2. Cuttings
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402 Wsssesee Prof. Nich. M. Meyer: 188
Bernard Shaw, die realistische Milieukomö¬
Schriftsteller so weit getrieben hat wie Eli¬
die aus, und es entsteht ein an blitzenden
gius Reichsfreiherr von Münch=Bellinghausen
Einfällen reiches Drama: „Josephine“ (1898);
genannt Friedrich Halm! — mitgebracht und
er stellte der Zerrissenheit und Scheinsucht
verstärkt. Aber das Entscheidende haben
moderner Literatur die altmodische Einfach¬
nicht sie bewirkt, sondern eben die notwendige
des altöster¬
heit eines „guten Mannes“
Weiterentwicklung jener Tendenzen, die mit
reichischen Dialektdichters Stelzhamer
dem alten Österreich zusammenbrachen, ohne
gegenüber und bildet die Idee zu dem liebens¬
zu verschwinden. So ist denn auch der erste
würdigen Fünfakter „Der Franzl“ (1900)
Sturmvogel des neuen Wien in der Literatur
aus; er kritisiert wiederum die philiströse
ein „reinblütiger“ Österreicher gewesen, frei¬
Genieschen, indem er aus dem Schicksal des
lich aber auch kein Sohn der Kaiserstadt,
Komponisten Hugo Wolf die tragische Szenen¬
sondern ein Kleinstädter, der an dem Boden
reihe „Der arme Narr“ (1906) herausspinnt.
seiner Heimat nicht so fest haftete, wie noch
Ein Schauspieler — Talma —, ein Dichter
heut viele Wiener Schriftsteller — Schnitzler
— Stelzhamer —, ein Komponist — Hugo
z. B. oder gar Peter Altenberg.
— die kann er dramatisch rezensieren;
Wolf
Hermann Bahr aus Linz (geb. 1863) hat
will er allgemeiner politische Verhältnisse
als Nationalökonom und Sozialdemokrat
(„Der Apostel“, 1901), kulturelle Zustände
angefangen und ist (1886) mit einem Pam¬
(„Der Athlet“, 1899), „Der Klub der Erlöser“,
phlet gegen den bekannten konservativen
1905) oder auch selbst theatralische Zeitbilder
Sozialpolitiker Schäffle zuerst hervorgetreten.
(„Der Star“ 1898) und künstlerische Lebens¬
Der hatte „Die Aussichtslosigkeit der Sozial¬
ausschnitte („Das Tschaferl“, 1897) vergegen¬
demokratie“ geschrieben — Bahr schrieb „Die
wärtigen, so entstehen leblose Figuren, die
Einsichtslosigkeit des H. Schäffle“ und offen¬
mühsam in Situationen gebracht werden,
barte sofort schon im Titel sein Talent zu
aus denen man Pointen und Paradorien
geistreichen Worten und effektvollen Um¬
hervorziehen kann („Ringelspiel“, 1905).
kehrungen. Er reiste viel, und als in Berlin
Man pflegt zu sagen, der Dramatiker sei.
mit der „Freien Bühne“ ein Schauplatz für
vor allem durch die Kraft gekennzeichnet,
wirklich moderne Dramatik geöffnet schien —
mit der er sich in fremde Seelen hinein¬
wir dürfen, nachdem die Phasen der Über¬
zuversetzen verstehe. Aber es gehört dazu
schätzung und der Unterschätzung vorbei¬
noch ein anderes: er muß die Seele erst
gegangen sind, ruhig sagen: auch geöffnet
schaffen, in die er sich einfühlen soll! So¬
ward —, da war Bahr als eifriger journa¬
leidenschaftlich muß er sich in den Hamlet,
listischer Helfer an Stelle. Er vervielfältigte
den Tasso den Tell hineinuersenken, daß ein¬
sich, und als in der zur Unterstützung jenes
neues Wesen gezeugt wird, ähnlich ver beien.
