VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1903–1906, Seite 32

2. Guttings
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T ener
zu beschleichen und zu erdrücken. Eine Sprache mit innerer
Liebendiger Kraft wird Bilder nur in großen, feierlichen
Momenten herbeiholen. Bilder sind Feste der Sprache.
Hugo v. Hofmannsthal schreitet immer im Festirnat ein¬
ber, immer Großkordon, Hochmeister, Prophet, Seher,
Magie, Dämpse, Opferrauch, Nituale. Hinter jedem Wort
steht der Festordner oder der Regisseur, der ein Bild stellt.
Diese Bildersucht im gierigen Greisen nach dem Ent¬
Aegensien verschuldet eine peinliche Verquickung von
Bildern: „Dein Blut soll blüh'n in einer Brut von
Adlern (nicht genug!) aus Feu'r geboren,“ oder: „Sein
Leib, mit Schwerterhieben blutend aus dem Mutterschoß
der Nacht herausgehau'n, steht hier. Wie wird in den
ausschweifenden Hofmannsthalschen Vergleichen der Zweck
des Bildes verkannt und verkehrt!
„Wo sich der Seele in der Opfernacht
Die schwere funkelnde Milchstraße nieder
Wie eine Wünschelrute hiegt, und sie
Die Seele dir, der eigenen Kraft erschrocker,
Hinuntertauchen in sich selber will
Und spürt, hier ist kein Grund: dem Weltmeer ist
Ein Grund gesetzt — ihr nicht...
Wem wäre die Milchstraße je schwer erschienen und
gerade mit einer Wünschelrute vergleichbar? Und welch'
merkwürdige Tätigkeit wird ihr zugesprochen! Hugo von
Hofmannsthal entsinnlicht die Vorstellungen, die das Bild
versinnlichen sollte. Da rede man nicht von einem Meister
der Sprache. Hier ist Schwüle und Schwulst.
Man möge es mir nicht verdenken, daß ich bei dem
Oedipus von Hugo v. Hofmannsthal eher an die
Schwulstdichter Hofmann v. Hofmannswaldau und Daniel
Kaspar v. Lohenstein (1635 bis 1683) als an Sophokles
gemahnt werde. Also Oedipus:
„Versteh doch, was mein Mund sich krümmt zu sagen.“
Oder:
„Ich könnte wähnen, daß ich diese Nacht
Die Tat getan hab', die vom zuckenden
Gefild des Himmels sich mit seliger Hand
Die Lebensblume reißt!“
Oder Kreon:
„O bodenloser Abgrund, wenn das Zeugende
Des tief geheimen Denkens mir zu Jnnerst
Mit solcher Unkraft mir vergiftet ist
Und in so fahlen Träumen seinen Atem
Ausläßt, daß mir vor Ekel übel wird.“
Nun lese man im Ibrahim des Lohenstein:
„Die heftige Begier,
Mit der er unser Herz, als ein erhitztes Tier
Blutdürstig angefallen, wird nicht so bald verglommen
Zu toter Asche sein.“
„Ist dies das schöne Mahl, auf dem man unser Blut
Vermischt mit Speis' und Wein in die Kristalle tut.
Verbrennt und löscht mit mir den Blutdurst eurer Zunge!“
Am Anfang, im Prolog:
„O. die Glieder triefen
Voll Ungst=Schweiß! Ach des Achs! Der laue Brum
Der dürren Adern schwellt den Gischt der Purpur=Flut!
Mein Blutschaum schreibt mein Elend in den Sand.
Und:
„Sei verflucht,
Aus meines Todes Schweiß heraus verflucht.
Dann lesen wir:
„Entliefst du, als er wollt
Aus Kot und Asche dich auf Stuhl und Eh'=Bett heben?“
Und:
„Wer einen Haufen Kot
Vom Boden aufnimmi, hält in seiner Hand
Doch etwas, wer dich hält, der hält ja nichts.“
Endlich:
„Wenn wir den Kopf gesteckt
Zur Erden, dann zieht zu, daß wir in eigenem Bade
Ersaufen unsres Bluts“ ... (Trompeten.)
Und:
Der Blutstrom riß sich auf in seinem Bette
Mit mir auf seinem Haupt und hub mich auf zum Gott.“
Bei den letzten Zitaten habe ich nicht mehr angezeigt,
ob sie aus „Ibraim Bassa“ von Lohenstein oder aus
„Oedipus“ von Hofmannsthal herrühren. Die Methode,
Kraft zu erzeugen, ist bei diesen Dichtern gewiß nicht die
gleiche. Dort aufgestacheltes Unvermögen der entnervten
deutschen Sprache — hier aufgetriebenes Artistentum und
Virtuosität. Die Ergebnisse aber sind vielfach allzu ähnlich.
Vielleicht schreibt ein Literarhistoriker die fehlende Doktor¬
dissertation üher das Verhältnis Hugo v. Hofmannsthals
zur zweiten"schlesischen Dichterschule.