VI, Allgemeine Besprechungen 1, 6, Herbert Cysarz, Seite 14

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hie
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Banz Offorints
Herbert Cysarz.
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und daß sie doch zurücklenkt in Gebild aus Sonne und Kristall):
die Wiener Metaphysik der Sinnlichkeit und Sinnlichkeit der
Metaphysik bewahrt also die weitere und weichere, verall¬
gemeinte und entbrünstete Gestaltung einer fast universalen
Systole und Diastole des Alls. So heißt es bei Richard
Schaukal, in den Erinnerungs=Betrachtungen „Großmutter (mit
dem Untertitel „Ein Buch von Leben und Tod'): „Ist nicht
der Tod im Leben, ist er nicht mitten darin, sitzt in uns, um
uns, haucht uns an und ist unser Freund und Gefährte? Nicht
ein Schlußpunkt ist der Tod, sondern ein begleitender Ton,
der durch unser ganzes Dasein rauscht. .. Alle Menschen leben
im großen Schatten des Todes, der von Gott ist und ihnen ver¬
traut sein soll wie der Duft ihrer Blumen vor dem Fenster,
wie dei Hauch ihres Mundes.“ Mynheer der Tod in öster¬
reichischer Sicht, der Wiener Tod, der Mozartische Tod: nicht
Holbeins klappernder Knochenmann, auch nicht der vornehme
Jüngling der Spanier, und nicht der symbolistische Engel mit
dem geschlängelten Schwert, vielmehr ein Duft ein Hauch ein
Schatten über allen Blüten; er tritt den Menschen nicht an,
er begleitet ihn seit der Geburt.
Ein Denkmal solcher Art und Kunst ist schon der „Garten
der Erkenntnis" Leopold von Andrians: trotz vieler fin-de¬
siecle-Preziöselei ein kostbarer Splitter von echtestem Kaiser¬
Barock — voll eines schillernden Reigens barocker Antithesen
(Ernst des Spiels, Wahrheit der Maske, Natur in der Ver¬
wesung, Beharrung durch Wandel), die aber sämtlich einmünden
in diesen weitesten Einklang von Tod im Leben und Leben im
Tod. Der gleiche Akkord ertönt auch beim frühen Beer¬
Hofmann, in der Erzählung „Der Tod Georgs“: halb Mozartisch
und halb Chopinhaft anmutende Variationen über das Thema
Jenseits im Diesseits und Diesseits im Jenseits. Auch Emil
Lucka folgt mit einem reflexionsstarken und handlungsträgen
(mehr lyrischen als epischen) Ich=Roman „Tod und Leben“ —
teils in den Wagnerischen Bahnen seines Freunds Otto
Weininger, teils auch schon mit barock=impressionistischen Ak¬
zenten. Viel musikalisch=lauterer, allerdings märchenhaft=ver¬
dünnter schwingt ein gleicher Klang auch in Thaddäus Rittners
Transparenz der Bilder und Entsubstanziiertheit der Worte.
Und eben dieses ist ein Nerv der Weltgesichte noch des
Paracelsus, der neuerdings nicht nur in Wien gründliche Aus¬
gabe (von Bernhard Aschner) und gültige Auslegung (durch
Franz Strunz) empfangen hat, sondern auch Wiedererweckung
in der Roman=Trilogie des Oesterreichers Erwin Guido
Kolbenheyer. Auch in der Dichtung Arthur Schnitzlers waltet
Eros=Thanatos! Würde und Ernst auch dieser Kunst liegt
in der Selbsttranszendenz des Spiels des Abglanzes des
Augenblicks zu dem durch solche Selbstaufhebung ebenso er¬
weckten wie verhüllten Unendlichen. Auch hier, einerlei ob in