VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1903–1906, Seite 5


versungt. Dreenigen. d e e en
uin Gelhener, enstlf uen den Diene Peer 111
Maturen und hmmoristise
daß sie „Junge“ sind, sind entweder alt, als unfruchtbare
kennung, der in das Heim des Greises eindrang, zu Beginn
fassung ergötzlich aneinanden
Pedanten auf die Welt gekommen, oder mitten in ihrer Ju¬
des Jahres 1872 die Augen schloß, war ein Thron erledigt.
mütige Tröpfe der Unbildun
gend an ihrer Agitation und an ihrer Eigensucht verwelkt
Seit der zweiten Renaissance unserer deutschen Dichtung, die
des Leichtsinns — aber sein
und verdorrt. Davon also kein Wort mehr. Die beiden Lite¬
in der Zeit der Freiheitskriege begann, gab es immer einen
geschlossenen Kreise der ober
raten, die man als angebliche Schulhäupter in engen Kreisen
Fürsten deutscher Literatur, der in Wien residierte. Raimund,
Vorstadt mit ihren Grisetten
neben Schnitzler zu nennen pflegt, Hermann Bahr und Hugo
Grillparzer — dann, als der große Dramaliker schwieg, Niko¬
Lebemann zeigt nur die Se
v. Hoffmannsthal, haben übrigens in der Tat manchen Zugmit
laus Lenau — das waren etwa die deutschen Lileraturfürsten
Schnitzler zeichnet das
ihm gemein, nicht etwa aus irgend einem Programm oder
an der Donau, an der man immer deutsch gesagt und gesun¬
Grenzgebieten, wo die sogen
Prinzip heraus, sondern weil sie in derselben Sphäre aufge¬
gen. Die denkbar verschiedensten Naturen, aber alle mitsamt
den breiten Volksschichten ber
wachsen sind. Sie nähern sich ihm von verschiedenen Seiten
sihren Vasallen, den Nestroy, Bauernfeld, Anastasius Grün
jünglinge sich mit der Naivet
her, Bahr von der der ironisch geistreichen Betrachtung des
u. s. w., verbunden durch spezifisch österreichische, für den
einen Traum durchzukosten,
Wiener Lebens, Hoffmannsthal von der der bizarren poetischen
deutschen Süden überauscharakteristische Züge. Damals, im Jahr
huldigen, um in der Ungebun
Träumerei, die die Lebemannsmüdigkeit auf hohe Töne
1872, war die Thronfolge nicht lange zweifelhaft. Ein Jahr
und Tragik dieser wilden 2#
stimmt.
vorher hatte Ludwig Anzengruber mit seinem „Pfarrer von
seiner Beobachtung und sein
Auf einen flüchtigen Blick hin könnte man fast meinen,
Kirchfeld“ nicht nur die Bühne, wie der abgeschmackte Ausdruck
wie in die andere dringt das
die beiden repräsentierten die Elemente, aus denen Schnitzler
lautet, sondern die Menschen, die sich in der Bühne bespiegeln,
tion ein, die die Verwegenhe
zusammengesetzt ist: die satirisch beobachtende und die traum¬
erobert — der schlichte Mann, der nur wirten, nicht gelten
ans Licht gerückt und selbst
haft symbolisierende Auffassung gesellschaftlichen Verfalls.
wollte, war mit einem Schlage der Souverän der deutsch¬
seine Toren des Genusses le
Aber die Chemie versagt wie immer in solchen Fällen; aus
österreichischen Literatur; der Norden, der den Süden immer
seinen Anatol sich charakteri
Bahr und Hoffmannsthal zusammen macht man trotz alle¬
sals Gegensatz und Ergänzung auf dem gemeinsamen Boden
choliker“, Prahler der Lebewe
dem keinen Schnitzler. Bahr ist einer von jenen Publizisten
geliebt hat, bestätigte ohne Zögern die Ernennung. Aber An¬
sich immer wieder in Vorst
höherer Ordnung, die unsere französischen Nachbarn weit
zengrubers großer, angespannter Wirksamkeit waren nur noch
ihre eigene Natur oder die i
höher einzuschätzen wissen, als wir Deutschen. Er ist voll
ssiebzehn Jahre beschieden; ein Fünfziger, ging er im November
Stand hält, oder Knaben vol
von Impulsen, Einfällen, rasch g#e#lisierenden Auffassun¬
1889 dahin. Geister wie er und Grillparzer werden nicht
teuern spielen, in denen sie st
gen, ja sogar von origineller Bildkraft in der Wiedergabe
entthront, aber die Lebendigen brauchen den Impuls des
der Großstadt, das sich dich
charakteristischer Erscheinungen der Gegenwart, ein Meister
unmittelbar schaffenden Lebens und werden, so radikal die
schaft ausbreitet und in sein
der literarischen Blitzphotographie, ein Dialektiker, der über¬
Welt werden mag, im Kunstbereiche immer zu Geistern empor¬
viele Existenzen vergiftet un
raschende Vorgänge sehr fein zergliedert. Aber wenn er das
schauen, die sichtbar vor ihnen einhergehen.
