VI, Allgemeine Besprechungen 1, 6, Josef Körner Gestalten und Probleme, Seite 5

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Panphletsoffarints
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Josef Körner: Arthur Schnitzlers Gestalten und Probleme
sicherlich ein reineres Kunstwerk geworden,
wenn der Dichter die versonnenen Ge¬
stalten dieses Problemstückes nicht in
die unbequeme modische Kleidung ge¬
zwängt hätte. Denn die Glaubhaftigkeit
seiner Gestalten, das Verständnis seiner
Problematik kann durch die märchenhafte
Einkleidung nur gewinnen, durch Einord¬
nung in eine realistisch abgeschilderte Ge¬
genwart nur verlieren. Schnitzler zeichnet
lauter Menschen, die sich ein eigenes und
gerade das liebste Geschäft daraus machen,
gleichsam in der Mitte ihrer Empfindungen
zu leben. Aber gibt es in unserer arbeits¬
erfüllten Zeit wirklich noch Menschen, die
darin so wenig von der Außenwelt gestört,
Menschen, die von ihren eigenen Ver¬
hältnissen so dringend veranlaßt werden,
sich derart in ihren Gefühlen zu verlieren,
so anhaltend über ihnen zu verweilen, sie
so dauernd und so mächtig in sich herrschend
werden zu lassen? Vielleicht war der¬
gleichen nie und nirgends möglich, aber
in eine ideale Ferne von Zeit und Ort
gerückt, erscheint uns ja alles um so vieles
wahrscheinlicher.
Und die Märchenform gewährt dem
Ferdinand Schmutzer
Radierung aus dem Buche „Die Hirtenflöte“ von
Dichter noch einen weiteren nicht zu
Arthur Schnitzler
unterschätzenden Vorteil. Arthur Schnitzlee
##lt unentrinnbar verbunden sind, und
steht zu seinen eigenen Geschöpfen in so
erzeben die handelnden Personen in eine
naher Deziehung, ist geradezu bemüht,
freiere — sprechen wir es ruhig aus: in
zwischen sich und ihnen keine Distanz zu
eine Märchenwelt. Gleichem Zwecke dienen
wahren, daß er oft dadurch allein sich und
die einleitenden Worte der auch dem In¬
sein Publikum um die besten Absie
halte nach völlig märchenhaften „Hirten¬
betrügt. Statt über seinen Gestalten zn
flöte“.
stehen, steht er gewissermaßen bei allen
Aber nicht nur in den Erzählungen,
oder gegen alle. Da mag es ihm, sobald er
auch in der anspruchsvolleren Form des
eine Tendenz oder eine moralische Anschau¬
Dramas nähert sich Schnitzler, wo es ihm
ung verfechten will, leicht widerfahren,
um besonders tiefgründige Problematik zu
daß er zuletzt bei einem Standpunkt hält,
tun ist, dem Märchen; „Der Schleier der
den er doch eigentlich bekämpfen wollte.
Beatrice“ „Der junge Medardus“, „Der
„Freiwil““, als Kampfstück gegen das Duell
Ruf des Lebens“ sind anders gar nicht zu
geschrieben, führt einen Fall vor, der eher
verstehen, denn das historische oder pfeudo¬
die Notwendigkeit des Zweikampfes er¬
historische Element in diesen Stücken hat
weisen müßte; im „Einsamen Weg“ will
ja keine andere als eine gleichsam musi¬
Schnitzler die be#enkenlosen Genießer
kalische oder pittoreske Absicht: eine be¬
geißeln, — aus jeder Zeil erfühlt man,
sondere Stimmung zu erzeugen, einen
wie er sie liebt; und wessen Partei er in
bestimmten farbigen Hintergrund abzu¬
den Kämpfen des „Professor Bernhardi“.
geben, das märchenhafte Bild in einen
ergreifen möchte, daran ist der Dichter
angemessenen Nahmen zu spannen. Leider
wohl unter der Arbeit selber irre geworden.
konnte sich Schnitzler nicht immer zu
Diese allzu innige Anteilnahme, das peinlich
solchem freieren Gestalten entschließen: das laute: mea res agitur, weiß Schnitzler nur
Schauspiel „Der einsame Weg“ wäre zu vermeiden, wenn er seine Gestalten