Theaters gegründeten Zeitschrift der bei uns
Eltern: der überlieferten Figur — und dem
nie fehlende „häusliche Krach“ erfolgte, trat
Dichter. Dies ist Bahr versagt. Er kommt
Hermann Bahr gleich, wenn ich nicht irre,
nicht so weit, er bleibt zu fest in seine Atmo¬
in vierfacher Gestalt auf: auch noch als
sphäre gebannt; nur über die Mauer spricht
„Hermann Linz", „Globetrotter“ usw. (Es
er mit den Gestalten seiner Phantasie. Ge¬
war die Zeit, in der andere Journalisten von
nügte jene Bedingung, so wäre Bahr einer
etwas weniger Talent und sehr viel weniger
der ersten Dramatiker unserer Zeit. Denn
Charakter in ein paar Organen ihren ver¬
in fremde Seelen sich einzufühlen, einzu¬
schiedenen Seelen diametral verschiedenen
wühlen, ist seine Leidenschaft und seine Vir¬
Ausdruck liehen; bei Bahr war jeder solcher
tuosität. Doch aber — es bleibt auch hier
Widerspruch vor der letztgeäußerten Meinung
ein Aber.
stets durch die Auslandsfrist einer Entwick¬
Schon in dem alten Wien spielte die
lung gettennt.) Dann zeigte er in einem
Literatur eine unverhältnismäßig groß
den Skandinaviern nachgebildeten Drama
Rolle. Die Talente und Halbtalente sitze
(„Die große Sünde“ 1889) und einem noch
zu dicht aufeinander; fortwährend treff
viel stärker von französischen Mustern ab¬
sie sich im silbernen Kaffeehaus — und
hängigen Roman („Die hohe Schule“, 1890)
reden Literatur. Selbst bei Grillparzer, vi
seine gefährliche Anpassungsfähigkeit. Ich
stärker noch bei Schreyvogel oder Bauer
habe eben den, für mich wenigstens, un¬
feld — wovon ist in Tagebüchern und Brief.
sympathischst Mann von Alt=Wien genannt:
die Rede? Von Büchern und vom Theat¬
Friedrich Halm; etwas von dessen bösem
Von Politik darf man ja nur mit Vorst
Talent, Tendenzen der Zeit sich anzueignen
reden; sie wird aber auch fast nur unter d
und vergröbert wiederzugeben, lebte in dem
Gesichtspunkte der Zensurfreiheit und :
damaligen Bahr wieder auf.
verbesserten Buchhandels aufgefaßt.
Dann entdeckte er sich selbst — und ward
Immerhin: das lebendige Theater stand
ein in seiner Art unvergleichlicher Kritiker.
ein Stück künstlerischer Qualität neben
Eine lange Reihe von packenden, geistreichen,
abstrakten „Literatu.“. Jetzt ist diese Re¬
aber auch gemütvollen Essays und Kritiken
tät zerflattert; das Burgtheater beden
zeugt für ihn gegen seine vielen mißglückten
unter Laube und Dingelstedt nicht mehr ge
Dramen. Auch diese gewinnen die rechte
unter den Späteren gar nicht mehr, was
Beleuchtung erst, wenn man sie als drama¬
für die Wiener Dichter zur Zeit Schreyvogel¬
tisierte Kritiken auffaßt. Er spielt gegen den
Herrenkult, wie gleichzeitig der Irländer bedeutete. Die einzige künstlerische Wirklich¬
1888888a Das literarisch
keit, die geblieben ist, ist — das Kaffeehaus,
der Treffpunkt geistreicher Meinungen, wirk¬
samer Paradorien, die Versuchsbühne für
merkwürdige Ideen, das eigentliche Theater
geradezu, in dem die ehrgeizigen Autoren
ihre Szenen vor einem kongenialen Publi¬
kum zum besten geben.
Man hat die Wichtigkeit dieses Eitelkeits¬
marktes wohl überschätzt: Karl Kraus, Leo
Hirschfeld in ihren Satiren auf das „Café
Grienstadel“ und Rudolf Lothar in seinem“
Kaffeehausroman „Halbnaturen“, denen
dann in Berlin analoge Parodien auf unser
„Café Größenwahn“ gefolgt sind. Das aber
ist richtig: eine Zeitlang hat sich die jung¬
wienerische Literatur nur für das Café stili¬
siert. Dahin gehören jene sonderbaren kleinen
Unarten: die Leidenschaft, mit der Kennt¬
nis von Kognakmarken und Zigarettenfirmen
zu renommieren, wobei man so nüchtern sein
kann wie der letzte — hoffentlich letzte!
in dieser Reihe: der prätentiös=wichtige Lud¬
wig Hirschfeld, der richtige Epigone in der
dritten Potenz. Dahin gehören aber auch
Eigenheiten des inneren Zuschnitts wie
die, alles nur sub specie literaturae anzu¬
sehen. Ihr offizieller Repräsentant ist der da¬
malige Bahr.
