2. Guttings
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grundverschiedenen Charakteren mänmpigen lehr- und er¬
gebnisreich.
Die Charakteristiken jener drei Dichtergestalten — denn
wir bekommen da nicht etwa registrierende und erzühlende
Biographien — aus der Jand hingebender, Nachfühlender, da¬
bei aber kritischer Porträtisten, weichen nuch Standpunkt, An¬
Jage und des Verfassers Fähigkeit stark von einander ab. Auf
meisten entspricht den Anferderungen eines großzügigen Kon¬
der
terfeis das verhältnismäßig dünne Heft Oskar Hoys
trotz seiner persönlichen Zutunlichkeit und der Ver-oitem Ne¬
krolog (auf den Tod seines Helden, 9. April 1907 geht die
Darstellung zurück) erklärlichen intensiveren Wärme der Pio¬
tät die prüchtige Figur Max Haushofers wundervoll rund
hinstellt, in ull ilnkm edlen Wollen, ihrer ruhelosen und doch
so bewußten Sehnsucht, ihrer gemütvollen, oft mit Humor ver¬
brämten Phantasie. „Der ewige Jude“, „Unhold, der Höhlon¬
mensch“, „Geschichten zwischen Diesseits und Jenseits“, „Die
Verbannten“, „Planetenfeuer“, „Prinz Schnuckelbold“, dane¬
ben kleinere Erzeugnisse rücken da vor unser Auge einen ech¬
ten und großen Dichter, der sogar gut literaturbewanderten
Zeitgenossen leider nur vom Hörensagen bekannt daher auch
velen Handbüchern völlig entgangen ist. Gerade das öfters
Sprung-, fast Aphorismennafte der Heyschen Larlegungen
gieht zu der stilsicheren und überaus svmpathischen“ Eigenart
Haushofers hinan, die sich zwar nicht leicht, aber dann, wie
man weiß, um so nachdrücklicher eröffnet, und möge ihr, der
ausgesprochenen Absicht gemäß, ehrliche Freunde exwerben:
hoher Genuß und nie oberflächliche Anregungen belohnen je¬
den, der seine Bekanntschaft macht.
Von den beiden Lebenden in unserem ungleichen Terzett
gehört zwar Paul Heyse mit Haushofer dem „Münchener Dich¬
terkreis“ an; doch verknüpft innerlich nichts den in Isar-Athen
fest eingewurzelten Berliner mit dem durch und durch künst¬
lerisch veranlagten eingeborenen Malerssohn. Immerhin bre¬
ohen das gleichsam südländische Temperament, der scharfe
Stich in romanische Lebens- und Liebesauffassung, die Freude
an den Trieben freier Menschennatur, der Drang zu wahrhaft.
künstlerischem Einschlag in Inhalt und Form der Poesie, im¬
hner wieder durch. Das Bündchen 4 der Sammlung „Moderne,
Geister“ wo Viktor Klemperer dem vielseitigen Musendienste
Paul Heyses gerecht zu werden sucht, liefert kein geschlosse¬
ines Bild seines doch im Großen einheitlichen Wesens. Eine
nd
knappe Lebensskizze leitet ein, die eigentlich nur die Ju
bis zum entscheidenden Eintritt in die münchener Sphin
überziehen läßt, andernteils nicht bloß den maßgeblic
drücken des Elternhauses und der berliner und itali
Jünglingsperiode, sondern auch der eigenartigen Stel
der bayerischen Hamptstadt ein paur nötige Worte a
dungsfaktoren“ Heyses zuweist. Das Isolierte in desser
rer Position seit einem reichlichen Menschenalter wä
hervorzuheben, so wie es allerdings nur jemand richtig
stellen kann, der ernster in die neueren Münchener Lit
und Gesellschaftsverhältnisse hat hineinschauen
wurzelt auch der durchans spezifische Typus 8
Tür ihn auf die Dauer das Bezeichnende. Dies
rers Eindringen von vornherein heraus und ver
dem er fortwährend die in früheren Novellen
Töno später und anderwärts weiterklingen hör
Zusammenhang empfohle sich die Reihenfolge
mane, Verse, Uebersetzungen, Dramen, weil org
51) „eir
wie Ja die Klemperers sich selbst (S.
