VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1903–1906, Seite 28

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2. Guttings


mit der mitfühlenden Seele des Denkers zu er= und sich in diesem Meisterwerke der Erzählungs¬
fassen und darzustellen.“ — Haben schon die Schau¬
kunst eine Situation foig richtig ans der vorange¬
Semheion. 7070
spiele des Dichters, die eines halb lyrischen, halb
gangenen entwickelt. —
Mit einer trockenen In¬
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novellistischen Untertones nicht entbehren, Anspruch
haltsangabe ist besonders bei Schnitzler wenig ge¬
Wiener Vileralurbilder.
dient.
auf dauernde Würdigung, so gehört ja sein älterer
Novellenband „Die Frau der Weisen“, der Meister¬
(Schluß.)
Geronimo ist in früher Jugend durch das
werke wie „Ein Abschied“ und besonders „Ein
Verschulden seines älteren Bruders Carlo erblindet.
Meine s. z. „Reformvorschläge“ im Feuilleton
Ehrentag“ bietet, zu den besten Gaben der neuen
Um seine Schuld zu büßen, geleitet dieser den
dieses Blattes vom 7. und 10. Juli 1904 sind ja
Zeit. Seine psychologische Seelenstudie „Leutnant
Blinden, der sich durch Singen und Gitarrespielen
wegen der Gleichgiltigkeit des Publikums fast spur¬
Gustl“ ist längst berühmt. Seinen neuesten im
einen kärglichen Lebensunterhalt erbettelt, von einem
los verhallt, und es wäre ein müßiges Beginnen,
Wiener Verlage (zum unerhörten Preise von 1 M.)
Orte zum anderen, und betreut ihn im Winter und
Schnitzlers wundervolles Renaissancedrama „Der
erschienenen Novellenband „Die griechische Tänzerin“.
Sommer, so gut er es kann. Aber die ganze Zeit
Schleier der Beatrice“ zu erläutern, das, wie Koch
kann ich aber schon deshalb nicht übergehen, weil
hindurch schlummert in der Brust des Blinden ein
& Vogt in der neuesten Auflage ihrer „Deutschen
der Dichter damit durch eigenen Vortrag kürzlich
tiefes Mißtrauen gegen den Bruder, der die Al¬
Literaturgeschichte“ nachweisen, nebst Arthur Fit¬
in einem Prager „Concordiagbende großen Beifall
mosen einsammelt und die Kasse führt. Er glaubt
gers s. z. gleichfalls in Vorträgen (Oktober 1904)
geerntet hat. Ini der Titelsovelle dieses Bandes
sich von ihm betrogen, läßt aber nichts merken,
erläutertem Schauspiel „San Mareos,Tochter“ das
findet sich seine vielgerühmte Kunst des gedämpften
bis der unbedachte Scherz eines Fremden, der ihm
beste Schauspiel der letzten Jahrzehnte trotz Haupt¬
Vortrages, der nur einmal durch einen starken Ak¬
zuflüstert, er habe Carlo ein Goldstück gegeben, den
mann und Sudermann ist. Man sieht aber
zent unterbrochen wird.
— „Da sie litt, und ihr
Funken ins Pulverfaß fliegen läßt. Carlo kann den
schon daraus, daß der vielgescholtene Budweiser
ganzes Leben lang gelitten hatte wie ein Tier.“
ausbrechenden Haß des Unglücklichen, dem er sein
Volksbildungsapostel doch schließlich Recht behält.
Das wirkt aber dann wie ein Schlag aufs Herz.
Leben opferte, nicht ertragen, und wird zum Dieb,
* Wer aber besonders Schnitzlers „Zwischenspiel“,
Dieses verstehende Mitgefühl mit der Frauen¬
um das Goldstück herbeizuschaffen. Er bringt es
„Schleier der Beatrice“ und besunders „Der ein¬
seele kennzeichnet ja alle Werke des Dichters, und
ihm. Geronimo bleibt unversöhnlich. Erst als sein
same Weg“ aufmerksam ließt, wird zugeben müssen,
Bruder verhaftet wird, beginnt er zu verstehen ...
daß die wundervoll durchgeistigte Melancholie des
den ieer sah iehte un ie Bienerscherch
und ihn zu lieben. Da heißt es. „Plötzlich blieb Ge¬
Dichters ohne Beispiel dasteht. Der Grundzug
Das aber nur nebenbei. — Die übrigens vom
ronimo stehen, so daß auch Carlo innehalten mußte.“
dieses gleichfalls dem ärztlichen Berufe angehörigen
Dichter selbst auch in Prag so erfolgreich vorge¬
„Nun, was ist denn?“, sagte der Gendarm ärger¬
Dichters ist, nach Lothar „das Unbewußte, das Ver¬
lesene Bettlergeschichte vom „Blinden Geronimo
lich. „Vorwärts, vorwärts!“ — Aber da sah er
schleierte im Leben des Alltags, den unaufhörlichen
und seinem Bruder“ ist aber geradezu einzig.
mit Verwunderung, daß der Blinde die Gitarre
Tod unserer Gefühle und Stimmungen. der Stunden
Man überzeuge sich doch nur selbst, wie un¬
auf den Boden fallen ließ, seine Arme erhob und
und Tage, das beständige leise Absterben in uns mittelbar diese reife Kunst zum Herzen spricht, mit beiden Händen nach den Wangen des Bruders