Man kann sagen: es ist seine Größe, daß
er überall Menschen sucht, daß er warm¬
herzig Menschen zu fördern strebt — und
dies ist seine Tragik, daß er nur Bücher
findet. Die Seele, in die er sich einzufühlen
versteht, die er künstlerisch umgebildet uns
wiedergibt — es ist nie die Seele eines
Menschen, immer die eines Buches. Das
macht diese Essay=Sammlungen so inter¬
essant („Zur Kritik der Moderne“, 1891; „Die
Überwindung des Naturalismus“, 1891;
„Renaissance“, 1892; „Premieren“ 1901, u.a.):
die Bücher werden lebendig, erzählen von
ihrem Wollen und Werden; ihre Gedanken,
dort erstarrt, werden wieder flüssig, die Ge¬
stalten neugeboren. Oft sieht Bahrs Dar¬
stellung dem Original so wenig ähnlich wie
Schillers Wallenstein dem historischen — oft
hat sie eine höhere Wahrheit als ein refe¬
rierendes Porträt geben könnte. Vor allem
baber: es sind Kunstwerke, weil das Eckchen
Literatur stets durch ein Temperament aus¬
geebnet ist.
nicht nur
Und dies Temperament ist
— es ist auch individuell. Mag
„modern“
sich Hermann Bahr mit Eugen Wolff um
'die Priorität des so unschönen als unent¬
Zehrlichen Wortes „die Moderne“ streiten,
mag er das Wort „suggerieren“ eine Zeit¬
tang zu einem unvermeidlichen Modeartikel
gemacht haben — die Hauptsache ist doch,
aß hier ein Mensch war, für den es ein
Glück war, wirklich oder scheinbar Morgen¬
Wten aufgehen zu sehen, die noch nicht ge¬
Ruchtet hatten; für den es eine Seligkeit
dedeutete, neue Sensationen zu empfinden
and durch das Weitergeben das Gefühlsleben
anderer zu bereichern. „Denn edlen Seelen
vorzufühlen ist wünschenswertester Beruf“
—.—
box 37/3
402 Wsssesee Prof. Nich. M. Meyer: 188
Bernard Shaw, die realistische Milieukomö¬
Schriftsteller so weit getrieben hat wie Eli¬
die aus, und es entsteht ein an blitzenden
gius Reichsfreiherr von Münch=Bellinghausen
Einfällen reiches Drama: „Josephine“ (1898);
genannt Friedrich Halm! — mitgebracht und
er stellte der Zerrissenheit und Scheinsucht
verstärkt. Aber das Entscheidende haben
moderner Literatur die altmodische Einfach¬
nicht sie bewirkt, sondern eben die notwendige
des altöster¬
heit eines „guten Mannes“
Weiterentwicklung jener Tendenzen, die mit
reichischen Dialektdichters Stelzhamer
dem alten Österreich zusammenbrachen, ohne
gegenüber und bildet die Idee zu dem liebens¬
zu verschwinden. So ist denn auch der erste
würdigen Fünfakter „Der Franzl“ (1900)
Sturmvogel des neuen Wien in der Literatur
aus; er kritisiert wiederum die philiströse
ein „reinblütiger“ Österreicher gewesen, frei¬
Genieschen, indem er aus dem Schicksal des
lich aber auch kein Sohn der Kaiserstadt,
Komponisten Hugo Wolf die tragische Szenen¬
sondern ein Kleinstädter, der an dem Boden
reihe „Der arme Narr“ (1906) herausspinnt.
seiner Heimat nicht so fest haftete, wie noch
Ein Schauspieler — Talma —, ein Dichter
heut viele Wiener Schriftsteller — Schnitzler
— Stelzhamer —, ein Komponist — Hugo
z. B. oder gar Peter Altenberg.
— die kann er dramatisch rezensieren;
Wolf
Hermann Bahr aus Linz (geb. 1863) hat
will er allgemeiner politische Verhältnisse
als Nationalökonom und Sozialdemokrat
(„Der Apostel“, 1901), kulturelle Zustände
angefangen und ist (1886) mit einem Pam¬
(„Der Athlet“, 1899), „Der Klub der Erlöser“,
phlet gegen den bekannten konservativen
1905) oder auch selbst theatralische Zeitbilder
Sozialpolitiker Schäffle zuerst hervorgetreten.
