box 36/6
Panphlets offorints
998
Josef Körner: Arthur Schnitzlers Gestalten und Probleme
nach der jeweiligen Lebensreife Lund Er¬
fahrungstiefe des Dichters verschieden
beurteilt wird, entsteht doch immer wieder
etwas durchaus Neues. Und allemal bleibt
ein unbewältigter Rest zurück, den des
Dichters mütterliche Seele zu neuem Werke
austrägt.
Ausgangs-und Mittelpunkt von Schnitz¬
lers Schaffen bildet das Problem, bildet
die Idee. Ungleich andern, — und wohl
größeren — Dichtern werden vor seinem
inneren Auge nicht zunächst Gestalten
lebendig, an deren phantastischem Traum¬
spiel sich ihm die Idee entzündet, sondern
die Idee ist zuerst da und setzt Gestalten
an. Ein erlebter oder ergrübelter „Fall“
ruft den Psychologen in unserem Dichter
auf. Er ersinnt eine Anzahl von Figuren,
die ihm den „Fall“ gleichsam vorspielen,
und so erhalten jene nur eine sekundäre
Bedeutung. Ihm ist es nicht um die indi¬
viduelle Ausgestaltung seiner erdichteten
Personen zu tun, — sie interessieren ihn
nur so weit, als er seinen „Fall“ an ihnen
studieren kann, — er sagt von ihnen nur
so viel, als für das Verständinis des Falles
unbedingt nötig ist. Arthur Schnitzler
Ferdinand Schmutzer
steht zu den Gestalten seiner Dichtung
Radierung aus dem Buche „Die Hirtenfläte“ von
Arthur Schnitzler
wie der Arzt zu seinen Patienten, der für
Folgen, die solchen Tanz in der harten Wirk¬
seine Anamnesen ja auch nicht voll¬
lichkeit zu begleiten pfiegen, schließt er die
ständiger Biographien bedarf. So findet
allzu empfindlichen Augen. Das Liebesleben
man denn in Schnitzlers Werken nahezu
des Menschen ist ihm kein soziales oder
nirgends eine Figur voll ausgemalt; er
ethisches oder gar hygienisches Problent,
gibt immer nur die Konturen. Daher die
Vorliebe, aber auch die besondere Kunst,
sondern einzig ein ganz und gar per¬
sönliches und durchaus nur psychologisches.
mit der er gerade den Einakter handhabt.
Vom Anbeginn seiner schriftstellerischen
Seiner oberflächlichen Gestaltung, die nur
Laufbahn steht die Frage nach Wesen und
das Knochengerüst des „Falles“ einwand¬
Wert menschlicher Liebesempfindungen im
frei zu bauen versteht, ist diese Skizzen¬
Mittelpunkt von Arthur Schnitzlers Denken
form, in der alles nur angedeutet bleibt,
und Dichten. Schon die frühen Versuche
gerade gemäß, Menschen von Fleisch und
in Vers und Prosa, die eine noch un¬
Blut kommen so freilich selten zustande,
gelenke Hand auf die Blätter einer längst
wie denn auch dem Leser Schnitzlerscher
verschollenen Wiener Zeitschrift schrieb!),
Bücher weniger die Gestalten im Gedächt¬
ringen in Ironie oder Pathos mit den nie
nis verbleiben, als vielmehr Szenen, Dis¬
„Fälle“. Die
gelösten Problemen, die noch die reifen
kussionen, Probleme
Werke des Dichters verhandeln. Dasäußere
sekundäre Bedeutung der mitunter zu
Thema und Scheme seiner Schöpfungen
bloßen Hilfskonstruktionen herabsinkenden
ist fast immer das gleiche; aber indem es
Figuren zeigt sich ja auch schon äußerlich
jedesmal von einer anderen Seite besehen,
in ihrer schlecht oder gar nicht verhüllten
Berufslosigkeit. Berufe, die ein Festsitzen,
von geändertem Standpunkt aus erörtert,
eine regelmäßige Tagesarbeit erfordern,
„An der Schönen Blauen Donau.“ Belle¬
sind von den Schnitzlerschen Gestalten
tristisch-musikalische Zeitschrift. Ig. IV—VI (Wien
1889—1891).
streng gemieden, und wird auch der eine
Panphlets offorints
998
Josef Körner: Arthur Schnitzlers Gestalten und Probleme
nach der jeweiligen Lebensreife Lund Er¬
fahrungstiefe des Dichters verschieden
beurteilt wird, entsteht doch immer wieder
etwas durchaus Neues. Und allemal bleibt
ein unbewältigter Rest zurück, den des
Dichters mütterliche Seele zu neuem Werke
austrägt.
