2. Cuttings box 37/4
ES FORTSCHRITTS MARZ 1909
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nicht zu intensiv leben wollen, muß mehr Beobachter als Mit¬
nur
kämpfer sein.
Die alten romantischen Fragen und Klänge ziehen sich durch seine Dich¬
tung, aber sie sind ihrer abgrundtiefen Sehnsucht entkleidet. Hinter seinen
Gestalten liegt ein Geheimnis; ihnen ist, als kämen sie von einer Reise und
hätten in ihrem Hause nur ausgeruht; sie erscheinen sich und uns, als hätten
sie schon einmal anderswo gelebt, als sei ihr jetziges Leben nur eine von
vielen Erscheinungsformen. Aber es ist ein Geheimnis, das nicht der
Dämmerung bedarf, und Tageshelle herrscht auch in allen Dichtungen
Schnitzlers. Er teilt mit der Romantik das Bedürfnis nach dem Leben, aber
es ist bei ihm mehr das Anklammern des Materialisten ans Dasein des Materia¬
listen, der weiß, daß mit dem Tode alles zu Ende ist: wie denn überhaupt
in Schnitzler beständig der Materialist auf seltsame Weise den Romantiker
ergänzt.
In der Form ist er ganz Romantiker; seine Dichtung besteht aus einem
beständigen Durcheinander von Traum und Wachen, Spiel und Wirklichkeit,
Kunst und Leben. Häufig auch sieht der Dichter seinen Personen lächelnd
über die Achsel; was aber in der Romantik als „romantische Ironie“ nur
zuoft alle Wirkung vernichtete, bildet bei ihm, der dieses Kunstmittel mit
Maß zu handhaben weiß, einen eigenen Reiz der Darstellung.
Obwohl von denselben Grundanschauungen ausgehend, bilden Hermann
Hesse und Ricarda Huch doch die stärksten Gegenpole zu Hofmannsthal
und Schnitzler. Wie diese trotz der Reichtümer und Glücksmöglichkeiten,
die das Leben vor ihnen ausbreitet, es nicht in ihre Arme nehmen können,
so müssen es jene trotz der Kämpfe und Schmerzen, die es vor ihnen auf¬
türmt, ganz ans Herz drücken. Ihnen ist die Natur das Süßeste und Schönste,
das Erste und das Letzte. Wie Hofmannsthal und Schnitzler am stärksten
aus dem Geist herausleben, leben Hesse und Huch am stärksten aus dem
Gemüt heraus, und wie jene der Kunst am nächsten stehen, stehen diese
dem Leben am nächsten.
Hesses Dichtung ist die Dichtung eines Wanderers. Er gibt sich ganz
der Natur hin, der Mensch kommt ihm erst in zweiter Linie. Er ist ganz
mit ihr verbunden; was sie will, dem fügt er sich, das ist sein Glück. Das
Schicksal tritt dagegen zurück; darum entbehrt seine Dichtung der lauten
Kämpfe, der vielen Menschen, der starken Konflikte. Die romantische Sehn¬
sucht, die auch er kennt, ist keine Sehnsucht nach dem Leben, sondern Sehn¬
sucht nach der Natur, in die er sich ganz einhüllen, versenken, begraben
möchte. Auch er fühlt seine Endlichkeit und Vergänglichkrit, aber nicht
mit Empörung, nicht einmal mit Schmerz. Denn wenn er als Endliches
vergcht, dann geht er im Unendlichen auf, kehrt dorthin zurück, wo er ehe¬
mals war, wohin er heute sich sehnt, und ruht friedlicher als jetzt im Schoß
des geliebter Alls. Von allen Seiten schildert er die Natur; zu jeder ihrer
Erscheinungsformen steht er im Verhältnis der Liebe; nicht bloß dem Wald
und den Wolken weiß er ihre Schönheit abzulauschen, sondern auch den
Elementen, denen er sich geheimnisvoll verbrüdert fühlt.
Seine Helden erfüllt süße Sehnsucht, die nicht nach Befriedigung ver¬
langt. „Wandernd, überall fremd, schwebend zwischen Zeit und Ewigkeit“
ruhen diese schönen Kinder der Neuromantik auf der Erde, während ihr
Wesen doch nicht ganz in der Erde beschlossen ist.
