VI, Allgemeine Besprechungen 1, 6, Josef Körner Gestalten und Probleme, Seite 11

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1. Pamphletsofforints
Josef Körner: Arthur Schnitzlers Gestalten uvd Probleme
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kennens“. Und nur selten begegnet man
Typik in die Problematik des Dichters ein¬
in Schnitzlers Werken einem ehrlichen
getreten, denn das Rätselwesen Weib ist
Feinde solcher „Herzensschlampereien“. In
nicht mehr Gestalt, sondern Inhalt seiner
diesem Punkte sind sie sich gleich, die
Dichtung. Die Mädchen und Frauen
Männlein und die Weiblein. „Das Weib,
seiner reichsten Werke verspüren alle eine
heißt es im „Anatol“, „ist ein Rätsel, so sagt
tiefe Sucht nach Abenteuern, der sie ent¬
man. Was für ein Rätsel wären wir
weder erliegen („Der Ruf des Lebens“:
erst für das Weib, wenn es vernünftig
Marie; „Das weite Land“: Erna) oder
genug wäre, über uns nachzudenken.“
vor der sie in den Tod flüchten (Der ein¬
Schnitzlers Helden sind vernünftig genug,
same Weg“: Johanna). Die eine kehrt
über sich und das Weib gründlich nachzu¬
nach dem ersten Erlebnis angeekelt und
denken, und da schwinden die Begriffe
erschreckt zu bürgerlicher Wohlanständigkeit
von Schuld und Sühne dahin. So spricht
zurück („Frau Berta Garlan“), eine an¬
auch der Held des Puppenspiels zuletzt:
dere schleppt ihren Leib durch Gossen und
Königspaläste („Die Hirtenflöte"). Bea¬
Nein, Liesl, ich bin auch nicht treuer
trice betrügt den Dichter mit dem Herzog
Und nachher darf ich dir verzeihn.
und den Herzog mit dem Dichter. Cäcilie
Aber ist das noch Liebe? Haben die
(„Zwischenspiel“) schwankt zwischen dem
erotischen Empfindungen und Erlebnisse
Gatten und dem Geliebten hin und her.
dieser hemmungslos jeder Versuchung er¬
Und Königin Maja!) gesteht es scham¬
liegenden Menschen auch nur das geringste
los dem Gemahl: „Den lieb ich,
mit dem hohen Gefühl gemein, für das
König, der mich trunken macht.“ Tiefste
die deutsche Sprache das Wort Liebe be¬
Trunkenheit aber lockt von dort, wo in
sitzt? Es bedarf keiner moralischen Tiraden,
letzter Liebeslust das Leben verglüht, —
der Dichter selbst hat zu wiederholten
wenn Eros und Thanatos sich umarmen.
Malen die Verneinung ausgesprochen.
Im „Schleier der Beatrice“, im „Ruf des
Dem Herrn von Sala („Der einsame
Lebens“, im „Jungen Medardus“ spielt
Weg“) legt er diese Worte in den Mund:
so der Tod zum letzten wilden Tanze auf.
„Lieben heißt, für jemand andern auf der
Und diese — die einzigen ihr noch un¬
Welt sein... Was hat das, was unser¬
bekannten — Sensationen will die Her¬
einer in die Welt bringt, nät Liebe zu
zogin des Puppenspiels durchkosten, wenn
tun? Es mag allerlei Lustiges, Verloge¬
sie sich in die Arme des vermeintlichen
nes, Zärtliches, Gemeines, Leidenschaft¬
Moriturus wirft.
liches sein, das sich als Liebe ausgibt, aber
Wie die blasierte Herzogin von diesen
Liebe ist es doch nicht.“ Und der Herzog
morbiden Reizen sich angesprochen fühlt,
von Bentivoglio („Der Schleier der Bea¬
so erliegt Liesl, die Beatricen gleich den
trice“) gesteht:
Geliebten mit einem Herzog betrügt,
dessen derberer Anziehungskraft. Ein
oft genug hab ich versucht,
Rattenkönig von Untreue — höchst be¬
Dem sich so viele Wunder offenbarten,
zeichnend für einen Dichter, der bald mit
Auch dies zu kennen, das Ihr Liebe nennt.
feuchtem Blick, bald mit höhnisch gekräusel¬
Ich weiß von Wunsch und Lust und Über¬
ten Lippen wider den Irrglauben an
druß —
Liebestreue predigt. Was mit frechem
Das Wunder fühlt' ich nie.
Lustspielhumor „Anatols Hochzeitsmorgen“
Darum wissen Schnitzlers Betrogene
zum Besten gibt, was im „Reigen“ Kunst¬
auch nur ihre Eitelkeit verletzt, nicht das
mittel und tiefster Gehalt zugleich ist, das
gefühllose Herz getroffen; ihnen geht
wiederholen in nachdenklicherer Ausge¬
nicht eine Welt unter, — eine schmerz¬
staltung Episoden des „Einsamen Wegs“.
liche Erkenntnis geht ihnen auf.
des „Weiten Landes“ des „Mörders“, des
„Wegs ins Freie“, der „Stunde des Er¬
Indem ich nämlich alles versteh,
Fühl' ich nicht Groll, nur leises Weh, —
1) Alkandi's Lied. Dramatisches Gedicht in
läßt sich der Held des Puppenspiels ver¬
einem Aufzuge. (An der Schönen Blauen Donau
nehmen. Und Frau Genia („Das weite
V, S. 398—400, 424—426.)