Nr. 29a.
enee
So sind die Menschen!
Sie suchen früh und spat
Das Bittere im Kelche;
Wer keine Plage hat,
Der macht sich welche.
Kotzebue.
(7 K
„Jung=Wien.
Studienblätter von Theodor v. Sosnosky.
Der dekadenteste Autor von ganz „Jung=Wien“ und zu¬
gleich der drolligste ist unstreitig Peter Altenberg. Sucht
Hofmannsthal durch schöne Worte zu wirken, so trachtet
Dieser durch Gedankenstriche, Ausrufungs= und Fragezeichen
Effekt zu machen; liegt die Mystik bei Hofmannsthal in
Dem, was er sogt, so ist sie bei Altenberg in Dem vorhanden,
was er nicht sagt. Er begnügt sich mit geheimnißvollen An¬
deutungen die er mit köstlicher Wichtigkeit und Prätension giebt
und die ihn offenbar überaus poetisch und geistvoll dünken,
deren Gedankenflug der nur“ normal und nicht dekadent
denkende Leser aber oft nicht zu folgen vermag. Ebenso sehr
wie die geheimnißoollen Gedankenstriche liebt Altenberg die
Wiederholung. Einzelne Worte, Phrasen oder ganze Sätze
tauchen immer wieder auf, sollen wohl so eine Art Refrain
oder Leitmotiv sein, erzielen aber durchaus nicht den natür¬
lichen ungezwungenen Eindruck, den ein Kehrreim im Gedicht,
eine Leitmelodie im Musikstück zu machen pflegen, sondern
nehmen sich wie lästige Zwangsvorstellungen aus, deren sich
der Autor nicht erwehren kann. Auch er hat nur ganz wenig
geschrieben, wenigstens veröffentlicht; obwohl er schon den
Sie heißen
vierzig nahe ist, nur zwei schmächtige Bücher.
Im ersten
„Wie ich es sehe" und „Ashantee"**)
offenbart er dem Publikum seine sonderbare Art,
die Welt zu sehen, im zweiten bekräftigt er dies
in noch drastischerer Form. Das Buch „Ashantee“ ist ein
Unikum und verdient darum eine eingehendere Beachtung:
Auf dem Titelblatte steht bloß: Peter Altenberg=Ashantee;
auf dem nächsten Blatt ein Motto, von ihm selber verfaßt;
auf dem dritten: „Ashantee (im Wiener Thiergarten bei
den Negern der Goldküste Westküste.) Meinen schwarzen
Freundinnen, den unvergeßlichen „Paradieses=Menschen“ Akolé,
Aköshia, Tiöko, Dj6jö, Nah=Badüh gewidmet“ auf dem vierten
Blatte steht wieder „Ashantee, (im Wiener Thiergarten bei den
Negern der Goldküste, Westküste); auf dem fünften endlich der
Artikel „Ashantee“ nebst Band= und Seitenzahl aus Meyers
Konversationslexikon. Nachdem der Leser so gebührend auf
das große Werk vorbereitet ist, darf er endlich das Allerheiligste
betreten. Was er da zu sehen bekommt, ist auch wahrlich
nicht alltäglich: es sind Stimmungsbilder aus dem Ashantee¬
dorfe im Prater, Gespräche zwischen den angewidmeten dunkeln
Damen und Peter A. (so nennt sich Altenberg merkwürdiger
Weise stets, wenn er selber auftritt); ferner enthält dies sonder¬
bare Werk das ashanteesche Einmaleins, ein ashanteesches
Lied, einen englischen Brief Peter A.'s an die Negerin
Monambo, der auch in der Uebersetzung vorliegt, die erstaun¬
licher Weise die englische Wortstellung beibehält; im Kapitel
„Prinzessin in Grün“ endlich giebt Herr Peter A. ein genaues
Verzeichniß aller Sachen, die er der Ashantee=Maid Nah=Badü
geschenkt hat (!), und worin er es nicht unterläßt, bei den
imitirten Smaragden in Klammern „Paris“ und bei den Glas¬
Kaarnadeln „venetianisch“ dazu zu setzen; offenbar in der richtigen
Voraussetzung, daß der Leser, wenn er über die Herkunft
dieser Dinge nichts Genaueres erführe, unglücklich wäre.
Und das Sonderbarste dabei ist, daß er all diesen Gegenstän¬
den eigene Kapitel widmet.
