2. Guttings box 37/4
219
VIER DEUTSCHE NEU-ROMANTIKER
62
Neuromantik geht. Sie lassen alle Saiten anklingen, die über das Herz des
modernen Menschen gespannt sind. Jeder von ihnen sucht auf seine Weise
die Romantik zu überwinden, in der seine Wurzeln ruhen; jeder auf seine
Weise die Erlösung zu finden, die der Romantik versagt war.
In ihrem Denken und Fühlen stehen Hofmannsthal und Schnitzler der
Romantik am nächsten. Das Wesen der Romantik, die sich so glühend nach
dem Leben sehnte, war im tiefsten Grunde doch Lebensverneinung, da sie
das reelle Leben nicht zu fassen und zu meistern verstand. Auch Hofmanns¬
thal und Schnitzler, den beiden aus semitischem Blut Stammenden, liegt
die Lebensverneinung nahe. Sie erkennen wohl, daß das Leben das Höchste,
für uns Menschen das Einzige sei, aber sieerkennenes nur; das ursprüng¬
liche sichere Fühlen ist in ihnen zu schwach, als daß sie vermöchten, sich
blindlings, gläubig, vertrauend dem Schicksal hinzugeben, wie das Hesse
und Huch, die beiden Arier, tun. In beiden liegen auch Keime zu dem Künst¬
lichen, Spielerischen der Romantik, aber sie empfinden diese Keime als Ge¬
fahr und gestatten ihnen kein übermäßiges Wachstum.
Die Unfähigkeit, sich dem Leben einfach hinzugeben, bildet den tragi¬
schen Kern des Hofmannsthalschen Lebens und Schaffens. „Nie ganz be¬
wußt, nie völlig unbewußt“ lebt er; stets ist sein Ich gespalten —: nur das
halbe Ich erlebt, das andere beobachtet sich beim Erleben; er und seine Ge¬
stalten erleben ihr „Leben wie ein Buch“. Das Einfache fehlt ihm und ihnen;
sein „überwacher Sinn“ läßt ihre geheimsten Regungen zu Worten werden. Das
Ursprüngliche, Elementare fehlt dem Dichter und seinen Geschöpfen. Man
fühlt, daß ihre Schicksale nur Phantasieschicksale sind, daß sie sich vor dem
wirklichen Leben scheu zurückziehen würden. Darum gleiten sie oft wie
Traumgestalten vorüber, mit aller Buntheit und Verworrenheit des Traumes,
von den Schleiern der Dämmerung und der Nacht umflossen. Sie haben nichts
vom Lehen als die Sehnsucht. In ein paar Stunden oder in ein paar Tagen
spielen sie sich ab; sie rücken Tod und Leben so eng zusammen, daß aller¬
dings von beiden die berauschendste Wirkung ausgeht.
Auch die Natur bringt Hofmannsthal und seinen Gestalten keine Er¬
lösung. Sie ist ihm weniger wichtig als der Mensch, und er sucht auf sie zu
wirken, statt sie auf seine Menschen wirken zu lassen. Sie ist ihm keine freund¬
liche, heilende Macht, wie sie es den beiden Ariern Hesse und Huch ist, son¬
dern sie ist ihm etwas Unheimliches, Schönes, aber Grauenhaftes. Dieses
Grauen spielt überhaupt in seiner Dichtung die größte Rolle. „In ailes, was
wir tuen. ist die Nacht vermengt“, sagen seine Menschen; hinter allem sehen sie
ein schreckliches Geheimnis. Hofmannsthals Leben und Dichten ist ein
steter innerer Kampf gegen die Natur und das Leben, eine Auflehnung gegen
das Unentrinnbare, ein trotziges Nicht-besiegt-sein-wollen der Idee durch
die Realität.
Trotz ihrer großen Schönheit verschafft seine Dichtung dlarum keine
Erhebung und Erlösung. Er und die Romantik kranken an demselben Ubel,
aber er hat es als Kranken erkannt und kann es darum vielleicht überwinden.
Auch Schnitzler ist Pessimist, aber er ist dabei kein Melancholiker.
Auch er faßt das Leben nicht mit kräftiger Hand, aber das bereitet ihm
keinen Schmerz. Er betrachtet es mit leiser Ironie, aber wenn er auch weiß,
daß es im Grunde ihm so gut wie allen ein Geheimnis ist, so hat er sich doch
in ihm zurechtgefunden. Auch er kennt das Grauen, aber er betrachtet es
ohne Bangen, wie der Naturforscher seltsame und noch unerklärte Vor¬
gänge in der Natur betrachtet und nachdenklich registriert. Man muß
219
VIER DEUTSCHE NEU-ROMANTIKER
62
Neuromantik geht. Sie lassen alle Saiten anklingen, die über das Herz des
modernen Menschen gespannt sind. Jeder von ihnen sucht auf seine Weise
die Romantik zu überwinden, in der seine Wurzeln ruhen; jeder auf seine
Weise die Erlösung zu finden, die der Romantik versagt war.
