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1. Pamphlets, offprints
172 Fr. Thieberger, Grundzüge des jüngstverflossenen Literaturabschnittes.
hebt er die normale Mittellage seiner Stimme um eine Oktave und in dieser
gleichmäßigen Höhe singt er seine Verse, die „ayndungsvoll“, wie erlöst von
allem Leben mit ihren schwebenden Klangarabesken verhauchen.
Aber nicht auf die Lyrik allein blieb die Poesie der kostbaren Worte
beschränkt, wiewohl sie sich naturgemäß auf diesem Gebiete am reichsten ent¬
falten konnte. Roman und Essai blieben von ihr nicht unbeeinflußt (Heinrich
Mann, Kellermann, Wassermann) und sogar das Drama dieser Richtung
— von Hofmannsthals eigenen Versuchen abgesehen — schien mit Beer=Hof¬
manns „Grafen von Charolais“ und noch lauter mit Hardts „Tantris“ nicht
zu übersehende Erfolge errungen zu haben. Denn mit einer Art ruhiger Ge¬
lassenheit wußte man sich auch an dramatischen Worten graußiger Vorstellungs¬
inhalte „wie von ferne“ zu weiden, wenn nur die Vokale und Konsonanten
den großen, schwebenden Klang trafen. Bedenklich nähert sich der Grundzug
dieser Poesie dem sprachlichen Formalismus in der zweiten Hälfte des siebzehnten
Jahrhunderts. Auch damals — Hofmannswaldau und Lohenstein schweben
einem zunächst vor — die Freude am kostbaren Wortklang, am estilo culto,
selbst in der Darstellung des Widerwärtigen und Krankhaften; auch damals
der ästhetische Parfüm im Dichten und Leben reicher und müder Poeten;
auch damals die weichliche Abhängigkeit von einem Ausland (besonders
Italien), das, überreif geworden, nach Nervensensationen Ausschau hielt. Nur
darin müssen wir einen Unterschied zwischen damals und heute machen, daß
die Schriftsteller unserer Tage, als Erben einer großen dazwischenliegenden
Kultur mit einem viel feineren und reicher ausgebildeten gedanklichen Apparat
an die Gegenstände des Lebens herantreten können. Formell aber fühlen wir
heute schon den Anhauch des Überreizt=Manierierten, geradezu Koketten in der
Poesie des großen Wortes, sowie uns längst die Erhabenheit des siebzehnten
Jahrhunderts in Lächerlichkeit gewendet erscheint. Die Analogie zum siebzehnten
Jahrhundert stellt uns aber noch ein anderes Sympton unserer Zeit ins ge¬
hörige Licht: Die Kluft zwischen der Kunst und dem Volk. Dabei verstehen
wir unter Volk nicht wie zur Zeit des Naturalismus die auf Feldern
und in den Fabriken arbeitenden Menschenmassen, sondern alle jene, die nicht
direkt schaffende Künstler, „Astheten“ oder Kritiker sind. Es ist ja richtig, daß
die Dichter ihrer Epoche immer vorauseilen, aber die Parallele zum siebzehnten
Jahrhundert gibt zu denken und der Umschwung der jetzigen Verhältnisse wird
gewiß nicht die Literatur der letzten zwanzig Jahre volkstümlich machen. Denn
jede Poesie des Luxus — soweit reicht unsere literarhistorische Erkenntnis schon
zurück — erscheint als ein Luxus der Poesie. Die Zeiten, in denen die Poesie
nur als eine schöne aber entbehrliche Verzierung des alltäglichen Lebens an¬
gesehen wird, sind immer ohne Kraft und Volkstümlichkeit gewesen. Das Volk,
als künstlerischer Genießer, wendet sich in gesundem Empfinden gegen gedanklich
anstrengende Wortkomplexe, in denen noch der Kampf des Nachdenkens nicht
ausgetobt hat und das neue Gefühl, dessen Gefäß sie sein sollen, nicht frei
und befreiend empfunden wird. Ja, lieber läßt es sich von einer minderwertigen
Scheinkunst täuschen, den mystischen Genuß des Wortklanges als wesentliche
Kunstforderung vollends wird ein gesundes Volk nie begreifen.
