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Panphlets, offprints
—
Herbert Cysarz.
hn das nicht so sehr willens= als gefühls¬
ein gräzisierend=lyrisches nicht römisch¬
Drama des verschwiegenen Seelenzitterns
sso nicht des grimmen Fäusteballens à la
hon in der „Sappho“ und am reinsten in
Liebe Wellen“ gattet sich österreichischeste
sphäre: orphisch und stygisch die Dämonen
Nacht und des Sterbens, darüber aber
hlingsstimmen der seligen Inseln — ein
her Traum von verhauchtem Kuß und
Grillparzers Schicksal ist nicht im Pfeil
n der Entsagung eines Rustan, oder im
ielmanns, dieses unbekannten österreichi¬
och, zerknittert und zertreten, ein Endchen
Karls V. birgt, das blaublütige Hamlet¬
nd Glück, die spanisch=katholische Flucht
wunschlosen Frieden, und in den „desen¬
den Ekel, des Pilgrims von San Juste:
em Tod den Toten gleich Und fall' in
lte Reich“ — nur Grillparzer, der seit
cholog der Habsburger, hat seinem armen
Armen im Geist, eine weltgeschichtliche
ocht, ein Teil der Kraft, die unzermürbt
Umflackert von allen Feuern lateinischen
ers temperament=Verwandtem Balthasar
auch in der leidenschaftlichen Enthalt¬
hmen Leidenschaft eines Jusepe Nibera
orträt Rudolf II. im „Bruderzwist“ trägt
Büge), oder gar in der eisig=schwärmerischen
die insonderheit die „Judin von Toledo“
und dies alles sind Jahrhundert=Merk¬
das Freie und Starke, vielmehr das Ge¬
jedes Charakters, mit Dickens zu reden
Jean Paul und Gottfried Keller und
auch den großen Russen, von Gogol bis
rtrauten skurrilen Lappalien und Kuriosi¬
ieblings=Epitheton „sveobrazny“ „eigen¬
n Deutschen zumeist als „bemerkenswert“
n als „remarquable“ wiedergegeben —
am gegenständlichsten aus); Grillparzer
nien (noch nirgends gewürdigten) unge¬
wie etwa Grillparzers
as Komische
uer seinem ursprünglichen Sehen nach
cher Satiriker bleibt; es bildet nur einen
Künstler Grillparzer, daß er — die ange¬
send — auch Gestalten und Seelenlagen,
geschaut und gewürdigt sind, klassizistische
selbst Bankban im „Treuen Diener bleibt
box 36/6
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Alt=Österreichs letzte Dichtung (8190—1914).
denn doch (trotz dem Wust der oft geistrollen Rettungen)
für naive Gemüter zunächst ein Anblick zum Lachen, und wird
erst dadurch ein Anblick zum Weinen, daß er das Heldenlos
in einer Haupt= und Staatsaktion zu tragen hat. Im Lager
Grillparzers aber ist Oesterreich: Der Kampf, nach einem Sturm¬
und=Drang=Wort, brütet „Kolosse und Extremitäten“ aus — die
Windstille der Metternich= dann Kompromiß=Monarchie brütet
Finessen und Subtilitäten aus: Nur in so vollkommener Stille
atmen Grillparzers zuweilen fast an Shakespeare, fast an Rem¬
brandt streifende Porträts, vorzüglich Grillparzers Frauen,
seltsam durchwogt von allen Mozartisch süßen und bitteren
Seligkeiten — Geschöpfe wie sie sonst allein dem Größten an
der Ilm begegnet sind. Allein in solcher Ruhe gedeihen die
Wälder Adalbert Stifters, mythische Witiko=Wälder gleich
denen wo Herzeloyde den jungen Parzival hegt — oder auch
Stifters Gänge und Stuben und Vitrinen, in denen Jahrzehnte
sind wie Sekunden, Tropfen im Ozean göttlichen Seins (ein
Hauch hiervon schwingt noch in Rilkes „Stundenbuch'); in
Stifters Natur ist die Erde überall riechbar und die Temperatur
geradezu sichtbar (wie vielleicht nur bei Goethe, etwa im Ab¬
schnitt Palermo der „Italienischen Reise“ wo man die Wärme
geradezu tasten zu können vermeint); auch das Licht ist bei
Stifter — wie sonst wieder nur bei Goethe und manchmal
bei Keller — ein raumerfüllender Körper, nicht bloß ein maleri¬
