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1. PanphletsOffrints
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die brutale Bekämpfung, wie solche Freund Kraus hin und wieder in der „Gesell¬
schaft“ betrieben hat; denn die Derndenet hal ihre Existenzberechtigung im
litterarischen Leben der Gegenwart. Es ist die Poesie des absterbenden Bourgeois¬
geschlechtes, das von der Juli=Revolution ab in der Litteratur hoffähig wurde
(Spielhagen, Freytag) Es sind nichts mehr, denn die letzten Zuckungen einer dem
Untergange geweihten, verweichlichten und verflachten (Marlitt, Bürstenbinder)
Generation. Weder diese, noch auch ihre Dichter sind reif für die neue Welt, und
das eben ist ihre tragische Schuld. Einer von den begabtesten, weil aufrichtigsten,
Dekadenten (Arthur Schnitzler), auf den ich im Verlauf noch zurückkommen werde,
gesteht das selbst ein. Die es nicht einbekennen, fi#den es wenigstens, aber die süße
Gewohnheit, das wollüstige Milien vernichtet in ihnen den letzten Funken Willens¬
kraft Sie sind bankrott, noch ehe sie recht spekuliert haben Ihre Agonie ist zugleich
die Agonie der Kaste, der sie entsprossen sind. Eben darum gebührt ihnen, wie keiner
andern Richtung, der Titel: Dichter der Gegenwart.
Ein anderes ist es, gegen diese Nervenpoeten mit satirischen Waffen in's Feld
zu ziehen. Was dem Ernste mit aller Mühe nicht gelingt, fällt oftmals dem Humor
ohne weiteres in den Schoß Als echte Salonmenschen fürchten die Dekadenten jeden¬
falls nichts mehr, als die Blamage, und Blamage, unsterbl'che Blamage kann ihnen
ein guter Satiriker in Hülle und Fülle bieten, zumal jeder Dekadent, dank seiner
Neigung zur Pose, zur guten Hälfte aus Achillesfersen besteht. Der nun im Stile
des Rabelais und Grimmelshausen schreibende Anton Lindner, hat diesen Weg mit
großem Erfolg eingeschlagen; *) Die Deendenee ob auch eristenzberechtigt, vergiftet
den litterarischen Nachwuchs, vom Publikum ganz abgesehen. Freilich ausrotten wird
sie auch der Satiriker Lindner nicht Die Deenlenee steht und fällt eben nur mit
dem Viers-clat
es handelt sich lediglich um ein ausgiebiges Gegengewicht,
ein prophylaktisches Mittel gegen die bektisch=neuralgische Poesie der Hermaphroditen,
in deren litterarischem Organismus anstatt Blut eine Mischung von Morphium und
odeur de semnes fließt.
Die Meenienee ist, wie sich schon von selber versteht, kein spezifisch deutsches
Gewächs, wenn sie auch bei uns ihre größten Triumphe feiert. Das Hirn des
Deutschen ist denn doch viel zu schwerfällig, um derlei pikante Nippes zum Gebrauch
der vom lin-de-siecle angekränkelten Menschenkinder auszutüfteln. Das muß schon
dem litterarischen Obersthaushofmeister jenseits des Elsaß überlassen werden, der
besorgt es auch in gewohnter, redlicher Weise = ob zu Nutz und Frommen seiner
gehorsamen Zöglinge, ist freilich eine andere Frage. Was vom Ausland importiert
wird — mögen es nnn Hosenstoffe oder Litteraturwerke sein, ganz egal! — ist, wie
bekonnt, aus der Maßen trefflich und wird mit Jubrunst gekauft und getragen,
beziehentlich: gelesen und nachgebetet, wahrscheinlich um den unglückseligen National¬
stolz zu fühnen, den wir uns nie ganz abgewöhnen können und der uns von jeher
soviel Knüppel in den Weg geworfen hat. In Nord=Deutschland sand das Senfkorn
der Deendenee ullerdings keinen besonders günstigen Boden. Die Luft ist zu scharf,
zu brüsk für die zarten Mimosen, deren Wachsthum einzig putride Erde und Glas¬
haustemperatur verbürgt. Wilhelm Arent, der beinahe ebenso viele Gedichtbücher
herausgegeben hat, als er Jahre zählt, macht zwar sehr oft ein recht dekadentes
Gesicht, aber seine erstannliche Mimenequilibristik führt den Beobachter ebenso oft
irre Sudermann ist einmal „Naturalist für Minderbemittelte“ geheißen worden mit
demselben Recht kann man Arent einen Dekadenten für Minderbemittelte nennen. Es
fehlt ihm der Schliff, die Kunst oder Künstlichkeit der waschechten Sensitivisten, und
wenn er noch so sehr posirt
er ist darin ein Meister! — bleibt er denn doch ein
beträchtliches Stück hinter diesen zurück. Aus Ehrgeiz nun, willens, fsich irgendwie
im Chorns der wie einer von ihnen: Peter Altenberg seine Mitstrebenden, u. z.
*) Im „Magazin für Litteratur“.