kürlich und gar nicht wissenschaftlich“ nennt.
wirkt der Abschnitt über Hevses großes, auch üst
Werdienst um die Gewinnung der italienischen Lyrik
zennten und des neunzehnten Jahrhunderts für das
in Uebertragungen und biographischen Glossen.V
jedoch Paul Heyse, dessen romanistische Fachbildung
nach Gebühr hervorhebt, als (bayerischer) Professo
wird (S. 45 und S. 94), so schenkt er dem Dichterei
den er selber nicht beansprucht.
Und nun führt Schnitzler, der glücklichste Nac
weitverbreiteter gesellschaftlicher Stimmungen aus d
vor und um 1900, wo er geboren, wurzelt, aufgewac
Poeten geworden ist und stündig schafft in das neue
hinüber, wührend gerade sein angeblich konsequen
sentimental angekrünkelter Naturalismus mit den 1
anmutenden, im Kerne — das sei beileibe kein V
„schon dagewesenen“ Problemen, fast eine Brücke
wwärts schlagen heischt. Die stärkste Kraft der „Jungö
schen Schule“ und doch eben er eine unabhängige
neuzeitlichen Literaturpflege in Erzühlung und Dram¬
Gedanken erwecken in uns Alnxander Salkinde
über Arthur Schnitzlers Hauptscnriften, nämlich
zwanzig an der Zahl, vom prügnant einsetzenden
teiligen „Anatol“-Zyklus (1893) herunter bis zu den fü
talistischen Sovellen „Dümmerseelen“ von 1907. Salkint
Ivsiert die samt und sonders bedacht, entworfenen Gab
Tleißigen Schriftstellers gründlich, bisweilen sogar zu
lich, indem er neben seine öbrigens geschickt zusammen
genden, Inhaltsauszüge allerlei Urteilsergüsse stellt, we
oft mit Hilfe seines rasch verfügbaren Zitatenschatzes, dem
Leser jede llerzensfalte der auftretenden Menschen bloßlegen,
jiede Maßnahme umdt jede halb angedeutete Idee des Verfassers
kaum weniger. Doch können die Literaturfreunde, voran die
wweithin verstreuten Verehrer der Schnitzlerschen Weise hier
einen sorgfältigen- Pfadweiser begrüßen: in Salkinds Einzel¬
photographien der Kinder dieses „markantesten“ wiener Dich¬
ters der, stets geistvoll und unterhaltend, selbst wo er „er¬
müdet und erschlafft“, sich bemüht, „die anderen aufzurütteln
und aufzuheitern“.
Als Nationalökonom und Statistiker war Haushofer der
Professor der münchener Technischen Hochschule bis an den
Tod beamtet und in der Einbildungskraft durch seine schein¬
bar trockene Wissenschaft befruchtet. Als romanistischer
Thilolog ist Paul Hexse nach dem Süden gewandert und dort'
in den sonnigen Gefillen sowie über Vatikanhandschriften
zum Meister der italienisierenden Novelle geworden. Als Arzt
ausgebildet und praktizierend, legt Schnitzler gewissenhaft die
Sonde an Menschenschicksal und Gefühlsrevolten. Wir folgen
ihnen mit ihren Impresaril. von 1907 nur ins Land der Poesie
und kümmern uns dabei um ihr Lernfach nicht. Ein Vorzug
der drei Dichterskizzen: sie rühmen ihre Helden nicht bis zum
Himmel, blind gegen deren Schwüchen; im Gegenteil, sie kom¬
mnen auf diese ausdrücklich zu sprechen, leiten sie sogar, ganz
der entwieklungsgeschichtlichen Einsicht der Gegenwart ge¬
mäß, aus den guten Eigenschaften ab.
