VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Rosenthal Wildgans, Seite 3

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Friedrich Rosenthal, Anton Wildgans
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dings nur geringes Tatsachenmaterial enthalten. Ich
Erlebnis. Aber nichts, was ich irgendwann wirklich
glaube aber, daß Sie mich aus ihnen und den bei¬
erlebt habe, geht mir verloren. Es wartet in mir
folgenden Gedichten besser kennenlernen werden, als
gleichsam auf ein ähnliches Erlebnis, das es auslöst
wenn ich Ihnen mit tatsächlicheren Details aufgewartet
und in künstlerische Gestaltung zwingt. So ergibt
hätte.“ — Aber als Erläuterung wäre vielleicht noch
sich bei mir von selbst das typische Formulieren, das
zu sagen, daß er in den „Sonetten an Ead“, welche
von meiner Überzeugung, daß nur allgemein Mensch¬
die Reihe sozialer Gefühlsdichtung durchbrachen, jenes
liches Gegenstand der Kunst sei, gefördert wird.
seltsamste und schmerzlichste Mysterium der Liebe, ihre
Technik als Selbstzweck oder gepaart mit menschlicher
Entheiligung durch die Lust, zu gestalten versuchte,
Belanglosigkeit ist mir zuwider. Aber ich liebe und
wie Knut Hamsun im „Pan“; ein Selbsterschütterter,
erkenne sie als das empfindliche Instrument, Mensch¬
der einem ewigen Geheimnis gegenüber nichts als den
lichkeiten durch sie restlos auszudrücken. Die Neuartig¬
Aufschrei eines gequälten und tief enttäuschten Men¬
keit eines Kunstwerkes besteht für mich darin, daß
schenherzens findet, um ihn schließlich seiner inneren
ein neuer Mensch die ewigen Dinge neuartig beob¬
Natur gemäß versöhnlich zu beschwichtigen, erhöhtes
achtet. Die neuartige Form stellt sich dann von selbst
Schaffensglück aus tiefster Erniedrigung ziehend. In
ein. Andere sind praktisch und theoretisch der entgegen¬
diesen Versen, die einzeln und als Gesamtes zum
gesetzten Meinung. (Es sei zugegeben, daß sie die
Schönsten deutscher Dichtung gehören, hat er gleich¬
Technik des Ausdruckes bereichern — obwohl sie zu¬
sam eine Formel für sein inneres Wesen gefunden und
meist nur Subjektivitäten engsten Horizontes aus¬
sich „ein Gebilde aus wildem Lebenswahn und
zudrücken haben. Es muß dann immer erst einer
Hungrigkeit nach stiller Gottesnähe“ genannt. Ein
kommen, der das von ihnen hergestellte Instrument
solches Gebilde schmerzlichsten Dualismus' ist auch
in höherer menschlicher Ansicht zu gebrauchen weiß.
Gottfried, das vom Leben der Armseligkeit gezeichnete
Siehe Goethe und seine Vorläufer!) Aus all diesen
Genie, der Held seines Trauerspiels „Armut“ das
Gründen habe ich wenig geschrieben und erst spät
nun allmählich aber sicher den weiten Weg zum Ziele
(mit 28 Jahren) mein erstes ernstliches Gedichtbuch
eines echten Bühnenerfolges: und einer dauernden
(Herbstfrühling) herausgegeben. (1909 bei Arel
Geltung geht. Ihm hat er, aus dem Erlebnis des
Junker, Berlin.) Diesem folgte 1911 im selben Ver¬
Einzelnen zum Schicksal der Allgemeinheit zurückfin¬
lage der Zyklus neuer Gedichte, Und hättet der Liebe
dend, das schöne Motto zu Häupten gesetzt:
nicht., in einigen seiner wichtigsten Stücke die
Frucht jener tiefen Einblicke, die ich in meiner Praxis
„Stunde der Heimkehr aus Verworrenheit
bei Gericht, hauptsächlich beim Untersuchungsgericht
Gegrüßet seist du, du bist voll der Gnaden.
(Wien L.G.R. für Strafsachen) verdanke. Im Früh¬
Genug erklang der eigne Widerstreit,
Verliebtheit, Sehnsucht nach erhöhtern Pfaden.
ling 1913 erschienen dann „Die Sonette an Ead und der
Will wieder, wie ein Kreuz, der Menschheit Leid
Einakter „In Ewigkeit, Amen“. Letzterer ein bloßer
Auf meines Liedes starke Schultern laden.“
dramatischer Versuch, dichterisch ohne Belang, wenn
auch stofflich im engen Zusammenhange mit meinen
Es hat manche gegeben, die diesem Werke, das
rein=menschlichen Tendenzen. Dann erschien 1914
Grabbesche und Eulenbergsche romantische Züge mit
„Armut, die bisher in Wien, Hamburg, Mannheim
einem ganz reinen Österreichertum zu stärkster dra¬
und Graz gespielt wurde und in der kommenden
matischer Totalität in neuartigem Gewande verbindet,
Saison auch am münchner Hoftheater, bei Reinhardt
den Vorwurf einer unwahren und überspitzten sozialen
in Berlin, in Leipzig, Bremen, Nürnberg usw. heraus¬
Trostlosigkeit gemacht haben. Sie haben es nicht
kommen soll. Demnächst erscheinen von mir im Insel¬
verstanden, wohl auch töricht für ein Elendstück ge¬
Verlag als 12. Bändchen der österreichischen Bibliothek
halten, nicht erkennend, daß es nicht die Tragödie
meine Flugblätter aus der Kriegszeit. Das ist alles.
des erbarmungswürdigen Durchschnittsmenschen, wohl
Aber dieses Wenige ist durchweg aus innerem Erleben
aber die des durch Armut ausgestoßenen Genies ist.
geschrieben, und würde ich die Genesis jedes meiner
Und als solches ist es neu, urewig wahr und unver¬
Gedichte, besonders aber der „Armut“ schreiben, so
lierbar.
würde meine Biographie daraus werden.
Es ist beinahe selbstverständlich, daß ein schöpferi¬
Daher ist von meinem Leben auch nicht viel mehr
scher Mensch, der so mit dem innersten Wollen, Wün¬
zu erzählen, als das, was in meinen Büchern steht und
schen und Atmen seiner Zeit verwachsen ist wie Wild¬
was in den Büchern stehen wird, die ich noch schreiben
gans, an dem ungeheuren Erlebnis dieses Krieges
nicht kühl und unberührt, unergriffen und unproduktiv
werde.“
vorbeigehen konnte, zumal er das einzige Instrument
Dem ist wohl nichts mehr hinzuzusetzen. Besseres
in edelster Vollendung besitzt, das allein zum Ausdruck
und Aufschlußreicheres kann über Wesen und Werk
solcher Gefühlsintensität geeignet erscheint: die Lyrik.
eines Dichters nicht ausgesagt werden. Denn wer
Er hat auch im abgelaufenen Kriegsjahr die Reihe
könnte von außen her die innere Art eines Menschen
jener sieben Flugblätter veröffentlicht, die für den
reiner erkennen als einer, der eine so klare Anschauung
jetzigen Geist des jungen Österreich ebenso sympto¬
über sich selbst hat? Er hat, charakteristisch genug, noch
matisch sind wie für Wildgans' starkes dichterisches
ans Ende seiner Selbstbekenntnisse geschrieben: „Hof¬
fentlich genügen Ihnen diese Andeutungen, die aller=, und sittliches Empfinden und seine meisterlich voll¬

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