(„Der Star“ 1898) und künstlerische Lebens¬
Der hatte „Die Aussichtslosigkeit der Sozial¬
ausschnitte („Das Tschaferl“, 1897) vergegen¬
demokratie“ geschrieben — Bahr schrieb „Die
wärtigen, so entstehen leblose Figuren, die
Einsichtslosigkeit des H. Schäffle“ und offen¬
mühsam in Situationen gebracht werden,
barte sofort schon im Titel sein Talent zu
aus denen man Pointen und Paradorien
geistreichen Worten und effektvollen Um¬
hervorziehen kann („Ringelspiel“, 1905).
kehrungen. Er reiste viel, und als in Berlin
Man pflegt zu sagen, der Dramatiker sei.
mit der „Freien Bühne“ ein Schauplatz für
vor allem durch die Kraft gekennzeichnet,
wirklich moderne Dramatik geöffnet schien —
mit der er sich in fremde Seelen hinein¬
wir dürfen, nachdem die Phasen der Über¬
zuversetzen verstehe. Aber es gehört dazu
schätzung und der Unterschätzung vorbei¬
noch ein anderes: er muß die Seele erst
gegangen sind, ruhig sagen: auch geöffnet
schaffen, in die er sich einfühlen soll! So¬
ward —, da war Bahr als eifriger journa¬
leidenschaftlich muß er sich in den Hamlet,
listischer Helfer an Stelle. Er vervielfältigte
den Tasso den Tell hineinuersenken, daß ein¬
sich, und als in der zur Unterstützung jenes
neues Wesen gezeugt wird, ähnlich ver beien.
Theaters gegründeten Zeitschrift der bei uns
Eltern: der überlieferten Figur — und dem
nie fehlende „häusliche Krach“ erfolgte, trat
Dichter. Dies ist Bahr versagt. Er kommt
Hermann Bahr gleich, wenn ich nicht irre,
nicht so weit, er bleibt zu fest in seine Atmo¬
in vierfacher Gestalt auf: auch noch als
sphäre gebannt; nur über die Mauer spricht
„Hermann Linz", „Globetrotter“ usw. (Es
er mit den Gestalten seiner Phantasie. Ge¬
war die Zeit, in der andere Journalisten von
nügte jene Bedingung, so wäre Bahr einer
etwas weniger Talent und sehr viel weniger
der ersten Dramatiker unserer Zeit. Denn
Charakter in ein paar Organen ihren ver¬
in fremde Seelen sich einzufühlen, einzu¬
schiedenen Seelen diametral verschiedenen
wühlen, ist seine Leidenschaft und seine Vir¬
Ausdruck liehen; bei Bahr war jeder solcher
tuosität. Doch aber — es bleibt auch hier
Widerspruch vor der letztgeäußerten Meinung
ein Aber.
stets durch die Auslandsfrist einer Entwick¬
Schon in dem alten Wien spielte die
lung gettennt.) Dann zeigte er in einem
Literatur eine unverhältnismäßig groß
den Skandinaviern nachgebildeten Drama
Rolle. Die Talente und Halbtalente sitze
(„Die große Sünde“ 1889) und einem noch
zu dicht aufeinander; fortwährend treff
viel stärker von französischen Mustern ab¬
sie sich im silbernen Kaffeehaus — und
hängigen Roman („Die hohe Schule“, 1890)
reden Literatur. Selbst bei Grillparzer, vi
seine gefährliche Anpassungsfähigkeit. Ich
stärker noch bei Schreyvogel oder Bauer
habe eben den, für mich wenigstens, un¬
feld — wovon ist in Tagebüchern und Brief.
sympathischst Mann von Alt=Wien genannt:
die Rede? Von Büchern und vom Theat¬
Friedrich Halm; etwas von dessen bösem
Von Politik darf man ja nur mit Vorst
Talent, Tendenzen der Zeit sich anzueignen
reden; sie wird aber auch fast nur unter d
und vergröbert wiederzugeben, lebte in dem
Gesichtspunkte der Zensurfreiheit und :
damaligen Bahr wieder auf.
verbesserten Buchhandels aufgefaßt.