In ihrem Denken und Fühlen stehen Hofmannsthal und Schnitzler der
Romantik am nächsten. Das Wesen der Romantik, die sich so glühend nach
dem Leben sehnte, war im tiefsten Grunde doch Lebensverneinung, da sie
das reelle Leben nicht zu fassen und zu meistern verstand. Auch Hofmanns¬
thal und Schnitzler, den beiden aus semitischem Blut Stammenden, liegt
die Lebensverneinung nahe. Sie erkennen wohl, daß das Leben das Höchste,
für uns Menschen das Einzige sei, aber sieerkennenes nur; das ursprüng¬
liche sichere Fühlen ist in ihnen zu schwach, als daß sie vermöchten, sich
blindlings, gläubig, vertrauend dem Schicksal hinzugeben, wie das Hesse
und Huch, die beiden Arier, tun. In beiden liegen auch Keime zu dem Künst¬
lichen, Spielerischen der Romantik, aber sie empfinden diese Keime als Ge¬
fahr und gestatten ihnen kein übermäßiges Wachstum.
Die Unfähigkeit, sich dem Leben einfach hinzugeben, bildet den tragi¬
schen Kern des Hofmannsthalschen Lebens und Schaffens. „Nie ganz be¬
wußt, nie völlig unbewußt“ lebt er; stets ist sein Ich gespalten —: nur das
halbe Ich erlebt, das andere beobachtet sich beim Erleben; er und seine Ge¬
stalten erleben ihr „Leben wie ein Buch“. Das Einfache fehlt ihm und ihnen;
sein „überwacher Sinn“ läßt ihre geheimsten Regungen zu Worten werden. Das
Ursprüngliche, Elementare fehlt dem Dichter und seinen Geschöpfen. Man
fühlt, daß ihre Schicksale nur Phantasieschicksale sind, daß sie sich vor dem
wirklichen Leben scheu zurückziehen würden. Darum gleiten sie oft wie
Traumgestalten vorüber, mit aller Buntheit und Verworrenheit des Traumes,
von den Schleiern der Dämmerung und der Nacht umflossen. Sie haben nichts
vom Lehen als die Sehnsucht. In ein paar Stunden oder in ein paar Tagen
spielen sie sich ab; sie rücken Tod und Leben so eng zusammen, daß aller¬
dings von beiden die berauschendste Wirkung ausgeht.
Auch die Natur bringt Hofmannsthal und seinen Gestalten keine Er¬
lösung. Sie ist ihm weniger wichtig als der Mensch, und er sucht auf sie zu
wirken, statt sie auf seine Menschen wirken zu lassen. Sie ist ihm keine freund¬
liche, heilende Macht, wie sie es den beiden Ariern Hesse und Huch ist, son¬
dern sie ist ihm etwas Unheimliches, Schönes, aber Grauenhaftes. Dieses
Grauen spielt überhaupt in seiner Dichtung die größte Rolle. „In ailes, was
wir tuen. ist die Nacht vermengt“, sagen seine Menschen; hinter allem sehen sie
ein schreckliches Geheimnis. Hofmannsthals Leben und Dichten ist ein
steter innerer Kampf gegen die Natur und das Leben, eine Auflehnung gegen
das Unentrinnbare, ein trotziges Nicht-besiegt-sein-wollen der Idee durch
die Realität.
Trotz ihrer großen Schönheit verschafft seine Dichtung dlarum keine
Erhebung und Erlösung. Er und die Romantik kranken an demselben Ubel,
aber er hat es als Kranken erkannt und kann es darum vielleicht überwinden.
Auch Schnitzler ist Pessimist, aber er ist dabei kein Melancholiker.
Auch er faßt das Leben nicht mit kräftiger Hand, aber das bereitet ihm
keinen Schmerz. Er betrachtet es mit leiser Ironie, aber wenn er auch weiß,
daß es im Grunde ihm so gut wie allen ein Geheimnis ist, so hat er sich doch
in ihm zurechtgefunden. Auch er kennt das Grauen, aber er betrachtet es
ohne Bangen, wie der Naturforscher seltsame und noch unerklärte Vor¬
gänge in der Natur betrachtet und nachdenklich registriert. Man muß