der Schnitzlerischen Dichtun
Gesehene aus sich heraus fortspinnen und von Gnaden des
Seit Anzengrubers Tode gibt es in Wien nur Präten¬
Welt bald mit juvenalscher
eigenen Temperaments beleben will, klappt es ihm leicht zu¬
denten, keinen literarischen Fürsten. Wenn ich mich aber
rigen Lächerlichkeit, in der #
sammen; er braucht, scheint es, die Luft der Aktualität, um
frage, wer den Stufen dieses literarischen Thrones am näch¬
achtung ergibt, bald wiederun
zes aufzublasen und in die Höhe zu bringen. Hoffmannsthal
sten steht, so nenne ich Artur Schnitzler. Dabei liegt
in denen eine echte Natur ###
hat viel Kunst, aber wenn man ihn einen Künstler nennt,
es mir fern, die Ansprüche der Männer, die neben ihm die
Teil ihres Wesens anvertrat
denkt man daran, daß sich das Wort auch von künsteln her¬
deutsch=österreichische Literatur vertreten, zu verkennen.
Dabei kommt ein Elen
leiten läßt. überfein, mit allen Salben der Formkunst gerie¬
Rosegger, dem eben jetzt aus voller Empfindung heraus so
dung ins Spiel, das vielfach
ben, spielerisch geistig, grillparzerisch in der Tonart bis zur
vorstechend eigentümlichen
viel Ruhmeskränze gereicht werden, ist auch in Deutschland
Meisterkopie, grüblerisch klug, bleibt er doch immer im Schat¬
volkstümlicher als er. Aber dieser große Bauernpoet hat seine
physiologischen und phatolo
tenhaften stecken, er gehört zu jenen Symbolisten, die nicht
besondere Welt, er ist der literarische Föderalist der Alpenlän¬
dete Sinn für die Verwand
die Welt heranrufen, sondern sie scheuchen, deren Sinnbild¬
Krankheit. Die Richtung des
der, man liebt und feiert ihn in Wien, aber er wurzelt in der
lichkeit die Wesen nicht verdichtet, sondern verdünnt und ver¬
Steiermark. Ferdinand v. Saar, in dem man nicht nur den
war für Schnitzler von H#
flüchtigt.
Senior der deutsch=österreichischen Dichtung, sondern auch die
Professors der medizinisch
Gewiß hat Schnitzler mit beiden Verwandtschaft; aber
Laryngologen, wurde er se
(feine, innerlich vornehme Poetennatur verehrt, ist ein Mann
er hat sein eigenes kräftiges Blut, das diese Mischung über¬
svon leiser literarischer Stimmung. Man muß auf ihn hin¬
übte bereits die Praxis au
windet, das etwas Elementares ist, er ist trotz aller Koketterie
horchen, um sich an ihm zu erfreuen. Fast schien es eine
Werke an die Hffentlichkei
und Träumerei ein Menschenbildner, einer, der aus sich her¬
Weile, als sollte der Thron mit einer Frau besetzt werden:
Arzten, deren von Justinus
aus formt, was lebt und Leben erzeugt, darum nenne ich
man hat die Erzählerin Marie v. Ebner=Eschenbach — die
eine lange Reihe in unsere#
ihn den hoffnungsvollsten von jenen, die etwa auf den erle¬
Schnitzler wohl derjenige, b
erst in hohen Jahren zur Anerkennung gelangt ist — eine
digten Thron der Wiener Literatur gelangen wollen. Oben
die Dichtung abgefärbt hat.