Dann entdeckte er sich selbst — und ward
Immerhin: das lebendige Theater stand
ein in seiner Art unvergleichlicher Kritiker.
ein Stück künstlerischer Qualität neben
Eine lange Reihe von packenden, geistreichen,
abstrakten „Literatu.“. Jetzt ist diese Re¬
aber auch gemütvollen Essays und Kritiken
tät zerflattert; das Burgtheater beden
zeugt für ihn gegen seine vielen mißglückten
unter Laube und Dingelstedt nicht mehr ge
Dramen. Auch diese gewinnen die rechte
unter den Späteren gar nicht mehr, was
Beleuchtung erst, wenn man sie als drama¬
für die Wiener Dichter zur Zeit Schreyvogel¬
tisierte Kritiken auffaßt. Er spielt gegen den
Herrenkult, wie gleichzeitig der Irländer bedeutete. Die einzige künstlerische Wirklich¬
1888888a Das literarisch
keit, die geblieben ist, ist — das Kaffeehaus,
der Treffpunkt geistreicher Meinungen, wirk¬
samer Paradorien, die Versuchsbühne für
merkwürdige Ideen, das eigentliche Theater
geradezu, in dem die ehrgeizigen Autoren
ihre Szenen vor einem kongenialen Publi¬
kum zum besten geben.
Man hat die Wichtigkeit dieses Eitelkeits¬
marktes wohl überschätzt: Karl Kraus, Leo
Hirschfeld in ihren Satiren auf das „Café
Grienstadel“ und Rudolf Lothar in seinem“
Kaffeehausroman „Halbnaturen“, denen
dann in Berlin analoge Parodien auf unser
„Café Größenwahn“ gefolgt sind. Das aber
ist richtig: eine Zeitlang hat sich die jung¬
wienerische Literatur nur für das Café stili¬
siert. Dahin gehören jene sonderbaren kleinen
Unarten: die Leidenschaft, mit der Kennt¬
nis von Kognakmarken und Zigarettenfirmen
zu renommieren, wobei man so nüchtern sein
kann wie der letzte — hoffentlich letzte!
in dieser Reihe: der prätentiös=wichtige Lud¬
wig Hirschfeld, der richtige Epigone in der
dritten Potenz. Dahin gehören aber auch
Eigenheiten des inneren Zuschnitts wie
die, alles nur sub specie literaturae anzu¬
sehen. Ihr offizieller Repräsentant ist der da¬
malige Bahr.
Man kann sagen: es ist seine Größe, daß
er überall Menschen sucht, daß er warm¬
herzig Menschen zu fördern strebt — und
dies ist seine Tragik, daß er nur Bücher
findet. Die Seele, in die er sich einzufühlen
versteht, die er künstlerisch umgebildet uns
wiedergibt — es ist nie die Seele eines
Menschen, immer die eines Buches. Das
macht diese Essay=Sammlungen so inter¬
essant („Zur Kritik der Moderne“, 1891; „Die
Überwindung des Naturalismus“, 1891;
„Renaissance“, 1892; „Premieren“ 1901, u.a.):
die Bücher werden lebendig, erzählen von
ihrem Wollen und Werden; ihre Gedanken,
dort erstarrt, werden wieder flüssig, die Ge¬
stalten neugeboren. Oft sieht Bahrs Dar¬
stellung dem Original so wenig ähnlich wie
Schillers Wallenstein dem historischen — oft
hat sie eine höhere Wahrheit als ein refe¬
rierendes Porträt geben könnte. Vor allem
baber: es sind Kunstwerke, weil das Eckchen
Literatur stets durch ein Temperament aus¬
geebnet ist.
nicht nur
Und dies Temperament ist
— es ist auch individuell. Mag
„modern“
sich Hermann Bahr mit Eugen Wolff um
'die Priorität des so unschönen als unent¬
Zehrlichen Wortes „die Moderne“ streiten,
mag er das Wort „suggerieren“ eine Zeit¬
tang zu einem unvermeidlichen Modeartikel
gemacht haben — die Hauptsache ist doch,
aß hier ein Mensch war, für den es ein
Glück war, wirklich oder scheinbar Morgen¬
Wten aufgehen zu sehen, die noch nicht ge¬
Ruchtet hatten; für den es eine Seligkeit
dedeutete, neue Sensationen zu empfinden
and durch das Weitergeben das Gefühlsleben
anderer zu bereichern. „Denn edlen Seelen
vorzufühlen ist wünschenswertester Beruf“