VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Völker Krieg als Erziehung, Seite 4

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Dr. Karl Völker, Der Krieg als Erzieher zum deutschen Idealismus. 257
Der Idealismus gehört auf die Linie der Betrachtungsweise, welche das
Wesen der Dinge als ein geistiges Sein erfaßt. Man unterscheidet zwei Arten
des Idealismus: den metaphysischen oder ontologischen und den erkenntnis¬
theoretischen. Der erstere nimmt als Prinzip der Welt etwas Geistiges an —
alles, was ist, verdankt seinen Ursprung dem geistigen Urgrund der Dinge,
der jenseits alles Geschehens liegt. Durch Platons Ideenlehre hat sich dieser
Idealismus in der Geistesgeschichte der Menschheit durchgesetzt. Der erkenntnis¬
theoretische Idealismus geht nicht von dem Urgrund aller Dinge aus, sondern
stellt zunächst die Frage nach der Art und der Möglichkeit einer wissenschaft¬
lichen Erkenntnis. Diese beantwortet er dahin, daß wir die Dinge nur so zu
erkennen vermögen, wie sie sich in unserem Bewußtsein spiegeln, d. h. wir
gelangen zu einer Erkenntnis der Welt durch die Vermittlung unseres Geistes.
Zwischen diesen beiden Arten besteht kein Gegensatz, sie gehen ineinander über,
das Geistige ist Erkenntnisgrund und Weltprinzip.
Der Idealismus hat seine besondere Ausprägung erhalten im sogenannten
deutschen Idealismus. Wir verstehen darunter den Abschnitt in der Kulturgeschichte
unseres Volkes, der in der Literatur die Klassik und Romantik umfaßt, in
Schiller und Goethe seinen Höhepunkt erreichte und der in der Philosophie
im Anschluß an Leibniz mit Kant einsetzte und mit Hegel unterging. Zur
Verdeutlichung der besonderen Art dieses Idealismus vergegenwärtigen wir
uns kurz die Denkweise der Philosophen dieses Zeitabschnittes.
Der moderne deutsche Idealismus wurzelt in Kants Kritizismus. Der
Königsberger Denker hat gegenüber dem Wolffschen Dogmatismus, der be¬
hauptete, daß der Mensch sich über alles: Gott, Welt, Seele vernünftige
Gedanken bilden könne, und dem Skeptizismus Humes, der die Erfahrbarkeit
äußerer Dinge in Frage stellte, die Grenze gezogen, inwieweit überhaupt die
Erkenntnis möglich sei. Nach Kant sind uns Anschauungsformen, Raum und
Zeit a priori gegeben, mit deren Hilfe der Verstand alle Eindrücke von außen
ordnet. Die Außenwelt besteht für uns nur so weit, als sie der Verstand in
unser Bewußtsein gelangen läßt. Sie entschwindet uns und es steigt uns auf
ehrfurchtsvoll gebietend die Größe unseres eigenen Geistes. Unserem Geist
wohnt das Streben nach Vollständigkeit inne und so erfaßt die Vernunft ein
dreifaches Ziel, die drei „Ideen“ die Zusammenfassung unserer Innenwelt
— Seele, die der äußern Welt — Natur und die Zusammenfassung beider
— Gott. Die Philosophie Kants ist nicht reiner Idealismus in dem Sinne,
daß der Geist alles schafft. Das Ding an sich entzieht sich unserer Erkenntnis,
es bleibt also ein bedeutendes Etwas übrig, dessen unser Geist nicht Herr wird.
Kants Kritizismus bildet Johann Gottlieb Fichte zum absoluten Idealismus
um. Der Menschengeist schafft nach ihm die Gesamtwelt seines Bewußtseins.
Es gibt nur das Ich und das Nichtich; aber dieses nur so weit, als es das
Ich setzt. Das Ich bewährt sich vor allem im sittlichen Handeln. Fichte hat
die Natur bloß als Mittel zur sittlichen Betätigung des Menschen gewürdigt.
Diesen Mangel sucht Friedrich Wilhelm Josef Schelling zu beheben, indem
er Natur und Geist als die beiden gleichwertigen Offenbarungen des Absoluten
erkennt; aber dieser Weltgrund ist geistig und bringt die Natur aus sich heraus.
„Österreichische Rundschau“, XLIV., 6.