VI, Allgemeine Besprechungen 2, 1901 Sosnosky Jung Wien, Seite 13

rlin, Sonntag den 3. Februar
dafür zu gelten, das Symptom einer gewissen Dekadenz liegen,
denn es ist gewiß pervers, wenn Jemand durchaus krank und
eine eigene Seite ein¬
abgelebt sein will, darin einen Vorzug sieht; aber das ist
nur die keineswegs mehr originelle Mode=Dekadenz, die man
dichtet, kann sich
täglich auf den Boulevards, auf dem Ring und Unter
wenn junge Männer,
mit den sonderbaren
den Linden beobachten kann,
und selbst bartlose Burschen, mit krummem Rücken,
st; da die Zahl dieser
blödem Ausdruck und schlaffer Haltung dahintrotten, als wären
lt es sich, hier einige
sie entkräftete Greise, die nur mehr durch die absonderlichsten
Genüsse aus ihrer müdn Stumpfheit aufgerüttelt werden
können. Mit einem Worte; de Dekadenz Dörmanns ist
der Welt, Tioko?!“
Gigerl=Dekadenz; jedenfalls ist sie es zum größten Theile,
(Geschliffene grüne
wenn es ja auch immerhin sein mag, daß seine Perversität
à la Baudelaire nicht nur Pose ist. Von der schweren, echten
Dekadenz eines Altenberg oder auch nur eines Hofmannsthal
ist bei ihm wenig zu spuren; er erfreut sich vielmehr eines
ganz klaren Denkvermögens und eines immerhin be¬
achtendwerthen Talents. Sein Schauspiel „Ledige
selle aus dem Kapitel
Leute"*), das ein großstädtisches Sumpfmilien mit dra¬
Herr Peter A. nicht
stischemt Naturalismus darstellt, ist der beste Beweis dafür. Und
nes der vielen Räthsel
selbst seine berüchtigten Gedichtsammlungen „Neurotica“ und
„Sensationen“ sind trotz aller blutrünstigen, sadistischen
Evotik, Einiges ausgenommen, ganz vernünftig und machen
nur den Eindruck, er wolle damit renommiren, worauf ja
zu ihm —
auch die reklamehafte Titelwahl deutet. Manche Gedichte tragen
sogar den Stempel echter Poesie, z. B. das „Schneeflocke“ be¬
nannte. Im großen Ganzen freilich wirkt diese posirende
swegs aufs Gerathe¬
Hyperwollust wenig erquicklich, ja langweilig. Nicht nur
trlegt und bemessen.
toujours perdrix wird auf die Dauer fade, auch toujours
chriftsteller sich in ihrer
cochon.
Porten zu suchen, ver¬
In seinen in diesem Jahre erschienenen Novellen, die den
das armselige Wort¬
eimniß der Gedanken¬
ebenso gesuchten als geschmacklosen Titel „Warum der
schöne Fritz verstimmt war"**) führen, zeigt er, daß er
ebensowenig im Stande ist, episch zu gestalten, wie fast alle
nicht wie man nach
seine Kollegen von der „Moderne“. Jedenfalls steht die
ben ganzen Band aus.
Sammlung sowohl seinem Schauspiel als seinen Gedichten er¬
Arbeit, die der Autor
heblich nach.
Namen gegeben, wie
Dieser für die junge Literatengeneration so charak¬
seiten, die auch meist
teristische Mangel der Erzählkunst macht sich auch in
n weiße Damen —
den Romanen Ludwig Wolffs bemerkbar, der wenigstens
hentlich „Theobronia“
den Versuch unternommen hat, mehr zu bieten als novell.stische
aten Arbeit zeien hier
Skizzen und Stimmungsbilder. Beide Romane, „Im todten
n Peter A. auf der
Wasser"***) und Studentenroman“ sind entschieden
mißlungen, wenngleich sie ein gewisses Talent verrathen,
eristisch
namentlich der zweite, der aber andererseits in wahrhaft kläg¬
„Genie“ als —
licher Weise im Sande verrinnt und dadurch die Ohnmacht
manches Mal. Wo
seines Verfassers offenbart. Hat sich dessen Talent für die
leicht nur schwächlich,
— als ganz un¬
größere Erzählung — wenigstens bisher
Tage. Wie wenn Je¬
zulänglich erwiesen, so kommt es in der ganz kurzen Skizze
giebt ihm feine un¬
bisweilen recht wirksam zur Geltung. So in den literarischen
wird er, und milde
Momentaufnahmen aus dem Kokottenleben, die unter dem
Menschen, welche aus
gemeinsamen Titel „Professional love“ in der Skizzen¬
er ganz zart und
sammlung „Dunkle Sehnsucht“f) enthalten sind, dem
ersten Buche des Autors, bei dem übrigens Maupassant,
eren berichtet, daß sie
Schnitzler und Altenberg ungewollt Pathe gestanden sind.