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die brutale Bekämpfung, wie solche Freund Kraus hin und wieder in der „Gesell¬
schaft“ betrieben hat; denn die Derndenet hal ihre Existenzberechtigung im
litterarischen Leben der Gegenwart. Es ist die Poesie des absterbenden Bourgeois¬
geschlechtes, das von der Juli=Revolution ab in der Litteratur hoffähig wurde
(Spielhagen, Freytag) Es sind nichts mehr, denn die letzten Zuckungen einer dem
Untergange geweihten, verweichlichten und verflachten (Marlitt, Bürstenbinder)
Generation. Weder diese, noch auch ihre Dichter sind reif für die neue Welt, und
das eben ist ihre tragische Schuld. Einer von den begabtesten, weil aufrichtigsten,
Dekadenten (Arthur Schnitzler), auf den ich im Verlauf noch zurückkommen werde,
gesteht das selbst ein. Die es nicht einbekennen, fi#den es wenigstens, aber die süße
Gewohnheit, das wollüstige Milien vernichtet in ihnen den letzten Funken Willens¬
kraft Sie sind bankrott, noch ehe sie recht spekuliert haben Ihre Agonie ist zugleich
die Agonie der Kaste, der sie entsprossen sind. Eben darum gebührt ihnen, wie keiner
andern Richtung, der Titel: Dichter der Gegenwart.
Ein anderes ist es, gegen diese Nervenpoeten mit satirischen Waffen in's Feld
zu ziehen. Was dem Ernste mit aller Mühe nicht gelingt, fällt oftmals dem Humor
ohne weiteres in den Schoß Als echte Salonmenschen fürchten die Dekadenten jeden¬
falls nichts mehr, als die Blamage, und Blamage, unsterbl'che Blamage kann ihnen
ein guter Satiriker in Hülle und Fülle bieten, zumal jeder Dekadent, dank seiner
Neigung zur Pose, zur guten Hälfte aus Achillesfersen besteht. Der nun im Stile
des Rabelais und Grimmelshausen schreibende Anton Lindner, hat diesen Weg mit
großem Erfolg eingeschlagen; *) Die Deendenee ob auch eristenzberechtigt, vergiftet
den litterarischen Nachwuchs, vom Publikum ganz abgesehen. Freilich ausrotten wird
sie auch der Satiriker Lindner nicht Die Deenlenee steht und fällt eben nur mit
dem Viers-clat
es handelt sich lediglich um ein ausgiebiges Gegengewicht,
ein prophylaktisches Mittel gegen die bektisch=neuralgische Poesie der Hermaphroditen,
in deren litterarischem Organismus anstatt Blut eine Mischung von Morphium und
odeur de semnes fließt.
Die Meenienee ist, wie sich schon von selber versteht, kein spezifisch deutsches
Gewächs, wenn sie auch bei uns ihre größten Triumphe feiert. Das Hirn des
Deutschen ist denn doch viel zu schwerfällig, um derlei pikante Nippes zum Gebrauch
der vom lin-de-siecle angekränkelten Menschenkinder auszutüfteln. Das muß schon
dem litterarischen Obersthaushofmeister jenseits des Elsaß überlassen werden, der
besorgt es auch in gewohnter, redlicher Weise = ob zu Nutz und Frommen seiner
gehorsamen Zöglinge, ist freilich eine andere Frage. Was vom Ausland importiert
wird — mögen es nnn Hosenstoffe oder Litteraturwerke sein, ganz egal! — ist, wie
bekonnt, aus der Maßen trefflich und wird mit Jubrunst gekauft und getragen,
beziehentlich: gelesen und nachgebetet, wahrscheinlich um den unglückseligen National¬
stolz zu fühnen, den wir uns nie ganz abgewöhnen können und der uns von jeher
soviel Knüppel in den Weg geworfen hat. In Nord=Deutschland sand das Senfkorn
der Deendenee ullerdings keinen besonders günstigen Boden. Die Luft ist zu scharf,
zu brüsk für die zarten Mimosen, deren Wachsthum einzig putride Erde und Glas¬
haustemperatur verbürgt. Wilhelm Arent, der beinahe ebenso viele Gedichtbücher
herausgegeben hat, als er Jahre zählt, macht zwar sehr oft ein recht dekadentes
Gesicht, aber seine erstannliche Mimenequilibristik führt den Beobachter ebenso oft
irre Sudermann ist einmal „Naturalist für Minderbemittelte“ geheißen worden mit
demselben Recht kann man Arent einen Dekadenten für Minderbemittelte nennen. Es
fehlt ihm der Schliff, die Kunst oder Künstlichkeit der waschechten Sensitivisten, und
wenn er noch so sehr posirt
er ist darin ein Meister! — bleibt er denn doch ein
beträchtliches Stück hinter diesen zurück. Aus Ehrgeiz nun, willens, fsich irgendwie
im Chorns der wie einer von ihnen: Peter Altenberg seine Mitstrebenden, u. z.
*) Im „Magazin für Litteratur“.