VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Paul Czinner, Seite 6

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1. Panphlets offorints
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1e Der ierker
Sohlen wandelte, zu schreiten beginnen. Man merkt, wie seine Füße widerstreben,
wie die zarten Knie schmerzlich beben. Aber er bleibt Herr. Das erste ein Duell¬
stück mit Tendenz. Strenge Beweisführung einer Anschauung liegt ihm nicht sonderlich.
Der erste Hkt des „Vermächtnis“ stammt von einem Meister. In den folgenden
wird ohnmächtige, verzweifelte Schwäche von der rohen Gewalt kleinlicher Mensch¬
lichkeit (also Unmenschlichkeit) zertreten.
In einigen bühnenwirksamen Einaktern erscheint das Theatralische kunst¬
voll vertieft und bereichert, „Der grüne Kakadu“, „Lebendige Stunden“: Spiele
zwischen Sein und Schein, Scherz und Ernst, ein graziöses Jonglieren mit Trug,
Traum und Wirklichkeit. Stimmung und Dialogführung siegen hier. Das Geistreich¬
Anekdotische bildet den Kern. Im „Reigen“ haben wir einen modernen „Dekameron“.
Das Psychologisch-Witzige, die komische Zeichnung ist das Wertvolle. Zehn Szenen;
immer eine Frau und ein Mann, dazwischen —— Gedankenstriche. Die Sexualität
wird zum Symbol im Weltspiel. Dialoge, in denen es klar wird, daß der Dichter
Ruditäten-Poesie zu machen vermag.
Im „Schleier der Beatrice“ tritt uns wieder der Melancholiker Schnitzler
entgegen, aber müder, kranker. Einer mit der zitternden Nervosität der Überfeinen,
mit der beständigen schmerzhaften Erregbarkeit bloßgelegter Wunden, mit dem steten
Unbefriedigtsein des Raffinements, voll Selbstflucht und Zerfallsdrang. Er ist der
Gipfelpunkt in der Linie der Schnitzlerschen Skeptiker, die mit Fedor Denner im
„Märchen“ ansetzt. Mißtrauisch, eifersüchtig selbst auf Träume der Geliebten, die er
mit seinen Zweifeln und Prüfungen quält. Am Schiuß tötet er sich selbst. Warum?
Beatrice verläßt den Gestorbenen und stürmt ins Leben, wie die Frau im „Sterben“,
wie die Frau in der Novelle „Die Toten schweigen“. Dem einen Helden gegenüber
steht ein zweiter: der Herzog; ein Tatmensch, der das volle Dasein ausschöpft.
„Das Leben ist die Fülle, nicht die Zeit.“ Und zwischen beiden tanzt und lügt
Beatrice. Sie ist ein Typus. Das Weib, dem wir alle einmal begegnen, an dem
wir verbluten oder über dessen Blut wir steigen müssen. Sie verläßt einen Bräutigam
für einen Herzog, einen Herzog für einen Dichter, den toten Dichter für den lebenden
Herzog. Und schließlich wird sie selbst erstochen. Das prächtige Werk, das in
den prunkvollen Mantel der Renaissance gehüllt, einherschreitet, ist gewiß des
Dichters stärkste Schöpfung, seine größte und gelungenste nicht. Der Dichter will,
doch die Gestalten müssen nicht. Der Mangel liegt in der Schleierhaftigkeit der Beweg¬
gründe. Wo es sich um Stimmungen, Situationen, Episoden handelt, ist die Dichtung
einzig, aber es fehlt die Hebbeische Kraft und Wucht, die nötig gewesen wäre, den
Stoff zu meistern.
Schnitzler ist weder Symbolist, noch Naturalist, aber er hat von je einen
der beiden Richtungen soviel genommen, um der anderen die Wagschale zu halten.
Er ist kein Techniker, kein Ausarbeiter, kein Ausgestalte. Die inneren Vorgänge
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Thoater.
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