VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Völker Krieg als Erziehung, Seite 3

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seeinsel Oesel wird von Deutschen besetzt. — Saarlouis wird von feindlichen
Flugzeugen angegriffen.
27. Unsere Truppen erreichen Kamienec=Litowsk. — Die Deutschen be¬
setzen die Festung Olita. — Der Zar empfängt den französischen Minister Cruppi
und erklärt, daß Rußland den Krieg bis ans Ende fortführen werde. — Die
russische Regierung kündigt die Neugruppierung ihrer Armeen an.
28. Die russische Front an der Zlota Lipa in Ostgalizien wird durchbrochen.
Die Rusion merhen ästlich nnn Micdimir=Malnvcbi gnschl-—
256 Dr. Karl Völker, Der Krieg als Erzieher zum deutschen Idealismus.
zugleich ein Krieg, wo Technik und Chemie in bisher ungeahnter Weise
sich zur Geltung bringen, ein solcher Krieg ist ein Wendepunkt auf allen Ge¬
bieten der Kultur. Die Nachwirkungen der Napoleonischen Kriege machen sich
beispielsweise selbst in der Musikgeschichte bemerkbar; damals sind die großen
Orchester, die Hauptvoraussetzung der modernen Oper, aufgekommen. Erst nach
Jahrzehnten wird der rückwärtsschauende Historiker im einzelnen den Einfluß
des gegenwärtigen Krieges feststellen können. Aber es ist Pflicht derer, die an
den Ereignissen unmittelbar beteiligt sind, Grundlagen zu schaffen, welche eine
gedeihliche Gestaltung der Zukunft unseres Volkes und Staates sichern. Bei
der Verschlungenheit der vielen in Betracht kommenden Fragen, von deren
Lösung die weitere Entwicklung des Volksganzen abhängt, ergibt sich die
Hauptforderung, alles von einem bestimmten Mittelpunkt aus anzufassen, in der
Vielheit die Einheit zu suchen. Alsdann werden die vielen Kräfte, die bereits
am Werke sind und die noch wachgerufen werden, nicht gegeneinander wirken,
sondern sich gegenseitig ergänzen, um ein in sich geschlossenes großes Ganzes
hervorzubringen. Die alten Stoiker haben sich in der Verwobenheit der Welt
in der Weise zurecht gefunden, daß sie alles von einem bestimmten Mittelpunkt
aus von gleichartigen Kräften durchdrungen sein ließen. Auch wir brauchen
eine solche Urkraft, die zugleich Ziel und Zweck ist und die allen Teilkräften
auf den verschiedenen, oft so ganz auseinanderliegenden Gebieten eine bestimmte
Richtung weist. Diese Urkraft finden wir im Idealismus, ein undeutsches Wort,
in seinem Wesen aber deutsch wie nur etwas.
„Idealismus“ hat früher einen guten Klang gehabt, allmählich hat er
aber viel von diesem eingebüßt, nicht zuletzt deshalb, weil er an den natürlichen
Sinn große Anforderungen stellt. Der Idealismus blüht auf steiler Bergeshöhe,
von der er erst herabgeholt werden muß. Wer den Weg zu ihm finden will,
um hernach den Abstieg ins Tal zu wagen, muß dazu sich wohl ausrüsten.
Unter Idealismus versteht man nicht gewisse Fertigkeiten, Fähigkeiten, Stim¬
mungen, Empfindungen, auch nicht eine bestimmte Handlungsweise, er ist viel¬
mehr Lebens- und Weltanschauung. Gewisse Fertigkeiten lassen sich anlernen,
zu einer Lebens= oder Weltanschauung muß man erzogen werden, beziehungs¬
weise sich selbst erziehen. Zwischen Unterrichten und Erziehen besteht ein
bedeutender Gradunterschied. Die Kriegsereignisse decken Mängel und Unzu¬
länglichkeiten auf und werden auf diese Weise der Anstoß zu Verbesserungen,
nicht nur in der Kriegstechnik. Wo aber die tiefsten Fragen des Seins auf¬
gerollt werden, handelt es sich nicht um Verbessern, sondern um Erziehen. So
sprechen wir auch vom Kriege als dem Erzieher zum Idealismus.
Aber was ist Idealismus? Darüber herrscht vielfach arge Verwirrung.
Infolge der großen Unklarheit suchen wir den Begriff „Idealismus“ aus
seiner Geschichte zu verstehen. In der Menschheitsgeschichte kreuzen sich zwei
Weltanschauungen: die eine leitet alles vom Geist ab und erklärt den Stoff
als Ausfluß des Geistes, die andere erblickt in dem Geist eine bloße Erschei¬
nungsform des Stoffes, auf den sie alles zurückführt, spiritualistischer und
materialistischer Monismus. So einfach dies klingt, so verwickelt gestaltet sich
die Welterklärung, wenn man Stoff und Geist zueinander in Beziehung setzt.