Daß ein Dichter sein Buch Leuten widmet, die nicht lesen
t sicherlich absonderlich; aber Bahr hat ein Buch
können,
seinem Hunde gewidmet, und das ist doch noch absonderlicher;
daß ein europaischer Dichter Ashantee=Mädchen besingt, dürfte
zwar zum ersten Male der Fall sein, doch das ist ja Ge¬
schmackssache; daß aber ein Dichter die Geschenke aufzählt, die
er seiner Holden gemacht hat, und daß er dieses Verzeichniß
als eigenes Kapitel behandelt: Das ist denn doch wohl noch
nicht dagewesen!
Und sicher nicht dagewesen ist es auch, daß eine Adresse
zum Gegenstande eines Kapitels gemacht wird; wohlverstanden,
nichts als die Adresse:
„Nah=Badüh
Christiansborg
Goldcoast, Accra
Vergl. Beilage Nr. 17a und Nr. 22.
*) Wie ich es sehe. 1896. Ashantee. 1897. Beide: Berlin,
S. Fischer.
Berlin, Sonntag den 3. Februar
King's street, Lömö=house,
dafür zu gelten, das Sympto
West=Coast, Afrika.“
denn es ist gewiß pervers, n
abgelebt sein will, darin ein
Fertig! Das ist das ganze Kapitel, dem eine eigene Seite ein¬
nur die keineswegs mehr o
geräumt ist!
Von der Art, in der Herr Peter A. dichtet, kann sich
täglich auf den Bouleva#
den Linden beobachten
Niemand eine Vorstellung machen, der mit den sonderbaren
und selbst bartlose Bur
Allüren der „Modernen“ nicht vertraut ist; da die Zahl dieser
blödem Ausdruck und schlaffer
Wissenden aber nur gering ist, so empfiehlt es sich, hier einige
sie entkräftete Greise, die nu
Proben zum Besten zu geben.
Genüsse aus ihrer müden
Das Kapitel „Paradies“ lautet:
können. Mit einem Wor
„Was möchtest Du am liebsten von der Welt, Tioko?!“
Gigerl=Dekadenz; jedenfalls
„Green bills cutted, Sir ———.“ (Geschliffene grüne
wenn es ja auch immerhin
Glasperlen.)
à la Baudelaire nicht nur
„Und?!“
Dekadenz eines Altenberg oh
„And lila bills cutted, Sir ——.
ist bei ihm wenig zu spüren
„Und?!“
ganz klaren Denkvermögen
„And nothing, Sir —
achtenswerthen Talents.
Sehr drastisch ist auch folgende Stelle aus dem Kapitel
Leute"*), das ein groß
„Le départ pour l’Afrique“ (warum Herr Peter A. nicht
stischem Naturalismus darstell
schreibt: Die Abreise nach Afrika, bleibt eines der vielen Räthsel
selbst seine berüchtigten Gedich
seines Wesens). Da heißt es:
„Sensationen“ sind trotz
„Nah-Badüh
——214
Evotik, Einiges ausgenomme
nur den Eindruck, er wolle
Sie steigt langsam auf den Perron zu ihm —
auch die reklamehafte Titelwa
sogar den Stempel echter Pol
nannte. Im großen Ganz
Die Zahl der Gedankenstriche ist keineswegs aufs Gerathe¬
Hyperwollust wenig erquick
wohl hingeschrieben, sondern wohl überlegt und bemessen.
toujours perdrix wird auf
Darin liegt es ja eben: während andere Schriftsteller sich in ihrer
cochon.
Unfähigkeit bemühen, nach bezeichnenden Worten zu suchen, ver¬
In seinen in diesem Ja
achtet Herr Peter A. in seiner Größe das armselige Wort¬
ebenso gesuchten als geschn
geklingel, denn er kennt das erhabene Geheimniß der Gedanken¬
schöne Fritz verstimmt
striche.
ebensowenig im Stande ist,
Die Ashantee=Notizen füllen übrigens nicht, wie man nach
seine Kollegen von der „
dem Titel des Buches erwarten sollte, den ganzen Band aus.
