VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Reik zwei Texte Imago, Seite 16


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Panphlets offorints
Theodor Reik
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Schnitzlers „Die dreifache Warnungg enthält eine geradezu klas¬
sische Darstellung des Tabumotives.
Dem Jüngling prophezeit eine dunkle Gewalt, er werde, wenn
er einen Felsenaufstieg wagte, einen Mord begehen, über sein Vater¬
land Verderben bringen und den Tod erleiden!.
Diese Prophezeiungen erfüllen sich auch. Die dreifache Warnung
wiirde etwa dem entsprechen, was wir Bewußtsein zu nennen pflegen.
Sie ist die zensurierende Gewalt der Moral, die den ungestümen
Wünschen des Jünglings Halt gebietet. Beachten wir das System,
das den Aufstieg des Kühnen mit den vorhergesagten unheilvollen
Wirkungen verknüpft, so ergibt sich beispielsweise folgendes: Der
Jüngling hat durch seinen wilden Athem einen Schmetterling verjagt,
von dem die Raupe stammen wird, die übers Jahr über den Nacken
der jungen Königin kriechen und sie so jäh aus dem Schlummer
wecken wird, daß das Kind, das sie unter dem Herzen trägt, hin¬
siechen muß und statt des rechtmäßigen Erben des Königs laster¬
hafter Bruder die Regierung übernimmt und das Vaterland des jüng¬
lings ins Verderben stürzen wird. Ich gebe hier ein Beispiel der
Symptonhandlungen eines Zwangsneurotikers, um den Vergleich des
Geisterausspruches und der früheren Weigerung des Medardus zu
ermöglichen. Ein Patient erzählt: sIch wasche mir die Hände, weil
ich sie früher in die Tasche gesteckt habe, in der ein Taschentuch
war weiches ich am Tage vorher mit der Hand berührt hatte, die
am Winterrock angekommen war, den ich mit einem Handschuh be¬
rührt hatte, den ich getragen, als ich einem jungen Mann die Hand
gereicht, der eben von einer Waffenübung aus Czernowitz zurück¬
gekehrt war und dort mit syphilit'schen Offizieren verkehrt haben
könnte. &
Die Analogie zwischen Aufbau und System der Verbote und
Wirkungen in beiden Fällen ist frappant. Doch sie geht weiter: so¬
wohl im Symptomenkomplexe des Zwangsneurotikers als in den
Folgen des Felsenaufstieges erscheint im Mittelpunkte die Berührung.
Der Jüngling hat einen Mord auf dem Gewissen, denn er hat einen
Wurm zertreten, er hat Unheil über sein Vaterland gebracht, denn
sein Athem hat den unglückbringenden Schmetterling ostwärts zum
königlichen Garten getrieben, und er geht selbst zugrunde, weil er
einen Felsen betreten, von wo es keinen Abstieg gibt. Der ganze
Vorgang, wie die Sorgen des jungen Medardus in bezug auf seinen
Dolch erinnern an die Erscheinungen des délire de touder.
Wir haben schon vorher auf diese Symbolik bei Schnitzler hingewiesen.
Es scheint, daß auch hier die Besteigung des Felsens dem Geschlechtsakte gleich¬
zusetzen ist und das Verbot des Geistes also einen sexuellen Wunsch des jünglings
betrifft. Während der Korrektur dieser Arbeit erschien Schnitzlers Frau Beate und
ihr Sohns. Auch dort ist in einem Gespräch zwischen der Heldin und Dr. Bertram
von einem Felsenaufstieg, seinen Gefahren und Reizen, die Rede und der Dichter
hat uns über den Sinn desselben nicht in Zweifel gelassen, da er das Gespräch
den Charakter einer Verführungsszene tragen ließ.
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