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grundverschiedenen Charakteren mänmpigen lehr- und er¬
gebnisreich.
Die Charakteristiken jener drei Dichtergestalten — denn
wir bekommen da nicht etwa registrierende und erzühlende
Biographien — aus der Jand hingebender, Nachfühlender, da¬
bei aber kritischer Porträtisten, weichen nuch Standpunkt, An¬
Jage und des Verfassers Fähigkeit stark von einander ab. Auf
meisten entspricht den Anferderungen eines großzügigen Kon¬
der
terfeis das verhältnismäßig dünne Heft Oskar Hoys
trotz seiner persönlichen Zutunlichkeit und der Ver-oitem Ne¬
krolog (auf den Tod seines Helden, 9. April 1907 geht die
Darstellung zurück) erklärlichen intensiveren Wärme der Pio¬
tät die prüchtige Figur Max Haushofers wundervoll rund
hinstellt, in ull ilnkm edlen Wollen, ihrer ruhelosen und doch
so bewußten Sehnsucht, ihrer gemütvollen, oft mit Humor ver¬
brämten Phantasie. „Der ewige Jude“, „Unhold, der Höhlon¬
mensch“, „Geschichten zwischen Diesseits und Jenseits“, „Die
Verbannten“, „Planetenfeuer“, „Prinz Schnuckelbold“, dane¬
ben kleinere Erzeugnisse rücken da vor unser Auge einen ech¬
ten und großen Dichter, der sogar gut literaturbewanderten
Zeitgenossen leider nur vom Hörensagen bekannt daher auch
velen Handbüchern völlig entgangen ist. Gerade das öfters
Sprung-, fast Aphorismennafte der Heyschen Larlegungen
gieht zu der stilsicheren und überaus svmpathischen“ Eigenart
Haushofers hinan, die sich zwar nicht leicht, aber dann, wie
man weiß, um so nachdrücklicher eröffnet, und möge ihr, der
ausgesprochenen Absicht gemäß, ehrliche Freunde exwerben:
hoher Genuß und nie oberflächliche Anregungen belohnen je¬
den, der seine Bekanntschaft macht.
Von den beiden Lebenden in unserem ungleichen Terzett
gehört zwar Paul Heyse mit Haushofer dem „Münchener Dich¬
terkreis“ an; doch verknüpft innerlich nichts den in Isar-Athen
fest eingewurzelten Berliner mit dem durch und durch künst¬
lerisch veranlagten eingeborenen Malerssohn. Immerhin bre¬
ohen das gleichsam südländische Temperament, der scharfe
Stich in romanische Lebens- und Liebesauffassung, die Freude
an den Trieben freier Menschennatur, der Drang zu wahrhaft.
künstlerischem Einschlag in Inhalt und Form der Poesie, im¬
hner wieder durch. Das Bündchen 4 der Sammlung „Moderne,
Geister“ wo Viktor Klemperer dem vielseitigen Musendienste
Paul Heyses gerecht zu werden sucht, liefert kein geschlosse¬
ines Bild seines doch im Großen einheitlichen Wesens. Eine
nd
knappe Lebensskizze leitet ein, die eigentlich nur die Ju
bis zum entscheidenden Eintritt in die münchener Sphin
überziehen läßt, andernteils nicht bloß den maßgeblic
drücken des Elternhauses und der berliner und itali
Jünglingsperiode, sondern auch der eigenartigen Stel
der bayerischen Hamptstadt ein paur nötige Worte a
dungsfaktoren“ Heyses zuweist. Das Isolierte in desser
rer Position seit einem reichlichen Menschenalter wä
hervorzuheben, so wie es allerdings nur jemand richtig
stellen kann, der ernster in die neueren Münchener Lit
und Gesellschaftsverhältnisse hat hineinschauen
wurzelt auch der durchans spezifische Typus 8
Tür ihn auf die Dauer das Bezeichnende. Dies
rers Eindringen von vornherein heraus und ver
dem er fortwährend die in früheren Novellen
Töno später und anderwärts weiterklingen hör
Zusammenhang empfohle sich die Reihenfolge
mane, Verse, Uebersetzungen, Dramen, weil org
51) „eir
wie Ja die Klemperers sich selbst (S.