scher Reiz oder gar ein Beleuchtungs=Effekt, wie bei den meisten
poetischen Realisten. Dasselbe Gestirn, die welterhabene Stärke
der weltentsagenden Ruhe, erglänzt dann auch am milden
Abendhimmel Ferdinand von Saars und über der gesellig¬
höfischen, so leidens=tiefen wie fassungs=hohen, Dichtung der
Ebner=Eschenbach. Ueberall um den Preis der Handlungs¬
und Bewegungslosigkeit die abgründigste Feinheit und Ver¬
wickeltheit, die grandiose Konzentration auf das lautere, ewige
Sein! Und als am Ende des Jahrhunderts Friedrich Nietzsche,
gleich dem Jupiter auf dem jüngsten Gericht der Sistina, den
Blitz aus dem Haupt reißt und über versumpfte Rasse ein
faustisches Pan und Plus ultra hängt, das „Kriegerisch und ge¬
fährlich leben“, das „Vivre et mourir en roi“ das Wormser
Dennoch“ Luthers und das Huttensche „Ich hab's gewagt“ eines
Ritters trotz Tod und Teufel, da findet in Oesterreich wieder
nicht Nietzsches Mönchisch=Soldatisches Widerhall, vielmehr das
Artistische Nietzsches, die zarten nicht schroffen Züge, natürlich
auch die internationalen und die dekadenten, das „Halkyonische“.
und „Dionysische“ nicht das „Heroische“ und „Friderizianische“.
In Nietzsches ungeheurer Seele eben sind beide Extreme ver¬
brückt — Nietzsche wie keiner hat einerseits alle Akzente des
faustischen „Perrumpendum est“, der Werks= nicht Glücks¬
Ethik: „Trachte ich denn nach meinem Glücke? Ich trachte nach
Nietzsche ist hier ein Bruder fast Schillers.
meinem Werke!“
Panphlets, offprints
—
Herbert Cysarz.
hn das nicht so sehr willens= als gefühls¬
ein gräzisierend=lyrisches nicht römisch¬
Drama des verschwiegenen Seelenzitterns
sso nicht des grimmen Fäusteballens à la
hon in der „Sappho“ und am reinsten in
Liebe Wellen“ gattet sich österreichischeste
sphäre: orphisch und stygisch die Dämonen
Nacht und des Sterbens, darüber aber
hlingsstimmen der seligen Inseln — ein
her Traum von verhauchtem Kuß und
Grillparzers Schicksal ist nicht im Pfeil
n der Entsagung eines Rustan, oder im
ielmanns, dieses unbekannten österreichi¬
och, zerknittert und zertreten, ein Endchen
Karls V. birgt, das blaublütige Hamlet¬
nd Glück, die spanisch=katholische Flucht
wunschlosen Frieden, und in den „desen¬
den Ekel, des Pilgrims von San Juste:
em Tod den Toten gleich Und fall' in
lte Reich“ — nur Grillparzer, der seit
cholog der Habsburger, hat seinem armen
Armen im Geist, eine weltgeschichtliche
ocht, ein Teil der Kraft, die unzermürbt
Umflackert von allen Feuern lateinischen
ers temperament=Verwandtem Balthasar
auch in der leidenschaftlichen Enthalt¬
hmen Leidenschaft eines Jusepe Nibera
orträt Rudolf II. im „Bruderzwist“ trägt
Büge), oder gar in der eisig=schwärmerischen
die insonderheit die „Judin von Toledo“
und dies alles sind Jahrhundert=Merk¬
das Freie und Starke, vielmehr das Ge¬
jedes Charakters, mit Dickens zu reden
Jean Paul und Gottfried Keller und
auch den großen Russen, von Gogol bis
rtrauten skurrilen Lappalien und Kuriosi¬
ieblings=Epitheton „sveobrazny“ „eigen¬
n Deutschen zumeist als „bemerkenswert“
n als „remarquable“ wiedergegeben —
am gegenständlichsten aus); Grillparzer
nien (noch nirgends gewürdigten) unge¬
wie etwa Grillparzers
as Komische
uer seinem ursprünglichen Sehen nach
cher Satiriker bleibt; es bildet nur einen
Künstler Grillparzer, daß er — die ange¬
send — auch Gestalten und Seelenlagen,
geschaut und gewürdigt sind, klassizistische
selbst Bankban im „Treuen Diener bleibt
box 36/6
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Alt=Österreichs letzte Dichtung (8190—1914).
