VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1903–1906, Seite 3

2. Guttings
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nur damit dieser die Freiheit und Lust am künstle¬
rischen Schaffen wiedergewinne — und daß dieser Sohn
nach einer kurzen Regung heftigsten Schmerzes sich
mit diesem Gedanken, eigentlich der Mörder seiner
Mutter gewesen zu sein, eben wegen dieser seiner
künstlerischen Zukunft aussöhnt — ist ein Thema, das
Künstlern selbst wohl verständlich und wertvoll sein
mag, aber über diesen kleinen Kreis hinaus unver¬
ständlich bleiben muß.
Obwohl auch die anderen drei Einakter nur vom
Dichter oder Künstler handeln, verhelfen die über¬
raschenden Szenerien, in der „Frau mit dem Dolche“
der plötzliche Uebergang aus einem Saale einer modernen
Gemäldegalerie in eine italienische Stadt der Re¬
naissancezeit, in den „Letzten Masken“ ein Kranken¬
zimmer des Spitales, zu einem tieferen Eindruck vor¬
erst des Aeußerlichen und sodann, hiedurch vermittelt und
begänstigt, auch des Gedankens der Dramen.
Die Entwicklung Arthur Schnitzlers scheint uns
im Gegensatze zu der jener obengenannten Dichter
noch nicht abgeschlossen zu sein. In ihm ringt sich
immer mehr das Streben los, die engen Bahnen einer
vor allem für Gleichgeartete geschaffenen Poesie zu
verlassen. Siegt dieser Wille in ihm, dann wird er
uns auch weniger vom Dichter und von des Dichters
Seele erzählen und er wird seine Helden aus dem
unbegrenzten Reiche der Wirklichkeit nehmen.
Den Glanz solcher Werke würden dann nicht
bloß die Mitgeborenen, die Freunde und Feinschmecker
erkennen und genießen, sondern sie würden, aus dem
Unvergänglichen genommen, selbst unvergänglich sein.
Dr. Mar Wesser.
Thomas Morus und sein „Atopia“.
Zu jenen Zeiten, wo die Bedrückung der Massen
durch Kirche und Staat besonders schwer auf der Mensch¬
heit lastete, ertönte immer und immer wieder der Ruf:
Es werde Licht! Unter den Rufern in der Wüste solcher
Epochen gebührt unstreitig dem Engländer Thomas
Morus eine hervorragende Stelle. Der praktische Sinn
der Engländer für alles Reale betätigte sich in ihm
und seiner Dichtung auf spezifisch praktische Weise. Wie
nämlich die Propheten und Priester jenen ersehnten
Zustand höchster sozialer und ethischer Befriedigung
entweder in eine weit hinter ihnen liegende Zeit oder
in ein sehr fernes Land oder auch in eine sehr ent¬
fernte Zukunft verlegen oder gar auf eine Periode
höchster Glückseligkeit nach dem Tode verweisen, brachte
es Thomas Morus fertig, einen politischen und gesell¬
schaftlich=sozialen Zustand aus seinem regen sympathi¬
schen Geiste zu schildern, der nicht in unerreichbarer
Ferne oder in der Vergangenheit, nach Art des Para¬
dieses, oder gar nach dem Tode, nach dem Vorgange
der orientalischen Religionsgründer, sich verwirklichen
können sollte, sondern schon hier auf Erden, in mäßiger
Entfernung und innerhalb weniger Generationen.
Der Grundgedanke aller auf dem Pessimismus
sußenden Religionen läßt sich durch den Satz aus¬
drücken: Die Natur ist reich; der Mensch ist arm. Das
Land der Glückseligkeit ist nirgendwo, die Verwirk¬
lichung derselben nicht innerhalb der Grenzen mensch¬
licher Lebensdauer; mit anderen Worten: Glückseligkeit
existiert nur in der Einbildung, nie in der Wirklichkeit.
Eine besonders kritische Zeit war die Zeit der
Vorreformation, in welche Thomas Morus' Lebens¬
lauf fällt. Die Kirche war unermeßlich reich, der Adel
c
und die Fürsten tyrannisier
Wette und plünderten, was
Massen selber waren dumm,
sklavt, fanatisch.
Thomas Morus, gebor
um drei bis fünf Jahre älter
diesem war er tief vom Ge
Als Sohn eines Rechtsanw
und mit einem für alles
erglühenden Geiste ausgesta
Morus zum Studium der
Vater drängte ihm dasjen
und zwang ihn so, eine politi
Als Morns 16 Jahre alt wa
deckung Amerikas durch Coll
Besitzergreifung Neufundland
jetzt die Völker Europas
Hoffnungslose gewann neuen
Zweig zu schwingen, wenn
den neuentdeckten Erdteil zu
Mit 30 Jahren sah
Anwalt der Stadt London n
einen Prozeß gegen den König
Von dem Hofe befeindet un
nach Frankreich und erst na
tistisch veranlagten Herrschers
seine Heimat zurückbegeben. 2
gesandt, um dort einige and
London zu führen, machte er
jeher demokratisch gesinnten
den dortselbst herrschenden
neue Arbeit trieb ihn vollends
Unter Heinrich VIII. von G
litten und schnell befördert,
meister und bald darauf Lor