2. Cuttings
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„UBSERUER“
I. österr. behördl. konz. Uaternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest. Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen. London, Madrid, Mailand Minneapolis,
New-York, Paris, Rom. San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus:
CEAPP
Se
vom: -0
Titerarische Moden.
Von Julius Havemann=Lübeck.
Wenn ein junger Schriftsteller seine Laufbahn beginnt,
hat er zunächst die Vorbilder, die Gewalt über ihn gewannen,
dann aber die Mode zu überwinden. Wir hören manchen,
der gestern dunkel war wie die Apokalypse und wie Mombert,
morgen in kindlicher Einfalt wie ein guter Hirte das
Märchen erzählen. Was aber nicht mit dem Tage versinken
will, das besinnt sich endlich an der Welt und dem Wirk¬
samen, das bedeutende Menschen vor ihm schufen, auf sich
selbst. Er, der unfertig anderen am Rocksaum hing, merkt,
daß er seine Füße hat, um sich den eigenen Weg zu suchen,
und unternimmt es, zu geben, was von ihm brauchbar ist.
Neben ihm aber geht die Mode weiter. Die verschieden¬
artigsten Köpfe packt ihr Strom und hebt sie empor. Viel¬
leicht eines Tages auch ihn. Wer macht sie? Oder wes
Geistes ist sie? Wodurch wirkt sie so mächtig, daß sie
selbst den Größen der Literatur Jünger zu entreißen
vermag?
Die Mode gibt dem nur Aufnehmenden noch mehr,
als dem Schoffenden: Rückenstärkung im Urteil. Ihre
Macht schafft den Zulauf, und der Zulauf ihre Macht.
Diese Macher sind eine große, sehr laute, sehr selbst¬
bewußte und eine erbarmungslose Gesellschaft, die man immer
in ihrer Streitfertigkeit spürt, die sich kaum um das Was und
Wie, geschweige denn um das Warum kümmern, das eine
Minderheit von Wortführern oft wie unzulänglich! aber
darum nur um so unnahbarer zu vertreten unternimmt, die
in ihrer Mehrheit nur einen Namen brutal und jedes fremde
Urteil lähmend hinausschreien. Ihre „Ansicht“ scheint durch
solche Einfachheit so viel mehr Kraft zu haben, als ein entgegen¬
gesetztes wägendes Urteil, wie ein einfaches Ja oder Nein Kraft
hat über den gleichen Kern in einkleidender Begründung. Man
kann über mancherlei verschiedener Ansicht sein, aber so über¬
legen auf ein Parolewort hin den Andersdenkenden ver¬
achten, wie einer, der die Mode als unkritischer Bekenner
mitvertritt, wird ein gewöhnlicher Sterblicher schwerlich. Das
tut nun seine Wirkung.
Und woher rekrutieren sich nun diese Macher und Verkünder
der Mobe? Woher nimmt diese ihren Ursprung? Auf dem
Theater? In den Cabarets etwa? Das entscheidet schon bei
der Auswahl die Mode. Man verweist neben Literatencafés
und Zeitungen vor allem auf die Salons. Sie stecken sich
gegenseitig an. Sie besehden sich auch wohl. Aber sie schaffen
zusammen etwas wie einen Akkord. Ihre Häupter, meist
weiblichen Geschlechts, beeinflussen durch die wirkende Gunst
die Schaffenden wie die Leonoren ihren Tasso. Sie haben
ihre Hände in den Redaktionsstuben und vor den welt¬
bedeutenden Brettern. Es sind Wesen, die sich langweilen
würden, wenn sie nicht Mode machten, die aber über Garni¬
turen im Kleiderschrank und die Arr der Gedecke hinauszu¬
denken vermögen, die in der großen Welt ihre Wirkungen
spüren möchten. Sie wissen einen Peter Altenburg, einen
Salus, einen Schnitzler zu würdigen. Sie finden hier ihre
Anschauungen von ihrem Horizont umgrenzt, und sie finden
jallerhand Dunkles darin und wissen, daß dies Abgründe sind
und himmeln einander darüber an: Welche Tiefe! Welche
Tiefe haben wir! Ach und welche verfeinerte Bildung! Und
was für Nerven! Sie erbeben unter dem leisesten Anhauch
aus einer übersinnlichen Welt.
Es gibt etwas, das den Gegensatz zum Salon dar¬
stellt, das ist die deutsche Familie.
e ist es nicht,
die uns in den Ruf brachte, lüstern an allems
Fremden herumzutasten und das Eigene zu verachten.
Sie macht auch keine Mode. Sie kennt den Kunstgriff nicht,
hadurch Unmündige zu ihrem Munde zu machen, daß sie eine
illerpersönlichste Meinung für eine allgemein anerkannte aus¬
jiebt. Sie ahnt es nicht, warum es von Bedeutung sein
ann, auf ein Gedichtbuch nicht mehr „Gedichte“ sondern
„Verse“ oder „Reime“ zu schreiben. Sie begreift es nicht,
warum ein Dramenstoff, der d
Sg in
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„UBSERUER“
I. österr. behördl. konz. Uaternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest. Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen. London, Madrid, Mailand Minneapolis,
New-York, Paris, Rom. San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus:
CEAPP
Se
vom: -0
Titerarische Moden.
