nach
gion gefährlich frei geworden, sich nac
wenn wir solch einen Dramatiker
staunlicher Weise doch fast ein Mensch
listische Revolution zurückgehen — zu
mir durchaus der größte unter den de
Gegenwart scheint! Der Gegenwart -
Jahrzehnten begann seine Wirkung; es
erwähnt sein, daß die Berliner Ersta
Werkes Gyges und sein Ring mehrere
Hauptmannschen Weber stattgefunden
dramatisches Werk (in dem freilich log
gipfeln mußte) — all sein Sprechen, D
in der Erkenntnis vom einheitlichen Zw
der Einsicht, daß das göttliche Ganze
in den Teilen, den Individuen, die gerag
setzen, sich behaupten, sich aneinander
Natur entfalteten. Die tragische Schul
immer nur die immanente Tendenz ein
zu werden, oder sich selbstgenügsam
schließen. Formlosigkeit und Formsta
beweglichen Form ist das Leben. Un
dem Widereinanderbewegen seiner Indi
tragische, das ist der dramatische P
Judith und Holofernes, Golo und Genove
Candaules, Gyges und Rhodope darstell
der Kunst dieses leidenschaftlichen De
den dramatischen Dialog in der philc
starren zu lassen; auch Hebbel fallen
und seine Gestalten reden oft genug H#
hinaus und zerstören ihre Illusion. A
Bedeutung dieser Relativitäten; er ma
seiner Schwäche ein System, und wenm
so ringt er doch mit höchster Klarheit
von Otto Ludwig erkannte Form der
Der Kunstdenker Hebbel, der den Kün
barer Größe weit überragt, spricht ü
Natur des Dramas dieses letzte Wort: