VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1903–1906, Seite 13

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2. Cuttings
Feuilleton-Beilage des Tagesbote aus Mähren und Schlesien
Seise 2
Sterben niederlegte, kon
zialität als ein führender Geist. Kommt er darüber nicht
Buch einen Schatten auf alle früheren Bucher zurückwerfen!
nicht ein Genie dieser
hinaus, so bleibt er lediglich ein interessanter Sittenschil¬
und manches, was nur natürlich ist, in den Verdacht des
Mit Salis' Tod b
derer, der der Zeit, für die er zeugt, untertänig ist, der
Zynismus bringen. In Wahrheit ist „Reigen“ nur das dem
fall. Die Ungezählten, di
vollendete Typus einer geistreichen und dekadenten Jugend,
Mange nach letzte Werk Schnitzlers, aber schon vor Jahren
Ville kamen, hatten imm
die noch stark genug ist, den Genuß zu zerfasern, aber doch
entstanden und ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit be¬
lionen vor Augen.
zu schwach ist, sich über ihn zur Tat zu erheben.
sstimmt. Es handelt sich um Erfahrungen aus dem niedrig¬
konnten den spitzenbesetzt
Die Elemente der Größe, der Freude und der Lebens¬
ssten Gebiete der Erotik, die in verschiedenfarbige Dialoge
standhalten. Von Tingel
bejahung sind ihm bisher versagt. Erhebt sich seine unleug¬
eingekleidet sind und dadurch zusammenhängen, daß der
einmal da. Aber diesel
bare dichterische Kraft über die Welt, in die sie bisher ge¬
Held oder die Heldin des brutalen Abenteuers immer wieder
Glieder nichts waren, wer
bannt war, dann ist Starkes von ihm zu erwarten; denn
sin eine zweite gleich verfängliche Beziehung hinübergreift,
Meter breiten Bühne ei
die Kraft des Gestaltens liegt in seinen novellistischen und
sso daß ein Reigen von Faunen und Mänaden gebildet wird.
Riviere zu schauen oder
dramatischen Kleinodien; in seiner gelassenen, ernst=liebens¬
Die gute Beobachtung verleugnet sich auch hier nicht, aber
Fragerolle zu hören, die
würdigen Persönlichkeit, die äußerlich stark an Daudet er¬
was dargestellt wird, ist die entseelte physische Lust in ihrer
sie doch auf veritablen
innert, liegt viel Kraft stiller Anspannung und verschwie¬
täppischen Begehrlichkeit und in ihren kleinlichen Ränken, so
wie im Cabaret „Au ne
gener Innerlichkeit, die sich zu geschlossenen Wirkungen
daß das Ganze sich trotz der künstlerischen Fassung den Niede¬
nen Cypernwein in antic
sammelt.
nungen jener pikanten Literatur nähert, die der schmutzigen
ten wie in „Au ciel";
So ist er, wie ich im Eingange sagte, ein Prätendent
Neugierde entgegenkommt. Immer damit beschäftigt, die
Süßigkeiten noch die „
für einen Fürstensitz der Literatur; sicherlich ein Prinz
tragischen Wirkungen der Sinnlichkeit auf den Organismus
des Inferno vermochten
aus Genieland, aber im höchsten Sinne bis jetzt doch nur
einer dekadenten Gesellschaft darzustellen, mochte Schnitzler
P. T. Pariser Publiko
ein Prätendent.
diese Studien entworfen haben — das war sein Künstler¬
Und von den Bata
recht, vielleicht für ihn eine künstlerische Notwendigkeit, um

P Montmartre war von An
des Elements, das durch so viele menschliche Beziehungen
gewesen — wieviele sind
hindurchwirkt, völlig Herr zu werden. Aber er durfte diese
Vier Mann im gan
Blätter, diese ganz einseitigen Studien, diese dürren Ge¬
Montmartre 7.
wenn man denken müßt
rippe der Erotik, die zusammen wie ein Totentanz der Ge¬
Von Eugen Schick.
des Kunstzigeunertums
meinheit anmuten, nicht aus der Künstlermappe hervorholen,
Willette ist der erste
um sie vor der Öffentlichkeit auszubreiten — ihr Erfolg
Monkmartre liegt im Sterben. Vielleicht ist es schon
von Montmartre, der
ruht auf einem unkünstlerischen Nebeninteresse, dem sich
tot. Ein wehmlitiges: „Es war einmal . . .“ Und es war
Leben erweckt hat. Aber
dichterische Gaben nicht dienstbar machen dürfen.
etwas Schönes .. . Und heute: „Aus is!“
Knabe, dem seine Colom
Der „Reigen“ ist indes, wie gesagt, nicht von heute,
„Also haben wir doch recht gehabt!“ werden sich nun
Dann kommt Stein!
wöhrend „Der Schleier der Beatrice“, unzweifel¬
viele Leute sagen — denn, „recht zu haben“, darauf kommt
der vollgepfropften Omn
haft ein Hauptwerk Schnitzlers, seiner letzten Schaffenszeit
es doch im Leben an . . . Leute aus dem Lande der Gottes¬
der kleinen Mädchen, die,
angehört. Dieses Drama ist ein im Grundtone hochgestimm¬
furcht und frommen Sitte werden es sich sagen, Leute, die
das Pariser Pflaster tä
tes Werk, das auf einen übergang hinzudeuten scheint.
mit gemsbartversehenen Lodenhüten und Touristenjoppen zur
stadtgassen, in denen das
(chnitzler macht da zum ersten Male den Versuch, aus dem
Zeit der letzten Pariser Weltausstellung in der schweißtrei¬
Als dritter ist sodan
Genremäßigen und Epigrammatischen herauszukommen und
benden Atmosphäre unterschiedlicher Montmartre=Künstler¬
katurist allerersten Rang
ein breiteres Weltbild aufzurollen. Die Renaissance, die
kneipen einherstiefelten, jedes Kabarett mit einem Fluche ver¬
Scharfblicke für körper
gelegentlich schon wie durch eine Luke in seine kleinen Szenen¬
ließen, der nach „Schwindel!“, „Humbug“ „Mumpitz“ oder
Künstler demgemäß, welch
folgen hereinleuchtete, überglänzt da die ganze Breite der
etwas Ahnlichem klang, um hierauf, ein, zwei Hausnummern
keine größere Lust kennt,
Szene. Ernste Kämpfe und Staatsinteressen werden in das
weiter, vom neuen 'reinzufallen
ten voran, so abzubilden
Toben der Leidenschaften hineingezogen und die Sprache,
Freilich: das Montmartre der letzten Exposition
Spiegeln unserer „Lachk
grillparzerisch angehaucht und dabei doch nicht ohne ori¬
universelle war gar nicht das eigentliche. Es war ein für
Und der Vierte ist
ginelle Klangfarbe, erhebt sich im Verse zum glücklichen Aus¬
die Fremden hergerichtetes.
Huysmans des Montmar
drucke des Bedeutsamen. Sicherlich ist in diesem Drama
Aber auch das „eigentliche“ Montmartre liegt im Ster¬
Der letzte Sproß des b
mehr Reichtum der Vorstellungen und der Charakteristik als
ben. Oder ist vielleicht schon tot. Herr Erich Klossowski
schlechtes, der seine Mode#
in irgendeinem vorhergegangenen Werke Schnitzlers, aber
sagt es, ein Kenner der Pariser Bohème, wie man sich ihn
cafés findet, der seine B
auch weniger Sicherheit der Technik, und wenn man näher
unterrichteter gar nicht mehr vorstellen kann. Und Herr
schweifungen skizziert, de
zusieht, auch noch keine überwindung der Motive, an die
Klossowski, der ein Kritiker bester impressionistischer Manier,
Scheines, die tausend
die ganze dichterische Jugend des Autors gekettet erscheint.
ja vielleicht ein Dichter ist, hat dem Leben auf der „butte“
Menschen verhöhnt und
Die tolle Sturmnacht der Schwelgerei, in die das anschei¬
flugs einen Epilog geschrieben, der als fünfzehnter Band
keit medizinischer Arbeiten
nend dem Untergange geweihte Bologna untertaucht, dient
der von Richard Muther unter dem Sammeltitel „Die
sen in die Menge wirft
doch nur dazu, das alte Thema von dem „süßen Mädchen“,
Kunst“ herausgegebenen illustrierten Monographien im
Das ist die künstleri
ddas durch die Leidenschaft der Männer zweifach, durch über¬
Verlage Julius Barv inBerlin eben erschienen ist.
Montmartre.
schätzung und Verachtung, mißhandelt wird, noch einmal
Der Märtyrerhügel als Sammelpunkt moderner Kunst¬
Montmartre ist tot.
gründlich abzuhandeln. Der bedrohte Staat, der verant¬
beflissenen zählt erst ab 1881. In diesem Jahre gründete
wortliche Herzog, das Tosen und Schwanken des Volkes,
Rodolphe Salis sein Kabarett „Au chat noir“, das Kneip¬
sdas ist alles nur schöne Dekoration, diese ganze aufgewühlte
lokal „Zum schwarzen Kater.“
Welt dreht sich um ein kleines, sinnliches Geschöpf, das,
Dieser Salis muß ein närrischer Kumpan gewesen sein.
Des Haup
halb Weib, halb Dirne, von großer Hingebung und klein¬
Etwas von Don Quixote, etwas von einem Jahrmarkts¬
lichen Begehrungen hin= und hergeworfen wird, bis es in
Skizze von
buden=Ausrufer und etwas von einem amerikanischen Trust¬
seiner Gebrechlichkeit, die für die Freiheit nicht geschaffen
Kommandore up to date stak in ihm. „Gott hat die Welt
Deutsch von S
ist, zu Grunde geht. Die überreizte Leidenschaft des Poeten
gemacht, Napoleon hat die Ehrenlegion gegründet, ich habe
Die soeben aufgehende
und des Fürsten sucht in dem Kinde eine Größe, die das
Montmartre gemacht“ —so hat er sich selbst einmal einge¬
Flitterwesen nicht aufbringen kann; unschuldig=schuldig geht
schätzt. Die längste Zeit hat dieser Rodolphe Salis sein Le¬ Kreisstadt, die Hähne warch
diese Geldin, die keine ist, an den Enttäuschungen der wilden


G