VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Völker Krieg als Erziehung, Seite 10

——
of
le
a m
box 36/5
1Sfprints
Dr. Karl Völker, Der Krieg als Erzieher zum deutschen Idealismus. 263
Übergang vom anorganischen zum organischen Leben nicht „exakt“ erklärt
und auf die für den Idealismus entscheidende Frage, wie aus dem animali¬
schen Leben sich die höhere Geisteskultur entwickle, ist man eine befriedigende
Antwort schuldig geblieben. Es meldet sich zu Wort eine Betrachtungsweise
der Dinge, die das Leben als etwas ganz besonders Eigenartiges wertet.
Jakob Baron von Uexküll ist in seinen „Bausteinen zu einer biologischen
Weltanschauung“ überzeugt, daß auf die Epoche der physikalisch=chemischen
Weltbetrachtung, die zum Materialismus führte, nun die biologische folge und
zwar als Wegbereiterin des Idealismus. Auf die Frage nach der Stellung
des Menschen im Universum, welche der Naturalismus dahin beantwortete:
„Ein von mechanischen Kräften umhergeschleuderter Komplex von Atomen“,
lautet seine Erklärung: „Der Mensch und die ihn umgebende Natur bilden zu¬
sammen eine planvolle harmonische Einheit, in der alle Teile in zweckmäßiger
Wechselwirkung stehen“ (S. 141 f.). Das Werk ist Houston Stewart Chamber¬
lain zugeeignet, der durch seine „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ nicht
wenig dazu beigetragen hat, daß den Gebildeten wieder Sinn und Verständ¬
nis für eine idealistische Betrachtung des Weltganzen aufging.
Selbstverständlich darf der neue Idealismus nicht eine bloße Wiederholung
des alten sein. Zwischen jenem und unserer Zeit liegt ein Jahrhundert Welt¬
geschichte. Damals waren wir in der Tat ein Volk von Dichtern und Denkern,
heute haben wir uns zu einem Weltvolk entwickelt und wir sind überzeugt,
daß der gegenwärtige Weltkrieg dem deutschen Gedanken erst eigentlich zum
Durchbruch verhelfen werde und zwar in der Wissenschaft ebenso, wie in der
Wirtschaft, Technik und Industrie. Der neue Idealismus wird all den Er¬
rungenschaften, die den alten beiseite geschoben haben, nicht nur vollends
Rechnung tragen müssen, sondern er wird sich durchsetzen, weil jene ihn von
selbst als notwendige Folgerung erheischen. Wilhelm Wundt überschreibt in
seinem kürzlich erschienenen Kriegsbeitrag „Die Nationen und ihre Philosophie“.
das Kapitel über deutsche Philosophie „Der deutsche Idealismus“ und will
damit andeuten, daß dieser der eigentliche Ausdruck der deutschen Art sei. Die
Richtigkeit dieser Betrachtung der Dinge erhellt am besten aus dem Umstande,
daß die deutschen „Monisten“ mit ihren Führern Ernst Haeckel und Wilhelm
Ostwald trotz ihres theoretischen Materialismus praktische Idealisten sind.
Eine Erneuerung des Idealismus muß aber von der Tatsache, welche die
Naturwissenschaft heute bereits zugibt, ausgehen, daß das Geistesleben ein
selbständiges Gebiet für sich sei.
Mitten in die Verhandlungen fiel der Weltkrieg. Mit einem Male war
der Idealismus da als eine Macht, als ob wir ihn nie verloren hätten. Der
Krieg hat mit einem Schlage alle die Hindernisse, die sich ihm entgegengestellt
haben, beseitigt. Wer wollte es heute leugnen, daß der Geist die Herrschaft
über die Natur erlangt hat. Die deutsche Volksseele ist als etwas großes
Geistiges erwacht und es geht uns ihre besondere Art auf, wenn wir die
Begeisterung, die Opferfreudigkeit, die selbstlose Hingabe für die Allgemeinheit
auf uns wirken lassen. Die Kassandrarufe der Schwarzseher in den Friedens¬
zeiten klingen uns noch im Ohre nach, daß uns das Schicksal bevorstehe, dem