kürlich und gar nicht wissenschaftlich“ nennt.
wirkt der Abschnitt über Hevses großes, auch üst
Werdienst um die Gewinnung der italienischen Lyrik
zennten und des neunzehnten Jahrhunderts für das
in Uebertragungen und biographischen Glossen.V
jedoch Paul Heyse, dessen romanistische Fachbildung
nach Gebühr hervorhebt, als (bayerischer) Professo
wird (S. 45 und S. 94), so schenkt er dem Dichterei
den er selber nicht beansprucht.
Und nun führt Schnitzler, der glücklichste Nac
weitverbreiteter gesellschaftlicher Stimmungen aus d
vor und um 1900, wo er geboren, wurzelt, aufgewac
Poeten geworden ist und stündig schafft in das neue
hinüber, wührend gerade sein angeblich konsequen
sentimental angekrünkelter Naturalismus mit den 1
anmutenden, im Kerne — das sei beileibe kein V
„schon dagewesenen“ Problemen, fast eine Brücke
wwärts schlagen heischt. Die stärkste Kraft der „Jungö
schen Schule“ und doch eben er eine unabhängige
neuzeitlichen Literaturpflege in Erzühlung und Dram¬
Gedanken erwecken in uns Alnxander Salkinde
über Arthur Schnitzlers Hauptscnriften, nämlich
zwanzig an der Zahl, vom prügnant einsetzenden
teiligen „Anatol“-Zyklus (1893) herunter bis zu den fü
talistischen Sovellen „Dümmerseelen“ von 1907. Salkint
Ivsiert die samt und sonders bedacht, entworfenen Gab
Tleißigen Schriftstellers gründlich, bisweilen sogar zu
lich, indem er neben seine öbrigens geschickt zusammen
genden, Inhaltsauszüge allerlei Urteilsergüsse stellt, we
oft mit Hilfe seines rasch verfügbaren Zitatenschatzes, dem
Leser jede llerzensfalte der auftretenden Menschen bloßlegen,
jiede Maßnahme umdt jede halb angedeutete Idee des Verfassers
kaum weniger. Doch können die Literaturfreunde, voran die
wweithin verstreuten Verehrer der Schnitzlerschen Weise hier
einen sorgfältigen- Pfadweiser begrüßen: in Salkinds Einzel¬
photographien der Kinder dieses „markantesten“ wiener Dich¬
ters der, stets geistvoll und unterhaltend, selbst wo er „er¬
müdet und erschlafft“, sich bemüht, „die anderen aufzurütteln
und aufzuheitern“.
Als Nationalökonom und Statistiker war Haushofer der
Professor der münchener Technischen Hochschule bis an den
Tod beamtet und in der Einbildungskraft durch seine schein¬
bar trockene Wissenschaft befruchtet. Als romanistischer
Thilolog ist Paul Hexse nach dem Süden gewandert und dort'
in den sonnigen Gefillen sowie über Vatikanhandschriften
zum Meister der italienisierenden Novelle geworden. Als Arzt
ausgebildet und praktizierend, legt Schnitzler gewissenhaft die
Sonde an Menschenschicksal und Gefühlsrevolten. Wir folgen
ihnen mit ihren Impresaril. von 1907 nur ins Land der Poesie
und kümmern uns dabei um ihr Lernfach nicht. Ein Vorzug
der drei Dichterskizzen: sie rühmen ihre Helden nicht bis zum
Himmel, blind gegen deren Schwüchen; im Gegenteil, sie kom¬
mnen auf diese ausdrücklich zu sprechen, leiten sie sogar, ganz
der entwieklungsgeschichtlichen Einsicht der Gegenwart ge¬
mäß, aus den guten Eigenschaften ab.
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