Von Julius Havemann=Lübeck.
Wenn ein junger Schriftsteller seine Laufbahn beginnt,
hat er zunächst die Vorbilder, die Gewalt über ihn gewannen,
dann aber die Mode zu überwinden. Wir hören manchen,
der gestern dunkel war wie die Apokalypse und wie Mombert,
morgen in kindlicher Einfalt wie ein guter Hirte das
Märchen erzählen. Was aber nicht mit dem Tage versinken
will, das besinnt sich endlich an der Welt und dem Wirk¬
samen, das bedeutende Menschen vor ihm schufen, auf sich
selbst. Er, der unfertig anderen am Rocksaum hing, merkt,
daß er seine Füße hat, um sich den eigenen Weg zu suchen,
und unternimmt es, zu geben, was von ihm brauchbar ist.
Neben ihm aber geht die Mode weiter. Die verschieden¬
artigsten Köpfe packt ihr Strom und hebt sie empor. Viel¬
leicht eines Tages auch ihn. Wer macht sie? Oder wes
Geistes ist sie? Wodurch wirkt sie so mächtig, daß sie
selbst den Größen der Literatur Jünger zu entreißen
vermag?
Die Mode gibt dem nur Aufnehmenden noch mehr,
als dem Schoffenden: Rückenstärkung im Urteil. Ihre
Macht schafft den Zulauf, und der Zulauf ihre Macht.
Diese Macher sind eine große, sehr laute, sehr selbst¬
bewußte und eine erbarmungslose Gesellschaft, die man immer
in ihrer Streitfertigkeit spürt, die sich kaum um das Was und
Wie, geschweige denn um das Warum kümmern, das eine
Minderheit von Wortführern oft wie unzulänglich! aber
darum nur um so unnahbarer zu vertreten unternimmt, die
in ihrer Mehrheit nur einen Namen brutal und jedes fremde
Urteil lähmend hinausschreien. Ihre „Ansicht“ scheint durch
solche Einfachheit so viel mehr Kraft zu haben, als ein entgegen¬
gesetztes wägendes Urteil, wie ein einfaches Ja oder Nein Kraft
hat über den gleichen Kern in einkleidender Begründung. Man
kann über mancherlei verschiedener Ansicht sein, aber so über¬
legen auf ein Parolewort hin den Andersdenkenden ver¬
achten, wie einer, der die Mode als unkritischer Bekenner
mitvertritt, wird ein gewöhnlicher Sterblicher schwerlich. Das
tut nun seine Wirkung.
Und woher rekrutieren sich nun diese Macher und Verkünder
der Mobe? Woher nimmt diese ihren Ursprung? Auf dem
Theater? In den Cabarets etwa? Das entscheidet schon bei
der Auswahl die Mode. Man verweist neben Literatencafés
und Zeitungen vor allem auf die Salons. Sie stecken sich
gegenseitig an. Sie besehden sich auch wohl. Aber sie schaffen
zusammen etwas wie einen Akkord. Ihre Häupter, meist
weiblichen Geschlechts, beeinflussen durch die wirkende Gunst
die Schaffenden wie die Leonoren ihren Tasso. Sie haben
ihre Hände in den Redaktionsstuben und vor den welt¬
bedeutenden Brettern. Es sind Wesen, die sich langweilen
würden, wenn sie nicht Mode machten, die aber über Garni¬
turen im Kleiderschrank und die Arr der Gedecke hinauszu¬
denken vermögen, die in der großen Welt ihre Wirkungen
spüren möchten. Sie wissen einen Peter Altenburg, einen
Salus, einen Schnitzler zu würdigen. Sie finden hier ihre
Anschauungen von ihrem Horizont umgrenzt, und sie finden
jallerhand Dunkles darin und wissen, daß dies Abgründe sind
und himmeln einander darüber an: Welche Tiefe! Welche
Tiefe haben wir! Ach und welche verfeinerte Bildung! Und
was für Nerven! Sie erbeben unter dem leisesten Anhauch
aus einer übersinnlichen Welt.
Es gibt etwas, das den Gegensatz zum Salon dar¬
stellt, das ist die deutsche Familie.
e ist es nicht,
die uns in den Ruf brachte, lüstern an allems
Fremden herumzutasten und das Eigene zu verachten.
Sie macht auch keine Mode. Sie kennt den Kunstgriff nicht,
hadurch Unmündige zu ihrem Munde zu machen, daß sie eine
illerpersönlichste Meinung für eine allgemein anerkannte aus¬
jiebt. Sie ahnt es nicht, warum es von Bedeutung sein
ann, auf ein Gedichtbuch nicht mehr „Gedichte“ sondern
„Verse“ oder „Reime“ zu schreiben. Sie begreift es nicht,
warum ein Dramenstoff, der d
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