VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1903–1906, Seite 6

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aus Nähren und Schlesien. S
53. Jahrgang.
Samstag den 5. September 1903.

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vorschimmert. Und es ist eine besondere Schicht der Wiener
Triumphirn von Wien, die demshroßen Rate der „Jungen“
Gesellschaft, der Schnitzler durch Geburt und Erziehung an¬
vorstehen. Ich mag mich auf das Literaturgeschichtsmär¬
tergestalten.
gehört, eine bürgerlich=patrizische, feingeistige, in der die in
chen von den geeichten „Jungen“ hier nicht einlassen; über das,
einem engen Kreise festgewurzelte alte Wiener Kultur die
was jung im Sinne des starken, begeisternden und befruch¬
Wendung ins Resignierte und Geistreich=Ironische genommen
tenden poetischen Lebens ist, entscheidet kein Kaffeehaus, kein
Klaar.
hat. Es ist eine andere Schicht und ein anderes Wien als
Feuilleton und kein Vortrag in einem Literaturvereine, sondern
ler.
jenes, das durch Bauernfelds Lustspieltypen dem Theater¬
die Empfänglichkeit des Volkes in seinen poesiefreudigen Ver¬
publikum vertraut geworden. In Bauernfelds bureaukrati¬
tretern, das Leben selbst, das sich an solchen Erscheinungen
schen und aristokratischen Gesellschaftstypen geraten philiströse
verjüngt. Diejenigen, die sich heiser schreien, um zu beweisen,
em Lärme später Aner¬
Naturen und humoristische Lebenskünstler von freierer Auf¬
daß sie „Junge“ sind, sind entweder alt, als unfruchtbare
es eindrang, zu Beginn
fassung ergötzlich aneinander, dazwischen gibt es auch gut¬
Pedanten auf die Welt gekommen, oder mitten in ihrer Ju¬
war ein Thron erledigt.
mütige Tröpfe der Unbildung, Salonschlangen und Narren
gend an ihrer Agitation und an ihrer Eigensucht verwelkt
deutschen Dichtung, die
des Leichtsinns — aber sein Wienertum tritt nicht aus dem
und verdorrt. Davon also kein Wort mehr. Die beiden Lite¬
n, gab es immer einen
geschlossenen Kreise der oberen Zehntausend hinaus — die
raten, die man als angebliche Schulhäupter in engen Kreisen
ien residierte. Raimund,
Vorstadt mit ihren Grisetten existiert für ihn nicht, und der
neben Schnitzler zu nennen pflegt, Hermann Bahr und Hugo
ramatiker schwieg, Niko¬
Lebemann zeigt nur die Seite, die er dem Salon zukehrt.
v. Hoffmannsthal, haben übrigens in der Tat manchen Zugmit
utschen Literaturfürsten
Schnitzler zeichnet das Wiener Leben gerade an jenen
ihm gemein, nicht etwa aus irgend einem Programm oder
utsch gesagi und gesun¬
Grenzgebieten, wo die sogenannte gute Gesellschaft sich mit
Prinzip heraus, sondern weil sie in derselben Sphäre aufge¬
turen, aber alle mitsamt
den breiten Volksschichten berührt, wo Lebemänner und Lebe¬
wachsen sind. Sie nähern sich ihm von verschiedenen Seiten
nfeld, Anastasius Grün
jünglinge sich mit der Naivetät „vom Grund“ verbinden, um
her, Bahr von der der ironisch geistreichen Betrachtung des
österreichische, für den
einen Traum durchzukosten, oder der erklärten Leichtfertigkeit
Wiener Lebens, Hoffmannsthal von der der bizarren poetischen
eZüge. Damals, im Jahr
huldigen, um in der Ungebundenheit zu schwelgen. Die Komik
Träumerei, die die Lebemannsmüdigkeit auf hohe Töne
e zweifelhaft. Ein Jahr
und Tragik dieser wilden Verhältnisse ist das Hauptgebiet
stimmt.
it seinem „Pfarrer von
seiner Beobachtung und seiner Mitempfindung. In die eine
Auf einen flüchtigen Blick hin könnte man fast meinen,
hr abgeschmackte Ausdruck
wie in die andere dringt das Licht einer ironischen Resigna¬
die beiden repräsentierten die Elemente, aus denen Schnitzler
in der Bühne besviegeln,