denn doch (trotz dem Wust der oft geistrollen Rettungen)
für naive Gemüter zunächst ein Anblick zum Lachen, und wird
erst dadurch ein Anblick zum Weinen, daß er das Heldenlos
in einer Haupt= und Staatsaktion zu tragen hat. Im Lager
Grillparzers aber ist Oesterreich: Der Kampf, nach einem Sturm¬
und=Drang=Wort, brütet „Kolosse und Extremitäten“ aus — die
Windstille der Metternich= dann Kompromiß=Monarchie brütet
Finessen und Subtilitäten aus: Nur in so vollkommener Stille
atmen Grillparzers zuweilen fast an Shakespeare, fast an Rem¬
brandt streifende Porträts, vorzüglich Grillparzers Frauen,
seltsam durchwogt von allen Mozartisch süßen und bitteren
Seligkeiten — Geschöpfe wie sie sonst allein dem Größten an
der Ilm begegnet sind. Allein in solcher Ruhe gedeihen die
Wälder Adalbert Stifters, mythische Witiko=Wälder gleich
denen wo Herzeloyde den jungen Parzival hegt — oder auch
Stifters Gänge und Stuben und Vitrinen, in denen Jahrzehnte
sind wie Sekunden, Tropfen im Ozean göttlichen Seins (ein
Hauch hiervon schwingt noch in Rilkes „Stundenbuch'); in
Stifters Natur ist die Erde überall riechbar und die Temperatur
geradezu sichtbar (wie vielleicht nur bei Goethe, etwa im Ab¬
schnitt Palermo der „Italienischen Reise“ wo man die Wärme
geradezu tasten zu können vermeint); auch das Licht ist bei
Stifter — wie sonst wieder nur bei Goethe und manchmal
bei Keller — ein raumerfüllender Körper, nicht bloß ein maleri¬
scher Reiz oder gar ein Beleuchtungs=Effekt, wie bei den meisten
poetischen Realisten. Dasselbe Gestirn, die welterhabene Stärke
der weltentsagenden Ruhe, erglänzt dann auch am milden
Abendhimmel Ferdinand von Saars und über der gesellig¬
höfischen, so leidens=tiefen wie fassungs=hohen, Dichtung der
Ebner=Eschenbach. Ueberall um den Preis der Handlungs¬
und Bewegungslosigkeit die abgründigste Feinheit und Ver¬
wickeltheit, die grandiose Konzentration auf das lautere, ewige
Sein! Und als am Ende des Jahrhunderts Friedrich Nietzsche,
gleich dem Jupiter auf dem jüngsten Gericht der Sistina, den
Blitz aus dem Haupt reißt und über versumpfte Rasse ein
faustisches Pan und Plus ultra hängt, das „Kriegerisch und ge¬
fährlich leben“, das „Vivre et mourir en roi“ das Wormser
Dennoch“ Luthers und das Huttensche „Ich hab's gewagt“ eines
Ritters trotz Tod und Teufel, da findet in Oesterreich wieder
nicht Nietzsches Mönchisch=Soldatisches Widerhall, vielmehr das
Artistische Nietzsches, die zarten nicht schroffen Züge, natürlich
auch die internationalen und die dekadenten, das „Halkyonische“.
und „Dionysische“ nicht das „Heroische“ und „Friderizianische“.
In Nietzsches ungeheurer Seele eben sind beide Extreme ver¬
brückt — Nietzsche wie keiner hat einerseits alle Akzente des
faustischen „Perrumpendum est“, der Werks= nicht Glücks¬
Ethik: „Trachte ich denn nach meinem Glücke? Ich trachte nach
Nietzsche ist hier ein Bruder fast Schillers.
meinem Werke!“