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1. Pamphlets offorints
Theodor Reik
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suchen, welche Phantasieen unbewußter Art es birgt. Im sEinsamen
Wege kommt ein Arzt vor, der lange auf eine Berufung nach Graz
gewartet hat. Schließlich verzichtet er auf seine Chancen aus einem
eigentümlichen Grunde, wie aus folgendem Gespräch erhellt:
Felix: zIst also richtig ein anderer nach Graz berufen worden?e
Dr. Reumann: Das nicht, aber der andere, dem die Stelle so gut
wie sicher war, hat sich auf einer Bergtour den Hals ge¬
brochen.“
Felix: „Da wären doch jetzt Ihre Chancen die allerbesten? Wer
außer Ihnen käme denn noch in Betracht?e
Dr. Reumann:2Meine Chancen wären jetzt gewiß nicht übel. Aber
ich habe es vorgezogen zu verzichten.“
Frau Wegrat: „Wiele
Dr. Reumann: sich nehme die Berufung nicht an,“
Frau Wegrat: „Sind Sie so abergläubisch?e
Felix: Sind Sie so stolzke
Dr. Reumann: sKeines von beiden. Aber der Gedanke irgendeinen
Vorteil dem Malheur eines anderen zu verdanken, wäre mir
außerordentlich peinlich. Meine halbe Existenz wäre mir ver¬
gällt. Sie sehen, das ist weder Aberglaube noch Stolz, es ist
ganz gemeine kleinliche Eitelkeit.
Wenn wir im praktischen Leben eine Stellung erhalten wollen,
so wird es uns kaum einfallen, einen Verzicht in dieser Art zu be¬
gründen. Es würde uns wohl gleich bleiben, wenn ein uns unbe¬
kannter Nebenbuhler uns durch seinen Tod den Platz räumt. Leute,
die ihren natürlichen Egoismus einzugestehen den Mut haben,
würden sogar eine mehr oder minder große Genugtuung nicht leicht
unterdrücken können. Handelt es sich hier also um eine Hyper¬
empfindlichkeit einer vereinzelten Gestalt, um eine außerordentliche
Feinheit des sittlichen Gefühls? Doch wir wollen uns die Beant¬
wortung dieser Frage aufheben, bis wir durch Häufung ähnlicher
Motive mehr Material zu Verfügung haben. Auch Georg im - Weg
ins Freies erhält einen Kapellmeisterposten, als sein Vorgänger
stirbt. Eine Person des Romanes bemerkt ausdrücklich dem Helden
gegenüber: sEin Unschuldiger, Ihnen Unbekannter, mußte sterben,
damit Sie dort den Platz frei finden durften.s In einem eigentüm¬
lichen Zusammenhange steht die Handlung des -Weiten Landese
mit einem ähnlichen Motiv. Ein Freund des Hauses, der junge
Korsakow, hat sich erschossen, weil Frau Genia seine Liebes¬
werbungen ablehnte. Im Gespräche erzählt Genia auch, daß ein
früherer Freund ihres Mannes, ein gewisser Dr. Bernhaupt, vor
einigen Jahren bei einer Bergtour direkt von der Seite ihres Ge¬
mahls abgestürzt und auf der Stelle tot geblieben sei. Eine junge
seinen Freunden habe. Wie im Falle Dr. Reumann handelt es sich
auch hier um den Tod durch Abstürzen bei einer Bergtour. Die
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1. Pamphlets offorints
Theodor Reik
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suchen, welche Phantasieen unbewußter Art es birgt. Im sEinsamen
Wege kommt ein Arzt vor, der lange auf eine Berufung nach Graz
gewartet hat. Schließlich verzichtet er auf seine Chancen aus einem
eigentümlichen Grunde, wie aus folgendem Gespräch erhellt:
Felix: zIst also richtig ein anderer nach Graz berufen worden?e
Dr. Reumann: Das nicht, aber der andere, dem die Stelle so gut
wie sicher war, hat sich auf einer Bergtour den Hals ge¬
brochen.“
Felix: „Da wären doch jetzt Ihre Chancen die allerbesten? Wer
außer Ihnen käme denn noch in Betracht?e
Dr. Reumann:2Meine Chancen wären jetzt gewiß nicht übel. Aber
ich habe es vorgezogen zu verzichten.“
Frau Wegrat: „Wiele
Dr. Reumann: sich nehme die Berufung nicht an,“
Frau Wegrat: „Sind Sie so abergläubisch?e
Felix: Sind Sie so stolzke
Dr. Reumann: sKeines von beiden. Aber der Gedanke irgendeinen
Vorteil dem Malheur eines anderen zu verdanken, wäre mir
außerordentlich peinlich. Meine halbe Existenz wäre mir ver¬
gällt. Sie sehen, das ist weder Aberglaube noch Stolz, es ist
ganz gemeine kleinliche Eitelkeit.
Wenn wir im praktischen Leben eine Stellung erhalten wollen,
so wird es uns kaum einfallen, einen Verzicht in dieser Art zu be¬
gründen. Es würde uns wohl gleich bleiben, wenn ein uns unbe¬
kannter Nebenbuhler uns durch seinen Tod den Platz räumt. Leute,
die ihren natürlichen Egoismus einzugestehen den Mut haben,
würden sogar eine mehr oder minder große Genugtuung nicht leicht
unterdrücken können. Handelt es sich hier also um eine Hyper¬
empfindlichkeit einer vereinzelten Gestalt, um eine außerordentliche
Feinheit des sittlichen Gefühls? Doch wir wollen uns die Beant¬
wortung dieser Frage aufheben, bis wir durch Häufung ähnlicher
Motive mehr Material zu Verfügung haben. Auch Georg im - Weg
ins Freies erhält einen Kapellmeisterposten, als sein Vorgänger
stirbt. Eine Person des Romanes bemerkt ausdrücklich dem Helden
gegenüber: sEin Unschuldiger, Ihnen Unbekannter, mußte sterben,
damit Sie dort den Platz frei finden durften.s In einem eigentüm¬
lichen Zusammenhange steht die Handlung des -Weiten Landese
mit einem ähnlichen Motiv. Ein Freund des Hauses, der junge
Korsakow, hat sich erschossen, weil Frau Genia seine Liebes¬
werbungen ablehnte. Im Gespräche erzählt Genia auch, daß ein
früherer Freund ihres Mannes, ein gewisser Dr. Bernhaupt, vor
einigen Jahren bei einer Bergtour direkt von der Seite ihres Ge¬
mahls abgestürzt und auf der Stelle tot geblieben sei. Eine junge
seinen Freunden habe. Wie im Falle Dr. Reumann handelt es sich
auch hier um den Tod durch Abstürzen bei einer Bergtour. Die
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