tion ein, die die Verwegenheit adelt, mit der das Natürliche
zusammengesetzt ist: die satirisch beobachtende und die traum¬
ur wirken, nicht gelten
ans Licht gerückt und selbst das Gemeine entschleiert wird:
haft symbolisierende Auffassung gesellschaftlichen Verfalls.
Souverän der deutsch¬
seine Toren des Genusses leiden am Leben, sie sind, wie er
Aber die Chemie versagt wie immer in solchen Fällen; aus
, der den Süden immer
seinen Anatol sich charakterisieren läßt, „leichtfertige Melan¬
Bahr und Hoffmannsthal zusammen macht man trotz alle¬
em gemeinsamen Boden
choliker“, Prahler der Lebewelt, die Blasiertheit heucheln und
dem keinen Schnitzler. Bahr ist einer von jenen Publizisten
Ernennung. Aber An¬
sich immer wieder in Vorstellungen hineinschwärmen, denen
höherer Ordnung, die unsere französischen Nachbarn weit
tsamkeit waren nur noch
ihre eigene Natur oder die ihres vermeintlichen Ideals nicht
höher einzuschätzen wissen, als wir Deutschen. Er ist voll
er, ging er im November
Stand hält, oder Knaben voll Großmannssucht, die mit Aben¬
von Impulsen, Einfällen, rasch ##e#alisierenden Auffassun¬
Prillparzer werden nicht
teneen spielrn, in denen sie sich verstricken. Dieses zweite Leben
gen, ja sogar von origineller Bildkraft in der Wirbergabe
uchen den Impuls des
der Großstadt, das sich dicht hinter den Kulissen der Gesell¬
charakteristischer Erscheinungen der Gegenwart, ein Meister
werden, so radikal die
schaft ausbreitet und in seiner Leichtfertigkeit und Heuchelei
der literarischen Blitzphotographie, ein Dialektiker, der über¬
mer zu Geistern empor¬
viele Existenzen vergiftet und vernichtet, ist das Hauptgebiet
raschende Vorgänge sehr fein zergliedert. Aber wenn er das
ergehen.
der Schnitzlerischen Dichtung; er führt die Konslikte dieser
Gesehene aus sich heraus fortspinnen und von Gnaden des
3 in Wien nur Präten¬
Welt bald mit juvenalscher Satire an die Grenze einer trau¬
eigenen Temperaments beleben will, klappt es ihm leicht zu¬
Wenn ich mich aber
rigen Lächerlichkeit, in der der Mensch sich in die Selbstver¬
sammen; er braucht, scheint es, die Luft der Aktualität, um
schen Thrones am näch¬
achtung ergibt, bald wiederum zu erschütternden Katastrophen,
es aufzublasen und in die Höhe zu bringen. Hoffmannsthal
hnitzler. Dabei liegt
in denen eine echte Natur durch die Lüge, der sie das beste
hat viel Kunst, aber wenn man ihn einen Künstler nennt,
iner, die neben ihm die
Teil ihres Wesens anvertraut hat, zu Grunde geht.
denkt man daran, daß sich das Wort auch von künsteln her¬
rtreten, zu verkennen.
Dabei kommt ein Element der Beobachtung und Bil¬
leiten läßt. überfein, mit allen Salben der Formkunst gerie¬
Empfindung heraus so
dung ins Spiel, das vielfach diesen Darstellungen einen her¬
ben, spielerisch geistig, grillparzerisch in der Tonart bis zur
ist auch in Deutschland
vorstechend eigentümlichen Zug gibt: die Vertrautheit mit
Meisterkopie, grüblerisch klug, bleibt er doch immer im Schat¬
oße Bauernpoet hat seine
physiologischen und phatologischen Zuständen, der ausgebil¬
tenhaften stecken, er gehört zu jenen Symbolisten, die nicht
Föderalist der Alpenlän¬
dete Sinn für die Verwandtschaft zwischen Leidenschaft und
die Welt heranrufen, sondern sie scheuchen, deren Sinnbild¬
, aber er wurzelt in der
Krankheit. Die Richtung des Blickes für solche Erscheinungen
lichkeit die Wesen nicht verdichtet, sondern verdünnt und ver¬
dem man nichi nur den
war für Schnitzler von Hause aus bestimmt. Sohn eines
flüchtigt.
chtung, sondern auch die
Professors der medizinischen Fakultät, eines angesehenen
Gewiß hat Schnitzler mit beiden Verwandtschaft; aber
r verehrt, ist ein Mann

HAAL