Lebendiger, heißer, stürmender ist Ricarda Huch. Unter den Neu¬
romantikern ist sie die aktivste Natur. Sie hat bitter und heiß gekämpft,
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Aee e e
REAET
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nicht zu intensiv leben wollen, muß mehr Beobachter als Mit¬
nur
kämpfer sein.
Die alten romantischen Fragen und Klänge ziehen sich durch seine Dich¬
tung, aber sie sind ihrer abgrundtiefen Sehnsucht entkleidet. Hinter seinen
Gestalten liegt ein Geheimnis; ihnen ist, als kämen sie von einer Reise und
hätten in ihrem Hause nur ausgeruht; sie erscheinen sich und uns, als hätten
sie schon einmal anderswo gelebt, als sei ihr jetziges Leben nur eine von
vielen Erscheinungsformen. Aber es ist ein Geheimnis, das nicht der
Dämmerung bedarf, und Tageshelle herrscht auch in allen Dichtungen
Schnitzlers. Er teilt mit der Romantik das Bedürfnis nach dem Leben, aber
es ist bei ihm mehr das Anklammern des Materialisten ans Dasein des Materia¬
listen, der weiß, daß mit dem Tode alles zu Ende ist: wie denn überhaupt
in Schnitzler beständig der Materialist auf seltsame Weise den Romantiker
ergänzt.
In der Form ist er ganz Romantiker; seine Dichtung besteht aus einem
beständigen Durcheinander von Traum und Wachen, Spiel und Wirklichkeit,
Kunst und Leben. Häufig auch sieht der Dichter seinen Personen lächelnd
über die Achsel; was aber in der Romantik als „romantische Ironie“ nur
zuoft alle Wirkung vernichtete, bildet bei ihm, der dieses Kunstmittel mit
Maß zu handhaben weiß, einen eigenen Reiz der Darstellung.
Obwohl von denselben Grundanschauungen ausgehend, bilden Hermann
Hesse und Ricarda Huch doch die stärksten Gegenpole zu Hofmannsthal
und Schnitzler. Wie diese trotz der Reichtümer und Glücksmöglichkeiten,
die das Leben vor ihnen ausbreitet, es nicht in ihre Arme nehmen können,
so müssen es jene trotz der Kämpfe und Schmerzen, die es vor ihnen auf¬
türmt, ganz ans Herz drücken. Ihnen ist die Natur das Süßeste und Schönste,
das Erste und das Letzte. Wie Hofmannsthal und Schnitzler am stärksten
aus dem Geist herausleben, leben Hesse und Huch am stärksten aus dem
Gemüt heraus, und wie jene der Kunst am nächsten stehen, stehen diese
dem Leben am nächsten.
Hesses Dichtung ist die Dichtung eines Wanderers. Er gibt sich ganz
der Natur hin, der Mensch kommt ihm erst in zweiter Linie. Er ist ganz
mit ihr verbunden; was sie will, dem fügt er sich, das ist sein Glück. Das
Schicksal tritt dagegen zurück; darum entbehrt seine Dichtung der lauten
Kämpfe, der vielen Menschen, der starken Konflikte. Die romantische Sehn¬
sucht, die auch er kennt, ist keine Sehnsucht nach dem Leben, sondern Sehn¬
sucht nach der Natur, in die er sich ganz einhüllen, versenken, begraben
möchte. Auch er fühlt seine Endlichkeit und Vergänglichkrit, aber nicht
mit Empörung, nicht einmal mit Schmerz. Denn wenn er als Endliches
vergcht, dann geht er im Unendlichen auf, kehrt dorthin zurück, wo er ehe¬
mals war, wohin er heute sich sehnt, und ruht friedlicher als jetzt im Schoß
des geliebter Alls. Von allen Seiten schildert er die Natur; zu jeder ihrer
Erscheinungsformen steht er im Verhältnis der Liebe; nicht bloß dem Wald
und den Wolken weiß er ihre Schönheit abzulauschen, sondern auch den
Elementen, denen er sich geheimnisvoll verbrüdert fühlt.
Seine Helden erfüllt süße Sehnsucht, die nicht nach Befriedigung ver¬
langt. „Wandernd, überall fremd, schwebend zwischen Zeit und Ewigkeit“
ruhen diese schönen Kinder der Neuromantik auf der Erde, während ihr
Wesen doch nicht ganz in der Erde beschlossen ist.
Lebendiger, heißer, stürmender ist Ricarda Huch. Unter den Neu¬
romantikern ist sie die aktivste Natur. Sie hat bitter und heiß gekämpft,
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