VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Friedrich Thieberger, Seite 6

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1. Panphiets, offprints
170 Fr. Thieberger, Grundzüge des jüngstverflossenen Literaturabschnittes.
ziertheit jener Heroen, sondern die vornehme Gelassenheit, mit dem äußeren
Klangwerte ihrer Namen eine Wirkung hervorzurufen, führte die jugendlichen
Federn. Das Verantwortlichkeitsgefühl der Vergangenheit und der Zukunft
gegenüber sollte aber das Gewissen des kritischen Wächters sein. Die Früh¬
reife der Zeitungskritiker ist eine der bemerkenswertesten Erscheinungen der
letzten Jahre. Sie geht parallel mit der Frühreise der lyrischen Debütanten.
Dabei denke ich nicht nur an die erstaunliche technische Höhe des jungen
Hofmannsthal, Rilke usw., sondern an die zumindest ebenso große ihrer zahl¬
losen Nachahmer. In technischen Dingen läßt sich eben ins Unabsehbare vor¬
wärtsdringen. Es gilt auch von der sprachlichen Materie dasselbe, wie von
jeder physikalischen: ist einmal die Methode für ihre Bezwingung in irgend
einer Richtung gefunden, dann ist sie in dieser Richtung für immer bezwingbar.
Technisch ist alles nachzuahmen. Das gilt in erster Linie für die Technik des
Wortes. Man schlage irgend eine Seite bei Thomas Mann und bei Gottfried
Keller auf! Beim modernen Dichter, der dem großen Schweizer der Arbeits¬
weise nach nicht unverwandt ist, fesselt die bewußt gedrängte Fixierung des
Begriffes und eine Differenzierungskunst der Sprachform, die — losgelöst vom
Eindruck des Gesamtinhaltes — den Verstand des Lesers mit Entschiedenheit
zwingt, einem eigenartigen Gedankenweg nachzuspüren. Keller drängt ängstlich
jeden allzu auffallenden oder maßlosen sprachlichen Ausdruck zurück und zeigt
trotzdem eine so große schöpferische Kraft, daß uns sogar seine köstlichen Neu¬
bildungen mit ihrer schlichten Selbstverständlichkeit ergreifen und wie seine
übrigen Worte, auf die der Dichter eine leise Betonung legt, mit einer Art
heimlicher Musik das Herz öffnen und befreien.
Psychologisch betrachtet, hängt die Prätention der Worttechnik mit einer
Verminderung der Reaktionskraft zusammen, welche die alten Wortsuggestive
ausüben. Die Sprache sucht nach wirksameren Reizmitteln, um eine bestimmte
Nuance in unserem Vorstellungs= oder Gefühlsleben auszulösen. Je nervöser
ein Zeitalter ist, desto ungewohnter müssen seine Sprachmittel werden, um das
Gleichgewicht zwischen äußerem und innerem Leben zu erhalten. Die Erfahrung
lehrt nun, daß sich der gedankliche Gehalt eines Wortes viel weniger abnützt
als sein Gefühlswert. Darum verblassen Werke poetischer Fassung, die doch
mmer auf Gemütswirkungen ausgehen, so schnell gegenüber den Werken
deren sprachliches Material lediglich Gedankeninhalte zu konservieren hat.
Unsere Epoche, vom nervenzermürbenden Industrialismus wie keine zweite
erfaßt, hat das gelassene Verweilen bei den stillen Feinheiten eines Kunst¬
werkes verlernt, es bedurfte eines stärkeren Anreizes als früher, den Genießer
festzuhalten und zu beschäftigen; aber nicht bloß stofflich durch Varieté¬
Spannung — man denke an den Erfolg der Dedektivromane, des Überbrettl¬
wesen oder selbst des „Tunnel“ in der Musik an die massengewaltigen Auf¬
führungen Mahlerscher Symphonien, in der Regie an Reinhardts Riesen¬
theater — sondern auch nach der Seite der einzelnen Wortwahl hin. Und so
ist aus all dem Gesagten erklärbar, daß gedanklich beschwerte und ungewöhn¬
liche Wortzusammenstellungen mit ihrem retardierenden Einfluß von den
Dichtern unseres Zeitraumes am liebsten gesucht und geprägt wurden. In
rage
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mystisch
Wider
sagten,
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bäume
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ter
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