VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1903–1906, Seite 78

2. Guttings
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Wien, I., Concordiaplatz 4.
5
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,

Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
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“, Ausschnitt aus:
Loipziger Tagblatt
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22 A0b.1508
E vom:
Phantastische Romane.
Von Walter Turszinsky (Berlin).
Es ist charakteristisch, daß in beiden Büchern, denen hier ein Geleit¬
wort gegeben werden soll, die Absicht weit größer ist, als das Voll¬
bringen. Solche Divergenz fällt besonders immer da auf, wo der Ver¬
fasser eigentlich nur Stange zu halten, seinem ursprünglichen Plane wie
einer gut ausgetretenen Fußspur nachzugehen brauchte, um seines
Stoffes Herr zu werden. Denn, was er am Anfange seines Weges will,
kann er auch. Nur, was er während des Marsches noch aufgreift, was
seinen Stoff noch runden will, was sich den Grundmotiven noch an¬
schließt, wird zum niederziehenden Gewicht, das eine Einheit zerstört,
die es breiter und imposanter machen mochte. Man müßte ein Dick¬
häuter sein, wollte man Herrn Max Brod nicht zugestehen, daß er in
seinem Roman „Schloß Nornepygge“ (Berlin, Verlag Axel Juncker) dem
Grundriß des karikaturistisch=satirischen Romans weit näher gekommen
ist, als selbst Gustav Meyrink in seinen diabolisch ersonnenen Skizzen¬
ansätzen und Feuilletons. Es sind in diesem Buch, in diesem gellenden
Hohngelächter auf den Snobismus Szenen, die in ihrem Kontrast zwi¬
schen der sorgfältig artistischen Herrichtung des Stils und dem satanisch¬
zynischen Inhalt wirken, wie eine der Diaboliques von Felicien Rops;
Szenen, in denen die Fratze Grabbes sichtbar über den Ze#len schwebt.
Walder Nornepyage, der Held des Romans, der sein Leben vertut, um
als Dekadent, als Idealist, als Erotiker, als Aszet, endlich als politischer
Revolutionär seinen eigenen Stil zu suchen, die Lebensform, die nur
ihm eigentümlich und passend ist, ist gewiß, wenigstens im Entwurf, als
glatt verständliche und zeitentsprechende Karikatur auf aktuelle Narr¬
heiten vortrefflich geraten. Auch die andern menschlichen Lemuren, von
denen der Stilsucher ins Schlepptau genommen wird, Theaterdirektoren,
Marquis, Bürgerliche und Adelige, jeder und jede ein mixtum composi¬
tum aus Wirklichem und Gespenstischem, aus Menschlichem und Phan¬
tastischem, haben bestes, schärfstes Meyrinksches Blut in den Adern, mit
einem Zusatz jenes Lebenssaftes, der an der Existenz der Gestalten Hein¬
rich Manns die Schuld trägt. Nur, daß der Schüler, der auf den
Schultern zweier Meister baut, naturgemäß noch etwas weiter gehen kann,
als jene. Aber, Herr Brod hat leider nicht die Fähigkeit zur Beschrän¬
lung; — man dente daran, wie z. B. Heinrich Manns „Professor Unra
t“
als karikaturistischer Roman begonnen und geschlossen. wird.
Max Brod mehr jung und fühlend, als blasiert und souverän
mehr inmitten als oberhalb der Ereignisse, muß also notgedru¬
gleich ein Ironiker, zugleich ein Pathetiker sein. Und so über
sein Buch, dessen Linie, wie ich sie markiert habe, gerabe und rü
los hätte zu Ende geführt werden müssen, dessen Stoff nur in k
turistischer Beleuchtung ansehbar, dessen Anlage zunächst auch
in dieser Art gestaltet ist, später mit zahllosen, unnötigen Anhä
breiten, lyrischen Episoden, verschwommenen, utopistischen Ma
Vor allen Dingen aber beginnt Max Brod seinen Helden imm
an der Stelle ernst zu nehmen, an welcher er dem Leser am läch
erscheint. Das ist verständlich: denn Herr Max Brod selber ki
ursprünglich direkt vom österreichischen Dandysmus und Lit
fnobismus her, möchte also seinen Stammverwandten nicht gleich
ersten Begegnung schonungslos verreißen, ihm vielmehr die Dosis
Spottes nur mit Mitleid vermengt schmecken lassen. Aber
Schonung zerreißt die Wirkung. Es kommt etwas Unausgegor
Schiefes, hin und her Taumelndes zustande, gleich als säße der
eines Gulbranssonschen Mikrocephalen auf einem von Phidias gemeiß
ten Rumpfe. Im Leben ist der Stil ein Geckenrequisit: Die Kunstform
braucht seine Fessel! Szenen, wie das scheußlich=gewaltige Notturno,
in welcher Walder Nornepygge sein Weib in den Armen eines in
Menschengestalt wandelnden Gnoms findet und, wie ein lebloser Klum¬
pen, die Schmähungen der beiden über sich ergehen läßt ...: oder die
andere, in welcher der Eremit Walder den ihn suchenden Stadt= und
Lebensmenschen entgegenruft: „Törichte, laßt ab von mir. Ich habe
nichts mehr gemein mit euch. Ich bin Eremit geworden!“ und ein
Zyniker ihm kalt erwidert: „Me riechts!“ zeigen die Stelle und den
Stil, an denen Max Brod hätte stehen bleiben müssen. Sein Schwanken
zwischen Satire und Pathos ist durch keine stilistische Virtuosität gut zu
machen.
Immerhin: der Bremenser Otto Gysae ist mit seinem dritten
Roman: „Die silberne Tänzerin“ (Albert Langen, München) nicht ein¬
mal so weit gekommen, wie sein süddeutscher Kollege von der phantasti¬
schen Romanliteraturrichtung. Bei ihm muß man sich schon an die
Kunstfertigkeit des Wortschliffes, an den seltsamen Reichtum der nach
der Anleitung des Koloristen Jens Peter Jacobsen gestellten Bilder
halten, wenn man überhaupt bis zu etwas Positivem vordringen will.
Otto Gysae möchte die stillen Stuben hanseatischer Puritaner öffnen,
zwischen deren Wänden das Leben in den Mündungen kalter Zeremonien,
eisigen Pflichtenbewußtseins, lähmender Einförmigkeit versickert
und wir erinnern uns, daß Thomas Mann in seinen „Die Budden¬
brooks“ vor den gleichen Spiegel getreten ist, freilich, um in dem
Glase Menschen: keine Gesvenster, sondern ein vom Sonnenlichte des
hellen Tages beschienenes Stück Leben zu sehen. Otto Gysae hat es,
persönlich in diesem Kreise lebend, erkannt, daß das Leben der Güter
höchstes nicht ist und illustriert diese Einsicht durch das Schicksal der
armen Ante Almelo, einer kleinen Millionärsfrau, die wie ein Elschen
durch die dunklen Säle ihres Daseins geht zwischen dem nachlässig¬
gütigen, meist in Geschäften versunkenen Garten und der wachsamen,
strengen Schwiegermutter, bis ihr Tag still, ahnungslos, auslöscht, wie
einst der Odem ihres kleinen Kindes auslöschte. Ihr bedeutet der Tod
eine Hoffnung; die erste, nicht die letze Station. Aber auch beim Be¬
tasten dieses Gedankens schadet der Vergleich: und wir gedenken dankbar
des Namens „Arthur Schnitzler“ dieses Meisterspielers auf der Klavia¬
tur der Tode#ide
Kur##eschleibt die Sprache