VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Völker Krieg als Erziehung, Seite 5


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1. Panphlets offprints
258 Dr. Karl Völker, Der Krieg als Erzieher zum deutschen Idealismus.
Die Formen der Natur regen den Menschengeist an, sich in seiner Kunst ihr
zu nähern; von da der starke ästhetische Einschlag in Schellings Philosophie,
wie bei Fichte der ethische. Schelling bleibt die Erklärung schuldig, wie das
Absolute den Gegensatz von Natur und Geist hervorbringt. Hier setzt Georg
Wilhelm Hegel ein, ebenfalls ein Schwabe. Schellings Absolutes vergleicht er
mit der Nacht, in der alle Kühe schwarz sind. Natur und Geist läßt er durch
einen abstrakten Denkprozeß in Erscheinung treten. Das Absolute geht in der
Natur aus sich heraus, um, durch die Geschichte bereichert, in sich
zurückzukehren. Mit Hilfe der dialektischen Methode — These, Antithese,
Synthese — denkt der Mensch diesen Werdegang nach. Der philosophische
Idealismus war reines Denken geworden und hatte dadurch den Zusammen¬
hang mit der Wirklichkeit verloren. Dieser Umstand führte seinen Zusammen¬
bruch herbei.
In die Geschichte des deutschen Geistes hat sich dieser Idealismus unaus¬
löschlich eingegraben. Aus ihm hat unser Volk die Kraft geschöpft, in den
Napoleonischen Kriegen sich aufzuraffen, um das Joch des Korsen abzuschütteln.
Die Begeisterung, die damals in den Herzen Tausender erglühte und sie zu Taten
entflammte — die Kriegslieder aus jenen Tagen, das Erhabenste des vorigen
Jahrhunderts — entspringt der Stimmung, die der Idealismus hervorgebracht
hat. Kants kategorischer Imperativ der Pflicht: „Du sollst, weil du mußt“ hat
in der Tat die Besten des Volkes bestimmt, so zu handeln, daß die Maxime
ihres Wollens zugleich Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung werden konnte.
Die Wirkung von Fichtes „Reden an die deutsche Nation“ war für die
Franzosen gleichbedeutend mit einem verlorenen Feldzug. Fichte sucht, wie er
in der ersten Rede ausführt, seine Zuhörer über den Schmerz zu erheben durch
klare Einsicht in unsere Lage, in unsere noch übriggebliebene Kraft, in die
Mittel unserer Rettung. Durch eine neue Erziehung will er die Deutschen zu
einer Gesamtheit bilden, die in allen ihren einzelnen Gliedern durch dieselbe
eine Angelegenheit getrieben und belebt wird. Gegenüber einem selbstsüchtigen
Utilitarismus schärft er die Notwendigkeit eines dem Einzelwillen übergeordneten
Gesamtwillens ein. Der soziale Staat, in welchem jeder nur die eine Tugend
kennt, sich selbst als Person zu vergessen, und nur ein Laster, nur an sich selbst
zu denken, schwebt ihm als Zukunftsideal vor. Der deutsche Geist ist berufen,
in dieser Hinsicht für die übrigen Völker das Vorbild zu schaffen. Hegel wurde
von Heidelberg an die Berliner Universität berufen, weil seine alle Gebiete
umfassende Philosophie die beste Gewähr für den Wiederaufbau des Staates
zu bieten schien. Schleiermacher, der Theologe des deutschen Idealismus und
zugleich nach Treitschke der politische Lehrer der gebildeten Berliner Gesellschaft,
war von dem Sieg des deutschen Volkes über Napoleon so überzeugt, daß er
sich kaum bewegen ließ, von seinem Schreibtisch ans Fenster zu treten, als der
Kaiser nach der Schlacht bei Jena durch Halle ritt. Die Philosophen und
Theologen des Idealismus, die Dichter und Denker waren Volkserzieher im
besten Sinne des Wortes geworden. Sie haben dem Volke Eisen ins Blut
gegossen; sie haben das Pflichtbewußtsein geweckt, den Willen stark gemacht,
sie haben das Ziel des allgemeinen Strebens höher gesteckt. Sie haben die
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