sitzen bei ihr:
So ein Dutzend=Talent scheint auch Felix Salten zu
den Thiren des
der Novellettensammlung „Der Hinter¬
sein, der
bliebene“|f) erst im vergangenen Jahre als Erzähler debütirt
be einen Satz ge¬
hat. Die Geschichte von der klugen Schauspielerin, die in der Er¬
kenntniß, daß ihre Bluthezeit bald zu Ende sein werde, den
ahtkellner des Restaurants heirathet, in dem sie ungezählte
42— und wenn sie
Male intime Soupers eingenommen hat — diese Geschichte ist
sogar vortiefflich, aber sie könnte ebenso gut von Schnitzler
em; ein eigenes Gesicht hat sie nicht.
Die im Vorausgegangenen gegebene literarische Charak¬
wacht sie ——
schön ruiniren“ —
terisirung einiger Schriftsteller des sogenannten „Jungen
Wien“ macht keinen Anspruch darauf eine lückenlose Liste
icht, schläft sie“
aller Auforen zu bieten, die zu dieser Gruppe gehören oder
nd rauchen Zigaretten.
sich doch dazu rechnen; schon darum nicht, weil sich überhaupt
nicht genau feststellen läßt, wer dazu gehört und wer nicht;
ähernd so dekadent ist
ohne Zweifel giebt es noch Manche, die hätten miteinbezogen
edeutet für ihn freilich
werden können, zum Mindesten, die hierauf ein Recht zu haben
kank und dekadent sein,
in einem oft zitirten
*) Ledige Leute. Schauspiel. Leipzig, R. Friese. 1897.
elesen,
Neurotica. Leipzig, A. Schulze, Lit. Anstalt. 1891.
in
Sensationen. Wien, L. Weiß. 1892.

**) Warum der schöne Fritz verstimmt war. Wien,
1900.
d krank.“
Wiener Verlag.
**) Im todten Wasser. Roman. 1899. Studentenroman.
hühens gelingt es ihm
1900. Dresden, C. Reißner.
läubig ist) die Ueber¬
Dunkle Sehnsucht. Novellen, Leipzig, F. E. Neupert.
der müde, leben= und
1898.
ist, der er zu sein vor¬
Der Hinterbliebene. Kurze Novellen. Wien, Wiener
sonderbaren Bestreben,
Verlag 1900.

sie im hellen Morgen¬
aus, Wi
chultern. „Haben Sie
1901.
glauben: die Autoren aber, die für „Jung=Wien“ typisch sind,
die genannt werden müssen, wenn es gilt, ein anschauliches
Bild dieser Literaturgruppe zu geben, die sind hier alle ver¬
treten.
Was vor Allem in die Augen springt, ist der allen Ver¬
tretern „Jung=Wiens“ fast ausnahmslos eigene Mangel an
Natürlichkeit: er offenbart sich ebenso in der graziösen Kofetterie
Schnitzlers (zumal im „Anatol“ und „grünen Kakadu“),
als in den Posen und Sensationstricks Bahrs, wie in
der dekodenten Gedankenstrich=Poesie Altenbergs. Was des
Weiteren auffallen muß, ist der ausgesprochene Mangel an
Humor. Die meisten Vertreter „Jung=Wiens“ besitzen davon
nicht die leiseste Spur, so besonders Hofmannsthal und Wolff;
selbst Schnitzler hat nur wenig Humor, und wenn er ihn
zeigt, so ist es im Grunde mehr witzige Frivolität als Humor.
Nur Bahr verfügt über eine genugende Dosis dieser Eigen¬
schaft, allerdings grobkörniger und ebenfalls frivoler Art.