1. Pamphlets, offprints
172 Fr. Thieberger, Grundzüge des jüngstverflossenen Literaturabschnittes.
hebt er die normale Mittellage seiner Stimme um eine Oktave und in dieser
gleichmäßigen Höhe singt er seine Verse, die „ayndungsvoll“, wie erlöst von
allem Leben mit ihren schwebenden Klangarabesken verhauchen.
Aber nicht auf die Lyrik allein blieb die Poesie der kostbaren Worte
beschränkt, wiewohl sie sich naturgemäß auf diesem Gebiete am reichsten ent¬
falten konnte. Roman und Essai blieben von ihr nicht unbeeinflußt (Heinrich
Mann, Kellermann, Wassermann) und sogar das Drama dieser Richtung
— von Hofmannsthals eigenen Versuchen abgesehen — schien mit Beer=Hof¬
manns „Grafen von Charolais“ und noch lauter mit Hardts „Tantris“ nicht
zu übersehende Erfolge errungen zu haben. Denn mit einer Art ruhiger Ge¬
lassenheit wußte man sich auch an dramatischen Worten graußiger Vorstellungs¬
inhalte „wie von ferne“ zu weiden, wenn nur die Vokale und Konsonanten
den großen, schwebenden Klang trafen. Bedenklich nähert sich der Grundzug
dieser Poesie dem sprachlichen Formalismus in der zweiten Hälfte des siebzehnten
Jahrhunderts. Auch damals — Hofmannswaldau und Lohenstein schweben
einem zunächst vor — die Freude am kostbaren Wortklang, am estilo culto,
selbst in der Darstellung des Widerwärtigen und Krankhaften; auch damals
der ästhetische Parfüm im Dichten und Leben reicher und müder Poeten;
auch damals die weichliche Abhängigkeit von einem Ausland (besonders
Italien), das, überreif geworden, nach Nervensensationen Ausschau hielt. Nur
darin müssen wir einen Unterschied zwischen damals und heute machen, daß
die Schriftsteller unserer Tage, als Erben einer großen dazwischenliegenden
Kultur mit einem viel feineren und reicher ausgebildeten gedanklichen Apparat
an die Gegenstände des Lebens herantreten können. Formell aber fühlen wir
heute schon den Anhauch des Überreizt=Manierierten, geradezu Koketten in der
Poesie des großen Wortes, sowie uns längst die Erhabenheit des siebzehnten
Jahrhunderts in Lächerlichkeit gewendet erscheint. Die Analogie zum siebzehnten
Jahrhundert stellt uns aber noch ein anderes Sympton unserer Zeit ins ge¬
hörige Licht: Die Kluft zwischen der Kunst und dem Volk. Dabei verstehen
wir unter Volk nicht wie zur Zeit des Naturalismus die auf Feldern
und in den Fabriken arbeitenden Menschenmassen, sondern alle jene, die nicht
direkt schaffende Künstler, „Astheten“ oder Kritiker sind. Es ist ja richtig, daß
die Dichter ihrer Epoche immer vorauseilen, aber die Parallele zum siebzehnten
Jahrhundert gibt zu denken und der Umschwung der jetzigen Verhältnisse wird
gewiß nicht die Literatur der letzten zwanzig Jahre volkstümlich machen. Denn
jede Poesie des Luxus — soweit reicht unsere literarhistorische Erkenntnis schon
zurück — erscheint als ein Luxus der Poesie. Die Zeiten, in denen die Poesie
nur als eine schöne aber entbehrliche Verzierung des alltäglichen Lebens an¬
gesehen wird, sind immer ohne Kraft und Volkstümlichkeit gewesen. Das Volk,
als künstlerischer Genießer, wendet sich in gesundem Empfinden gegen gedanklich
anstrengende Wortkomplexe, in denen noch der Kampf des Nachdenkens nicht
ausgetobt hat und das neue Gefühl, dessen Gefäß sie sein sollen, nicht frei
und befreiend empfunden wird. Ja, lieber läßt es sich von einer minderwertigen
Scheinkunst täuschen, den mystischen Genuß des Wortklanges als wesentliche
Kunstforderung vollends wird ein gesundes Volk nie begreifen.