Sammlung sowohl seinem
Sie haben diesem nur als die erste Arbeit, die der Autor
heblich nach.
vermuthlich für die bedeutendste hält, den Namen gegeben, wie
Dieser für die junge
das jetzt so Mode ist. Die übrigen Arbeiten, die auch meist
teristische Mangel der Er
mit Widmungen versehen sind — aber an weiße Damen —
den Romanen Ludwig W
lesen sich womöglich noch drolliger, namentlich „Theobronia“
den Versuch unternommen h
und „Liebesnacht“. Aus der letztgenannten # beit seien hier
Skizzen und Stimmungsbilk
einige Stellen wiedergegeben, die Herrn Peter A. auf der
Wasser"***) und „Stul
Höhe seiner eigenartigen Kunst zeigen.
mißlungen, wenngleich sie
Schon der Anfang ist höchst charakteristisch:
gamentlich der zweite, der
„Pauline hatte mehr vom Mysterium „Genie“ als —
licher Weise im Sande ver
Wie außerhalb des engen Lebens ist sie manches Mal. Wo
seines Verfassers offenbart.
befindet sie sich?! Eigentlich ist sie vielleicht nur schwächlich,
größere Erzählung — wer
kann nicht Stand halten dem strengen Tage. Wie wenn Je¬
zulänglich erwiesen, so kom
mand nicht mehr schlucken könnte. Man giebt ihm feine un¬
bisweilen recht wirksam zur
kompakte, breiartige Dinge. Ganz zart wird er, und milde
Momentaufnahmen aus de
verwunderte Blicke wirft er auf die Menschen, welche aus
gemeinsamen Titel „Prof
vollen Schüsseln essen. Jedesfalls wird er ganz zart und
sammlung „Dunkle Se
milde —
ersten Buche des Autors,
Von dieser Pauline wird des Weiteren berichtet, daß sie
Schnitzler und Altenberg un
schlafe, ihr Gatte aber und „der Gast“ sitzen bei ihr:
So ein Dutzend=Talent
„Zwei stumme Wächter vor den Thoren des
sein, der in der Novell
Schlafes
bliebene“ff) erst im verga
Der Gast sagt leise: „Ich habe einen Satz ge¬
hati Die Geschichte von derk
dichtet
kenntniß, daß ihre Bluthez
— —
Ihr Gatte:
„Wenn sie wacht, schläft sie — —— und wenn sie##tkellner des=Restaurante
Male intime Soupers einge
schläft, wacht sie
sogar vortiefflich, aber sie
„Sage ihr es nicht ——
sein; ein eigenes Gesicht ha
„Nein
Einige Zeilen weiter:
Die im Vorausgegan
„Der Gast fühlt: „Wenn sie schläft, wacht sie —
terisirung einiger Schrift
Ihr Gatte sagt: „Du würdest sie schön ruiniren“ —
Wien“ macht keinen An
Der Gast fühlt: „Und wenn sie wacht, schläft sie“ —
aller Auforen zu bieten, di
Die Beiden sitzen auf Tabourets und rauchen Zigaretten.
sich doch dazu rechnen; scho
Zwei stumme Wächter
nicht genau feststellen läßt,
Weit gesunder, jedenfalls nicht annähernd so dekadent ist
ohne Zweifel giebt es noch
die Muse Felix Dörmanns. Das bedeutet für ihn freilich
werden können, zum Minde
keineswegs ein Lob, denn er will krank und dekadent sein,
er gefällt sich darin; erklärt er doch in einem oft zitirten
Gedicht mit Emphase:
Ledige Leute. E
*)
„Ich liebe, was Niemand erlesen,
Neurotico. Leipz
Was Keinem zu lieben gelang:
Sensationen.
Mein eigenes urinneres Wesen
Warom der schä
Wiener Verlag. 1900.
Und Alles, was seltsam und krank.“
***) Im todten Wasse
Aber trotz all seines heißen Bemühens gelingt es ihm
1900. Dresden, C. Reißner.
nicht, im Leser (wenn dieser nicht leichtgläubig ist) die Ueber¬
)Dunkle Sehnsuch
zeugung hervorzurufen, daß er wirklich der müde, leben= und
1898.
lust=übersättigte Roué ist, der Dekadent ist, der er zu sein vor¬
Der Hinterblieb
Verlag 1900.
giebt. Allerdings mag eben in diesem sonderbaren Bestreben,
1
lah seltsam gelb und gefur
schüttelte ihn an den Schultern. „Haben Sie
Andrei und