Ausgangs-und Mittelpunkt von Schnitz¬
lers Schaffen bildet das Problem, bildet
die Idee. Ungleich andern, — und wohl
größeren — Dichtern werden vor seinem
inneren Auge nicht zunächst Gestalten
lebendig, an deren phantastischem Traum¬
spiel sich ihm die Idee entzündet, sondern
die Idee ist zuerst da und setzt Gestalten
an. Ein erlebter oder ergrübelter „Fall“
ruft den Psychologen in unserem Dichter
auf. Er ersinnt eine Anzahl von Figuren,
die ihm den „Fall“ gleichsam vorspielen,
und so erhalten jene nur eine sekundäre
Bedeutung. Ihm ist es nicht um die indi¬
viduelle Ausgestaltung seiner erdichteten
Personen zu tun, — sie interessieren ihn
nur so weit, als er seinen „Fall“ an ihnen
studieren kann, — er sagt von ihnen nur
so viel, als für das Verständinis des Falles
unbedingt nötig ist. Arthur Schnitzler
Ferdinand Schmutzer
steht zu den Gestalten seiner Dichtung
Radierung aus dem Buche „Die Hirtenfläte“ von
Arthur Schnitzler
wie der Arzt zu seinen Patienten, der für
Folgen, die solchen Tanz in der harten Wirk¬
seine Anamnesen ja auch nicht voll¬
lichkeit zu begleiten pfiegen, schließt er die
ständiger Biographien bedarf. So findet
allzu empfindlichen Augen. Das Liebesleben
man denn in Schnitzlers Werken nahezu
des Menschen ist ihm kein soziales oder
nirgends eine Figur voll ausgemalt; er
ethisches oder gar hygienisches Problent,
gibt immer nur die Konturen. Daher die
Vorliebe, aber auch die besondere Kunst,
sondern einzig ein ganz und gar per¬
sönliches und durchaus nur psychologisches.
mit der er gerade den Einakter handhabt.
Vom Anbeginn seiner schriftstellerischen
Seiner oberflächlichen Gestaltung, die nur
Laufbahn steht die Frage nach Wesen und
das Knochengerüst des „Falles“ einwand¬
Wert menschlicher Liebesempfindungen im
frei zu bauen versteht, ist diese Skizzen¬
Mittelpunkt von Arthur Schnitzlers Denken
form, in der alles nur angedeutet bleibt,
und Dichten. Schon die frühen Versuche
gerade gemäß, Menschen von Fleisch und
in Vers und Prosa, die eine noch un¬
Blut kommen so freilich selten zustande,
gelenke Hand auf die Blätter einer längst
wie denn auch dem Leser Schnitzlerscher
verschollenen Wiener Zeitschrift schrieb!),
Bücher weniger die Gestalten im Gedächt¬
ringen in Ironie oder Pathos mit den nie
nis verbleiben, als vielmehr Szenen, Dis¬
„Fälle“. Die
gelösten Problemen, die noch die reifen
kussionen, Probleme
Werke des Dichters verhandeln. Dasäußere
sekundäre Bedeutung der mitunter zu
Thema und Scheme seiner Schöpfungen
bloßen Hilfskonstruktionen herabsinkenden
ist fast immer das gleiche; aber indem es
Figuren zeigt sich ja auch schon äußerlich
jedesmal von einer anderen Seite besehen,
in ihrer schlecht oder gar nicht verhüllten
Berufslosigkeit. Berufe, die ein Festsitzen,
von geändertem Standpunkt aus erörtert,
eine regelmäßige Tagesarbeit erfordern,
„An der Schönen Blauen Donau.“ Belle¬
sind von den Schnitzlerschen Gestalten
tristisch-musikalische Zeitschrift. Ig. IV—VI (Wien
1889—1891).
streng gemieden, und wird auch der eine