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box 36/8
1. Panphlets offorints
Arthur
„Anatol“, eine Sammlung von sieben reizvollen Gesprächen zwischen zwei, drei
Schnitzler
Personen, war Schnitzlers erstes Buch. Ein Wiener Buch mit dem Gegenstand
Anatol
jener nur hier so rein möglichen „Art zärtlicher Liebe ohne das Bedürfnis der
Treue“. In den einzelnen Gesprächen wechseln die Frauen, die beiden Männer
bleiben die gleichen. Der eine erlebt, der andere beredet, bespöttelt das Erlebnis.
Der Beredende heißt Max, er ist unempfindsam und darf deshalb etwa an einem
„Abschiedssouper“ durch den „hauch kalter, gesunder heiterkeit“, der von ihm
ausgeht, „die Sentimentalität des Abschieds erstarren machen", Der Erlebende aber
ist Anatol, der elegante, verwöhnte, bummelnde Dichter. Er lebt leichtsinnig und
er denkt schwermütig. Er ist verzärtelt und schwach und gefällt sich ein wenig
damit. Er hat gar nicht das Bedürfnis, stark zu sein, selbst wenn er die Fähig¬
keit dazu hätte. „Ich fühle,“ meint er, „wie viel mir verloren ginge, wenn ich
mich eines schönen Tages ,stark' fände... Es gibt so viele Krankheiten und nur
eine Gesundheit —!... Man muß immer genau so gesund wie die anderen —
man kann aber ganz ganz anders krank sein wie jeder andere." Er ist ein
Stimmungsmensch. Stimmung ist ihm das „Lebenselixier“. Halbdunkel, eine grün¬
rote Ampel, Klavierspiel, eine Farbe verändert ihm die Welt. Er genießt, aber
als Träumer und Grillenfänger. Er behauptet die Weiber zu kennen, und er
vergöttert sie doch. Er quält sich Tage und Nächte hin mit der Frage, ob ihm
eine treu sei, aber, als seine Cora in hypnotischem Schlafe die Wahrheit sprechen
könnte, da stellt er „die Frage an das Schicksal“ nicht, weil ihm doch schließlich
die „Illusion“ lieber ist als die Wahrheit. Er hat den Kopf immer voll Lieb¬
schaften, alter und neuer, er kommt sogar an seinem eigenen Polterabend nicht
allein nach hause. Er liebt vornehme und weniger vornehme Damen; einmal
ist's eine Sängerin, dann eine Zirkusdame, dann eine verheiratete Frau, die ihn
einfach als Liebhaber nahm, weil ihr Mann häßlich, dumm und langweilig war.
Und dann ist's wieder „etwas Neues: ¾ Takt ... sie erinnert mich so an einen
getragenen Wiener Walzer — sentimentale heiterkeit ... lächelnde, schalkhafte
Wehmut". Oder es ist ganz allgemein „das süße Mädl“. Und er rühmt das süße
Mädel gegenüber einer „bösen Mondaine“... „Sie ist nicht faszinierend schön
sie ist nicht besonders elegant — und sie ist durchaus nicht geistreich... Aber
sie hat die weiche Anmut eines Frühlingsabends . . . und den Geist eines Mädchens,
das zu lieben weiß.“ Sie wohnt draußen in der Vorstadt. Man muß sich denken
„ein kleines dämmriges Zimmer — so klein — mit gemalten Wänden — und noch
nahezu etwas zu licht — ein paar alte, schlechte Kupferstiche mit verblaßten Auf¬
schriften hängen da und dort. — Eine hängelampe mit einem Schirm. — Vom
Fenster aus, wenn es Abend wird, die Aussicht auf die im Dunkel versinkenden
Dächer und Rauchfänge!... Und wenn der Frühling kommt, wird der Garten
gegenüber blühen und duften. Und sie sagt nichts Besonderes, was sie sagt, das
klingt so einfältig, wenn man nicht den Ton der Stimme dazu hört... z. B.
„Ich bin so froh, daß ich dich wieder hab'!“ Und wenn man das liest, so blättert
man wohl zurück, und der Blick geht noch einmal über den Schlußvers jener
„Einleitung“, die Loris (Hugo von Hofmannsthal) dem „Anatol“ mitgab:
„Also spielen wir Theater.
böser Dinge hübsche Formel,
Spielen unsre eignen Stücke.
glatte Worte, bunte Bilder,
Frühgereift und zart und traurig,
halbes, heimliches Empfinden,
die Komödie unsrer Seele,
Agonieen, Episoden...“
unsres Fühlens heut' und Gestern,
500
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1. Panphlets offorints
Arthur
„Anatol“, eine Sammlung von sieben reizvollen Gesprächen zwischen zwei, drei
Schnitzler
Personen, war Schnitzlers erstes Buch. Ein Wiener Buch mit dem Gegenstand
Anatol
jener nur hier so rein möglichen „Art zärtlicher Liebe ohne das Bedürfnis der
Treue“. In den einzelnen Gesprächen wechseln die Frauen, die beiden Männer
bleiben die gleichen. Der eine erlebt, der andere beredet, bespöttelt das Erlebnis.
