VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1909–1912, Seite 14

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ist 32 Seiten stark; verspolten, daß er aus seinen Werken einzelne auffallende be# teligiöse Ideul entschieden ab. Das, was sie bieten, ist alf
eiwas wesentlich anderes als das, was wir für das eigentlich
fremdliche Aussprüche oder Ausdrücke herausreißt! Man
und wahrhaft Künstlerische halten. Ihre Kunst ist entweder rein
selbe eine achtseitige heurteilt einen Dichter aus dem Ganzen heraus und aus
formell, rein artistisch, oder negativ, kritisch, oder spielerisch,
seinen Stärken. Wilhelm von Humboldt hat ganz richtig be¬
frivol.
r Sonntag“.
merkt, daß es sich nur bei mechanischen Dingen umgekehrt ver¬
Es fällt mir nicht ein, die hohen Talente dieser Gruppe zu
hält. Eine eiserne Kette z. B. ist freilich nach ihrem schwächsten
leugnen. Ich anerkenne die große Begabung Hofmanns¬
Glied zu bewerten.
thals, aber ich bedaure, daß er von seinem Standpunkt aus
eton.
Der wirkliche Stand der Wiener Literatur ist nun fol¬
nur kalten Aesthetizismus, blasierter Dandytum, in seiner
gender: Seit ein paar Jahrzehnten stehen sich zwei Schulen,
unzweifelhaft starken „Elektra“ doch nur eine Barbarisierung
Nachdruck erlaubt.
zwei Gruppen gegenüber, beide, wie mich dünkt, an Zahl und
des Griechentums gibt und geben kann. Ich anerkenne die Be¬
Talent nicht unbedeutend, beide äußerst tätig, strebsam, pro¬
Literatur.
gabung Schnitzlers, aher ich bedauere, daß er von
duktiv, aber ganz verschieden in ihren Grundsätzen, in ihren
seinem krankhaft jüdischen Standpunkt aus die ge¬
v. Kralik.
Zielen, in ihrer Methode, in ihren Kunstanschauungen. Es wäre
selligen und künstlerischen Verhältnisse Wiens nur
ist vom Wiener Gemeinderat
sehr oberflächlich, diese beiden Gruppen als die christliche und
in grauenhafter Verzerrung sehen will. Ich bin als Kritiker
I geworden=? Es, ist damit nur
antichristliche, als die arische und als die jüdische, als die
nicht so philiströs, die Unmoral seines „Reigens“ zu rügen, ich
s lngst von Kritikern aus den
klerikale und die liberale in ihrem Gegensatz zu charakterisieren.
bedaure nur den völligen Mangel an Grazie, die ganz un¬
Ut wurde, nicht etwa nur von
Ich möchte am liebsten die eine Gruppe die der Re¬
künstlerische Unzweideutigkeit, die ungefähr dem einfachen
en,“ von „klerikalen“ Kritikern.
generation, die andere die der Dekadenz
Symbolismus von Naturvorgängen entspricht, wie man sie an
Zimmtermann war es, der einst
nennen. Denn die erstere strebt die Wiedergesundung, die
abgelegenen Wänden von Jünglingshand verzeichnet sieht; nur
starken Alzent einer Lyrik ent¬
Erneuerung, die Erhebung der Literatur an in den Bahnen
daß Schnitzlers Gedankenstriche noch einfachere, noch kunstlosere
ofesfor Minor hat als Referent
der klassischen Poesie der Griechen, so heimatlich, so national,
Hieroglyphen sind. Ich anerkenne das Talent Schönherrs,
Eichert zweimal für ein
so volkstümlich, so religiös, so erhebend und so fruchtbar für
das im Zynismus starke und bedeutende Erfolge erzielt; ich ge¬
dies auch erwirkt;
das Leben wie nur möglich. Aber unsere Heimat ist eben nicht
stehe selber die Wirkung, stark zu empfinden, freilich ohne nach¬
nur für „hervorragend
ab
Griechenland, sondern Wien, unser Volk das deutsche, unsere
haltige Freude daran. Vor allem anerkenne ich die große Be¬
Peter Rosegger, auch
Gesellschaft, unser Staat der österreichische, unsere reale, wirk¬
gabung Bahrs, ich halte ihn seiner Anlage nach für einen
garten“ Eicherts Gedichte „Lieder
liche Religion die christliche in konkreter katholischer Gestaltung.
höchst biederen echten Heimatkünstler, der nur leider, zuerst
wie sie in unseren Tagen nur
Wir sind katholisch schon aus ästhetischem Realismus. Der
durch Pariser Einwirkungen und später durch anderes, sich
daher jetzt ein übelwollender
Katholizismus ist uns keine Konfession, keine Partei, sondern die
selber untren wurde. Sein „Franzl“ ist ein köstliches Werk echt
sreißen einiger Verszeilen, durch
selbstverständliche historisch und metaphysisch gegebene Grund¬
oberösterreichischer Heimatkunst. Ich bewundere seine
von Eicherts Werken es versucht,
lage aller notwendigen Weltanschauung. Diesen Prinzipien, die
Prosa, seinen Stil, ich bewundere vor allem seine
Autor nicht kennt, dessen Wert
ich selber für die gedeihlichsten und vernünftigsten halte,
hingebende Förderung heimischer Talente und Regungen; aber
pitze dieser Polemik kaum gegen
schließt sich, außer Eichert, noch Trabert, Hlatky,
ich bedaure, daß all diese Anlagen, wie mir scheint, nicht zu
#tet sein, sondern vielmehr gegen
[Domanig, Seeber, Handel=Mazzetti ent¬
den dauernden Erfolgen führen, die nur eine konsequente
ohl davon abschrecken will, auf
schieden an. Von einigen anderen ausgezeichneten Namen
Selbstzucht verbürgen kann. Bhr selber hat ganz richtig einmal
n will offenbar weiteren Aktionen
möchte ich das gleiche behaupten, habe aber kein Recht, es zu
verkündet, daß auf dem Wege jener modernen dekadenten Kunst
e bisherige Alleinherrschaft eines
verkünden.
eine Tragödie nicht mehr möglich ist, nur das Lustspiel und im
en stark gefährden könnte, einen
Die zweite Gruppe, die der Dekadenz, steht allen oder
weiteren Verfolg das Variété, das Kabarett. Das ist ja der
uliert auf die Unwissenheit, die
doch den meisten Ideen der hohen Kunst feindlich oder gleich¬
Grund, warum jene Gruppe als die der bewußten Dekadenz
spie auch bei uns über den eigent¬
gültig, oder doch ausweichend gegenüber. Konsequenterweise
bezeichnet werden darf.
atur herrscht, man spekuliert nicht
muß sie darauf verzichten, eine Hochkunst etwa im Sinne
Wie gesagt, ich will dieser Gruppe die große Begabung
bei uns allen mehr oder weniger
der Griechen odg des Mittelalters oder der Renaissance zu
nicht absprechen; auch die Bezeichnung „dekadent“ soll durchaus
endenziös“ angesehen zu werden.
bieten. Wenn ihr schon das nationale, das heimatliche, das soziale,
nicht schimpflich gemeint sein. Sie ist ja vor einigen Jahren in
urcht vor rüchsichtsloser Kritik.
nicht ein leichtes, den größten, das patriotische Ideal nicht notwendig erscheint zum Aufbau der
ger bekannten Dichter dadurch zu modernen Kunst, so weisen deren Vertreter vor allem das Frankreich als Ehrentitel von den Vertretern der grundsätzlichen