Hand in Hand mit diesem Mangel an Humor geht eine
gewisse Blasirtheit, Müdheit und Freudlosigkeit der Lebens¬
auffassung, die zwar stark zur Schau getragen wird und darum
gewiß nur zum Theil echt ist, die aber immerhin ein charak¬
teristisches Merkmal bildet. Es ist eine Art Licht= und Luft¬
scheue eine Vorliebe für das Dunkle, Schwüle, die sich in der
der Stoffe deutlich ausprägt; unerquickliche
Wahl
brüchige Charaktere sind die Regel;
Milieus und
auch die häufige Verwendung des Themas „Tod“ ist dafür
symptomatisch. In Saltens einzigem Buche kommt es unter
neun Skizzen nicht weniger als viermal vor, und von den sechs
Novellen Schnitzlers gelten nicht weniger als drei, also die Hälfte,
diesem Thema. Auch Beer=Hofmann und Hofmannsthal
haben sich damit schon eingehend beschäftigt, obwohl sie erst so
wenig geschrieben haben.
Die beständige Wiederkehr gewisser Motive ruft den Ein¬
druck der Einförmigkeit hervor, die sich auch in dem steten
Betonen und Breittreten des erotischen Moments äußert, und
sie läßt auf eine gewisse Beschränktheit des Ideenkreises, eine
Armseligkeit der Erfindung schließen. Für diese spricht auch
merkwürdige Thatsache daß die Autoren „Jung¬
Wiens“ episch über die Skizze nur selten hinaus¬
gekommen sind und nur ganz wenige größere Erzählungen ge¬
schrieben haben; bloß Bahr macht da eine Ausnahme. Schon
die Novelle, geschweige denn der Roman, verlangt denn doch
etwas mehr als psychologische Stimmungsmalerei; Anderes
und mehr zu geben als das, dazu scheinen diese Herren aber
keine Lust zu haben, wohl darum, weil sie, wenn auch un¬
bewußt, fühlen dürften, daß sie nicht die Kraft dazu haben.
Wo sie dennoch den Versuch machen, da mißlingt er kläglich,
wie das Wolfss zwei Romane beweisen. Es scheint, daß ihnen
ebenso wie die Erfindungsgabe auch die epische Kraft fehlt,
daß sie nicht die Fähigkeit besitzen eine Fabel längere
Zeit mit sicherer, ruhiger Hand fortzuführen und nament¬
lich deren feste Form zu bewahren, sie nicht ab¬
irren und nicht zerfließen zu lassen. So erklärt es sich, daß
es ihren Arbeiten in der Regel an künstlerischer Straffheit so
sehr fehlt, daß sie so kraft= und saftlos erscheinen, so ver¬
se vimmen und zerflattern; bis zu welchem Grade dies gehen
känn, das zeigt Beer=Hofmanns jüngstes Buch in erschreckender
Deutlichkeit.
Mit diesem Mangel an Kraft dürfte noch eine andere
Eigenthümlichkeit „Jung=Wiens“ in Zusammenhang stehen:
dessen auffallende Unfruchtbarkeit. Es ist geradezu erstaunlich,
wie wenig produktiv es ist: Autoren, die sich den Vierzig
nähern, die seit einem Jahrzehnt literarisch thätig (besser: un¬
thätig) sind haben nicht mehr geschrieben als einige
wenige dünne Bändchen mit Stimmungsbildern! Es
soll damit keineswegs etwa großer literarischer Frucht¬
im Gegentheil:
barkeit das Wort geredet werden,
diese bedeutet für einen Schriftsteller fast unfehl¬
baren Ruin; aber es giebt doch gewisse Grenzen, nicht nur,
über die man nicht hinausgehen, sondern auch unter denen
man nicht zurückbleiben darf. Wer so wenig hervorbringt
wie „Jung=Wien“ und diesen quantitativen Mangel nicht
qualitativ durch bedeutende Werke wett zu machen vermag, der
muß es sich gefallen lassen, wenn man deshalb seine künstlerische
Potenz bezweifelt.
Alle diese den Vertretern „Jung=Wiens“ mehr oder
weniger gemeinsamen Eigenschaften, die zugleich Mängel sind,
kennzeichnen sie als Das, was man unter dem Namen Dekadent
versteht, so daß man mit vollem Rechte, so paradox es auch
klingt, behaupten darf: Die Renaissance des literarischen Wiens
die Décadence. Wie eine schwere, trübe Dunstwolke
diese Décadence=Stimmung auf „Jung=Wien“
lastet
die stickige,
und die Atmosphäre in der es lebt, ist
dumpfe Kaffeehausluft, in der es geboren ist, denn

die Familie Zielinski obgleich sie, wie alle Polen,