Der Beredende heißt Max, er ist unempfindsam und darf deshalb etwa an einem
„Abschiedssouper“ durch den „hauch kalter, gesunder heiterkeit“, der von ihm
ausgeht, „die Sentimentalität des Abschieds erstarren machen", Der Erlebende aber
ist Anatol, der elegante, verwöhnte, bummelnde Dichter. Er lebt leichtsinnig und
er denkt schwermütig. Er ist verzärtelt und schwach und gefällt sich ein wenig
damit. Er hat gar nicht das Bedürfnis, stark zu sein, selbst wenn er die Fähig¬
keit dazu hätte. „Ich fühle,“ meint er, „wie viel mir verloren ginge, wenn ich
mich eines schönen Tages ,stark' fände... Es gibt so viele Krankheiten und nur
eine Gesundheit —!... Man muß immer genau so gesund wie die anderen —
man kann aber ganz ganz anders krank sein wie jeder andere." Er ist ein
Stimmungsmensch. Stimmung ist ihm das „Lebenselixier“. Halbdunkel, eine grün¬
rote Ampel, Klavierspiel, eine Farbe verändert ihm die Welt. Er genießt, aber
als Träumer und Grillenfänger. Er behauptet die Weiber zu kennen, und er
vergöttert sie doch. Er quält sich Tage und Nächte hin mit der Frage, ob ihm
eine treu sei, aber, als seine Cora in hypnotischem Schlafe die Wahrheit sprechen
könnte, da stellt er „die Frage an das Schicksal“ nicht, weil ihm doch schließlich
die „Illusion“ lieber ist als die Wahrheit. Er hat den Kopf immer voll Lieb¬
schaften, alter und neuer, er kommt sogar an seinem eigenen Polterabend nicht
allein nach hause. Er liebt vornehme und weniger vornehme Damen; einmal
ist's eine Sängerin, dann eine Zirkusdame, dann eine verheiratete Frau, die ihn
einfach als Liebhaber nahm, weil ihr Mann häßlich, dumm und langweilig war.
Und dann ist's wieder „etwas Neues: ¾ Takt ... sie erinnert mich so an einen
getragenen Wiener Walzer — sentimentale heiterkeit ... lächelnde, schalkhafte
Wehmut". Oder es ist ganz allgemein „das süße Mädl“. Und er rühmt das süße
Mädel gegenüber einer „bösen Mondaine“... „Sie ist nicht faszinierend schön
sie ist nicht besonders elegant — und sie ist durchaus nicht geistreich... Aber
sie hat die weiche Anmut eines Frühlingsabends . . . und den Geist eines Mädchens,
das zu lieben weiß.“ Sie wohnt draußen in der Vorstadt. Man muß sich denken
„ein kleines dämmriges Zimmer — so klein — mit gemalten Wänden — und noch
nahezu etwas zu licht — ein paar alte, schlechte Kupferstiche mit verblaßten Auf¬
schriften hängen da und dort. — Eine hängelampe mit einem Schirm. — Vom
Fenster aus, wenn es Abend wird, die Aussicht auf die im Dunkel versinkenden
Dächer und Rauchfänge!... Und wenn der Frühling kommt, wird der Garten
gegenüber blühen und duften. Und sie sagt nichts Besonderes, was sie sagt, das
klingt so einfältig, wenn man nicht den Ton der Stimme dazu hört... z. B.
„Ich bin so froh, daß ich dich wieder hab'!“ Und wenn man das liest, so blättert
man wohl zurück, und der Blick geht noch einmal über den Schlußvers jener
„Einleitung“, die Loris (Hugo von Hofmannsthal) dem „Anatol“ mitgab:
„Also spielen wir Theater.
böser Dinge hübsche Formel,
Spielen unsre eignen Stücke.
glatte Worte, bunte Bilder,
Frühgereift und zart und traurig,
halbes, heimliches Empfinden,
die Komödie unsrer Seele,
Agonieen, Episoden...“
unsres Fühlens heut' und Gestern,
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