VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1903–1906, Seite 4

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aus Nahren und Schlesien
Samstag den 5. September 1903.
Nr. 414.


vorschimmert. Und es
Triumphirn von Wien, die demegroßen Rate der „Jungen“
Gesellschaft, der Schnitz
vorstehen. Ich mag. mich auf das Literaturgeschichtsmär¬
Moderne deutsche Dichtergestalten.
gehört, eine bürgerlich¬
chen von den geeichten „Jungen“ hier nicht einlassen; über das,
einem engen Kreise fe
was jung im Sinne des starken, begeisternden und befruch¬
(Neue Folge.)
Wendung ins Resignier
tenden poetischen Lebens ist, entscheidet kein Kaffeehaus, kein
Von Prof. Dr. Alzred Klaar.
hat. Es ist eine ander
Feuilleton und kein Vortrag in einem Literaturvereine, sondern
Artur Schnitzler.
jenes, das durch Baue
die Empfänglichkeit des Volkes in seinen poesiefreudigen Ver¬

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publikum vertraut gew
tretern, das Leben selbst, das sich an solchen Erscheinungen
schen und aristokratischen
verjüngt. Diejenigen, die sich heiser schreien, um zu beweisen,
Als Grillparzer, ermüdek von dem Lärme später Aner¬
Naturen und humoristi
daß sie „Junge“ sind, sind entweder alt, als unfruchtbare
kennung, der in das Heim des Greises eindrang, zu Beginn
fassung ergötzlich anein
Pedanten auf die Welt gekommen, oder mitten in ihrer Ju¬
des Jahres 1872 die Augen schloß, war ein Thron erledigt.
mütige Tröpfe der Unh
gend an ihrer Agitation und an ihrer Eigensucht verwelkt
Seit der zweiten Renaissance unserer deutschen Dichtung, die
des Leichtsinns — aber
und verdorrt. Davon also kein Wort mehr. Die beiden Lite¬
sin der Zeit der Freiheitskriege begann, gab es immer einen
geschlossenen Kreise der
raten, die man als angebliche Schulhäupter in engen Kreisen
Fürsten deutscher Literatur, der in Wien residierte. Raimund,
Vorstadt mit ihren Gri
neben Schnitzler zu nennen pflegt, Hermann Bahr und Hugo
Grillparzer — dann, als der große Dramatiker schwieg, Niko¬
Lebemann zeigt nur di
v. Hoffmannsthal, haben übrigens in der Tat manchen Zugmit
flaus Lenau — das waren etwa die deutschen Liieraturfürsten
Schnitzler zeichnet
ihm gemein, nicht etwa aus irgend einem Programm oder
an der Donau, an der man immer deutsch gesagt und gesun¬
Grenzgebieten, wo die
Prinzip heraus, sondern weil sie in derselben Sphäre aufge¬
gen. Die denkbar verschiedensten Naturen, aber alle mitsamt
den breiten Volksschichte
wachsen sind. Sie nähern sich ihm von verschiedenen Seiten
ihren Vasallen, den Nestroy, Bauernfeld, Anastasius Grün
jünglinge sich mit der ###
her, Bahr von der der ironisch geistreichen Betrachtung des
u. s. w., verbunden durch spezifisch österreichische, für den
einen Traum durchzuko
Wiener Lebens, Hoffmannsthal von der der bizarren poetischen
deutschen Süden überauscharakteristische Züge. Damals, im Jahr
huldigen, um in der Un
Träumerei, die die Lebemannsmüdigkeit auf hohe Töne
1872, war die Thronfolge nicht lange zweifelhaft. Ein Jahr
und Tragik dieser wil
stimmt.
vorher hatte Ludwig Anzengruber mit seinem „Pfarrer von
seiner Beobachtung und
Auf einen flüchtigen Blick hin könnte man fast meinen,
Kirchfeld“ nicht nur die Bühne, wie der abgeschmackte Ausdruck
wie in die andere dring
die beiden repräsentierten die Elemente, aus denen Schnitzler
lautet, sondern die Menschen, die sich in der Bühne bespiegeln,
tion ein, die die Verwe
zusammengesetzt ist: die satirisch beobachtende und die traum¬
erobert — der schlichte Mann, der nur wirken, nicht gelten
ans Licht gerücki und
haft symbolisierende Auffassung gesellschaftlichen Verfalls.
wollte, war mit einem Schlage der Souverän der deutsch¬
seine Toren des Genuss
Aber die Chemie versagt wie immer in solchen Fällen; aus
österreichischen Literatur; der Norden, der den Süden immer
seinen Anatol sich charch
Bahr und Hoffmannsthal zusammen macht man trotz alle¬
fals Gegensatz und Ergänzung auf dem gemeinsamen Boden
choliker“, Prahler der ####
dem keinen Schnitzler. Bahr ist einer von jenen Publizisten
geliebt hat, bestätigte ohne Zögern die Ernennung. Aber An¬
sich immer wieder in
höherer Ordnung, die unsere französischen Nachbarn weit
zengrubers großer, angespannter Wirksamkeit waren nur noch
ihre eigene Patur oder
höher einzuschätzen wissen, als wir Deutschen. Er ist voll
siebzehn Jahre beschieden; ein Fünfziger, ging er im November
Stand hält, oder Knabe
von Impulsen, Einfällen, rasch guietalisierenden Auffassun¬
1889 dahin. Geister wie er und Grillparzer werden nicht
tenden spielrn, in denen¬
gen, ja sogar von origineller Bildkraft in der Wiebergabe
entihront, aber die Lebendigen brauchen den Impuls des
der Großstadt, das sich
charatteristischer Erscheinungen der Gegenwart, ein Meister
unmittelbar schaffenden Lebens und werden, so radikal die
schaft ausbreitet und in
der literarischen Blitzphotographie, ein Dialektiker, der über¬
Welt werden mag, im Kunstbereiche immer zu Geistern empor¬
viele Existenzen vergifte
raschende Vorgänge sehr fein zergliedert. Aber wenn er das
schauen, die sichtbar vor ihnen einhergehen.
der Schnitzlerischen Dich
Gesehene aus sich heraus fortspinnen und von Gnaden des
Seit Anzengrubers Tode gibt es in Wien nur Präten¬
Welt bald mit juvenalsch
eigenen Temperaments beleben will, klappt es ihm leicht zu¬
denten, keinen literarischen Fürsten. Wenn ich mich aber
rigen Lächerlichkeit, in
sammen; er braucht, scheint es, die Luft der Aktualität, um
frage, wer den Stufen dieses literarischen Thrones am näch¬
achtung ergibt, bald wie
zes aufzublasen und in die Höhe zu bringen. Hoffmannsthal
sten steht, so nenne ich Artur Schnitzler. Dabei liegt
in denen eine echte Nat
hat viel Kunst, aber wenn man ihn einen Künstler nennt,
es mir fern, die Ansprüche der Männer, die neben ihm die
Teil ihres Wesens anver
denkt man daran, daß sich das Wort auch von künsteln her¬
deutsch=österreichische Literatur vertreten, zu verkennen.
Dabei kommt ein
leiten läßt. überfein, mit allen Salben der Formkunst gerie¬
Rosegger, dem eben jetzt aus voller Emofindung heraus so
##en spielerisch geistia grillparzerisch in der Toyart bis zurdung ins Spiel, das vie
viel Ruhmeskränze gereicht werden, ist auch in Deutschland