VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Reik zwei Texte Imago, Seite 19


1. PanphletsOfforints
Instinkte, eines groben äußeren Besitzwillens neben einer
bloßen Fortgeschrittenheit des Kopfes? Die Red.)
Der Gedanke, dieselben Seufzer, dieselben Worte zu
hören, dieselben Liebkosungen zu empfangen, die vordem
einem anderen gegolten, ist ihm unerträglich; gräbt sich
mit tausend Griffeln in sein Gedächtnis. Tausend marter¬
volle Bilder malt die erregte Phantasie demjenigen vor,
der in die Vergangenheit sieht. Hier handelte es sich
noch um Eifersucht auf die Vergangenheit. Schon Anatol
will die Hypnose anwenden, um zu erfahren, ob ein
Mädchen ihm treu sei. Philippo Loschi in „Der Schleier
der Beatriceg verstößt die Geliebte, weil sie von einem
andern geträumt. Was Schnitzler in diesen Symbolen
festhielt, war nicht so sehr die tatsächliche Verletzung der
Treue als ihre Möglichkeit. Qualvoll und nagend sind
die Möglichkeiten eines neugierig dunkeln Blickes, den
die Geliebte einem andern zuwirft; lebenzerstörend und
nächteraubend die Möglichkeiten, welche die Phantasie an
das Aussprechen eines Namens knüpft. Schnitzlers Tiefen¬
psychologie ist gleich der Freud'schen bis zum Unbe¬
wußten vorgedrungen. Im Traum und in der Hypnose
zeigen sich alle Möglichkeiten der Seele. Seine letzte Er¬
zählung hieß „Die Hirtenflöter. Ein Edelmann läßt seine
Frau dem Klange einer Hirtenflöte nachziehen und sie er¬
lebt auf diesem Wege Schrecklichstes und Seligstes: ihr
Frauenschicksal erfüllt sich in einem unbewußten Dahin¬
geben an alle Triebe. Auch diese Novelle erscheint nicht
als Schilderung eines tatsächlichen Zusammenhanges; etwas
Traumhaftes schwebt über ihr. Die neuere Traum¬
psychologie hat gezeigt, wie während des Schlafes alle
Triebe sich durchsetzen und die Hemmungen der Moral
durchbrechen. Und Schnitzler hat dies auch ausgesprochen:
„... Träume sind Begierden ohne Mut,
Sind freche Wünsche, die das Licht des Tages
Zurückjagt in die Winkel unsrer Seele,
Daraus sie erst bei Nacht zu kriechen wagen.e
130

box 36/5
So schlummerten auch in dieser Frau die Möglichkeiten
solchen Erlebens. Der Dichter spricht damit nur aus,
was am Grunde der Seele ruht. Er gestaltet Konse¬
quenzen aus Keimen. Von diesem Standpunkt aus muß
die psychologische Notwendigkeit des „Weiten Landese
eingesehen werden. Gewiß ist Hofreiter bestürzt über
seine Frau, die einen andern in den Tod gehen läßt.
Trotzdem quält ihn die Furcht, ihrer Treue nicht sicher
zu sein. Dieses beständige Auf=die-Probe=stellen, Belauern
und Ergrübeln zeigt, wie auch in ihm der Glaube, seine
Frau könne ihn betrügen, lebendig ist und nagt. Eifer¬
sucht ist ja ein Projektionsphänomen; wie sollte seine
Frau ihm treu sein, da er es nicht ist? Er liebt sie, ob¬
wohl er sie, nur um endlich Gewißheit, Gewißheit um
jeden Preis zu haben, zur Untreue treibt. Er will diese
Ungewißheit loswerden. Wie ist dies alles zu vereinen?
Die Seele ist ein weites Land und soviel hat nebenein¬
ander in ihr Platz, Treue und Untreue, Glaube und Ver¬
rat. Bei Gottfried Keller herrscht noch mathematische
Abgrenzung. Der grüne Heinrich liebt Anna und Julia;
die eine mit den Sinnen, die andere mit der Seele. Schon
Flaubert schrieb einer Geliebten den Satz: 2Un jeune
homme peut adorer une femme et aller chaque soir chez
des filles.e Schon in „Notre cceure seines großen
Schülers Maupassant liebt ein Mann zwei Frauen, beide
sinnlich und seelisch. Schnitzler gibt dasselbe Gefühls¬
phänomen: Schon im „Schleier der Beatriceg, im 2Zwischen¬
spielg, im „Weg ins Freieg, im „Weiten Landa. Er ge¬
staltet es noch bohrender, noch differenzierter, noch tief¬
blickender: zwischen Schwermut und Gelächter.
Er gibt daneben noch die Konllikte, welche diese
unsere Zeit, voll übernommener Vorurteile, ihren zwie¬
ig fühlenden Menschen auferlegt. Der Dichter Alber¬
thon spricht im „Zwischenspiele: „Das ist ja das
arakteristische aller Ubergangsepochen, daß Verwick¬
lungen, die für die nächste Generation vielleicht gar nicht
131