Klassikerin genannt und die Geschlossenheit und Ruhe, die
ist er noch lange nicht. Es wäre Frivolität, ja Blasphemie,
die Krankheitsszenen, die in
Plastik und der sanfte Humor ihrer feinen Erzählungen sind
ihn so ohneweiters an die Stelle setzen zu wollen, wo einst
in der Tat von mustergültiger Gediegenheit; aber zur leben¬
spiel „Vermächtnis“, in de
Grillparzer und Anzengruber thronten. Was bedeutet das
digen Führung der Geister, auf die sie wohl niemals Anspruch
Toten schweigen“ und volle
Um und Auf seiner ganzen dichterischen Welt gegen den,
Spitalkomödie „Letzte Mas
erhob, fehlt ihr der Atem der Leidenschaft und der Mut, den
Geschichte, Sage und Gegenwart umspannenden Reichtum
Rätseln des Lebens ins starre Auge zu blicken. Dann ist noch
allem an den Mut, mit des
der tiefen Natur Grillparzers, was alle Melancholie, mit der
tragischen Zusammenhang
einer da, der auf hoher Stufe steht, ein Österreicher, der als
veutscher Poet tiefernst genommen sein will, der eigenartige,er die Geschichte der süßen kleinen Mädchen behandelt, gegen
Lebenstragik, das Aneinan
scheue, vom lauten Markte abgewandte J. J. David. Er ist die großen Alzente, in denen Anzengruber Not, Elend und
des sinnlichen Genusses und
sein ganzer Mann, aber keiner für die Menge, mehr ein Selbstbefreiung des Volkes verkündet. Nein, Schnitzler ist
Abhängigkeit des ausschwe
zunächst nur ein Bildner im kleinen, nur ein Werdender in
gehenden Menschen von der
Nischenheiliger, um an ein Hebbelsches Wort zu erinnern, ein
dem Versuch, in die Tiefen hinabzuleuchten, nur Menschen¬
Hölle für ihn bedeuten, die p
lseingestimmter Lyriker, ein Erzähler von stimmungsvoller
naturschilderer von einseitigen Neigungen — aber es ist
und Verzweifeln, die Schn
(Eigenart, auch in seinen Dramen starker Akzente fähig, aber
Natur in ihm, er ahnt und kündet, was in Menschen vorgeht,
(keine mit sich fortreißende Kraft und kein typischer Öster¬
gängen, bald in jähen Um
wenn auch in engen Kreisen, zumeist im Bereiche geschminkter
reicher. Mit rem Landschaftlichen seiner Heimat, der mähri¬
stellen weiß, daß selbst das
Physiognomien, er vernimmt den Herzschlag, wenn auch fast
Gemeinheit entrückt und
schen Hanna, der er als Mann von halbbäuerlicher Abstam¬
nur den matteren der Genußmenschen, er hat eine Ahnung von
Selbstverständlich war auch
mung angehört, mischt sich in ihm das nationaldeutsche Ele¬
geheimem Weh und den Mut, es teilnehmend nach außen zu
naiv zeigen schon die a#
ment, das er aus dem großen, allgemeinen Literaturzuge emp¬
drängen, er ist noch kein souveräner Gestalter, aber er ist ein
grauenhafte Kehrseite der
fangen. Was dazwischen liegt und wodurch er äußerlich hin¬
gestaltender Dichter — und darum mag er als Prätendent
durchgegangen: das österreichisch=wienerische Element, hat auf
tiefen organischen Beziehun
gelten, wenn von dem verwaisten Throne der österreichischen
von Kleist, in einer merkwi
ihn wenig tiefen Eindruck gemacht, trotzdem er sich dramatisch
Dichtung die Rede ist. Und selbst wenn er das nur bleiben
vereinzelt bei französischen
auch in dieser Sphäre versucht hat; seine Stärke liegt in an¬
sollte, lohnt es, ihn schärfer ins Auge zu fassen — auch Prä¬
Durchbildung dieses Zusan
deren Regionen.
tendenten gehören mitunter der Geschichte an.
gemacht: die Verwandtsch
Eigenartig und doch typisch, ein Mann für sich und doch
Schnitzler ist Wiener von Geburt und Temperament,
Vergehen in erotischer Ve#
ganz Österreicher und Wiener, formsicher und scharf beobach¬
von Neigung und Gesichtskreis. Alles, was er sieht, ist in
zweiflung schlägt fast über
tend und dabei doch leidenschaftlich und tief, und bei alledem
Farbe und Licht seiner Vaterstadt getaucht, auch wenn er ab
Schnitzler ist nicht alll
ein Naturell, das nicht nur anzuregen, sondern auch aufzu¬
und zu einmal seine Gestalten mit Kunst historisch drapiert,
boren, hatte er das dreiß
regen weiß, ist im Gegensatze zu all den Genannten Artur
wie in der bizarren Skizze aus der französischen Revolutions¬
seine ersten größeren Arbeit
Schnitzler. Hört man freilich auf die Wiener selbst hin,
zeit „Der grüne Kakadu“, oder in dem träumerischen Renais¬
hört er zu den früh entwi
ich meine nicht auf das Publikum, sondern auf eine literarische
sance=Schauspiel „Der Schleier der Beatrice“. Das Kostüm
Koterie, die nach langen Kaffeehausübungen in die Presse vor¬
gedrungen ist, so wäre Schnitzler nur einer der literarischen ist nur übermalung, Lasur, aus der die Grundfarbe her= ein „Fertiger“, geschlossen