VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1909–1912, Seite 15

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Dekadeng selber gepragt und angenommen worden. Aber ich
behaupte und kann es auf Verlangen nachweisen,
gut man eben derlei nachweisen kann, daß die Gruppe
der künstlerischen Regeneration weder an Talenten
noch an Werken zurücksteht, weder an Originalität, an Tätigkeit,
noch an Technik, und ich behaupte, daß sie der dekadenten
Gruppe außerdem an Klarheit der Prinzipien, an Höhe des
Standpunktes, an Berechtigung, an Beziehung auf das aktuelle
Leben überlegen ist. Ich sage nicht, daß die Dekadenten, oder
wenn sie sich lieber die Liberalen, die Aestheten, die Anarchisten,
die Japaner, die Voraussetzungslosen nennen wollen — ich
sage nicht, daß sie geradezu die Kultur, den Staat, die Ge¬
sellschaft, das Volkstum, die Ethik vernichten, untergraben
wollen, aber ich bin überzeugt, daß ihre ästhetischen Prinzipien
der Gesellschaft nicht zugute kommen, daß in weiterer Ver¬
folgung dieses Weges doch die Auflösung unserer Kultur und
jeder Kultur liegt. Ich sage anderseits auch nicht, daß wir
andern allein für uns imstande sind, durch unsere mit dem
Leben in Verbindung stehende, aktuelle Lebenskunst den Staat,
die Gesellschaft, die Kultur zu erhalten, beziehungsweise zu
mit den bestehenden Ver¬
regenerieren, da wir
hältnissen auch nicht kritiklos einverstanden zu sein
brauchen. Aber ich behaupte, daß eine öffentliche Kunstpflege, die
nicht nur die Poesie als Erwerbszweig auffaßt, unsere Prin¬
zipien, unsere Ziele stärken, benützen, ausbilden müßte. Ich rufe
durchaus nicht die Polizei gegen die liberale Kunst zu Hilfe.
Im Gegenteil, jene Kunst des bloßen Aesthetizismus, jene Kunst
der Experimente, der Kritik, der Negation, der Skepsis, der
Unterhaltung, des Kabaretts, ja selbst des gewagten Witzes mag
ihre relative Berechtigung haben, wenn sie sich um die hohe
nationale, patriotische, religiöse Kunst herum gruppiert. Ein
Beispiel hiefür ist Aristophanes, der all das in sich vereinigt,
Positives und Negatives, aber alles zur Erhebung des Posi¬
tiven. Er, der zur Rettung Athens die religiöse Kunst des
Aeschylus aus der Unterwelt holt, darf sich auch nebenbei
einige ausgelassene Spässe erlauben.
Also gut! Wir haben diese zwei Gruppen in
der Wiener Literatur. Warum ist nun unsere
Ich
Gruppe weniger „berühmt“ als jene andere.
will die liberalen Zeitungen durchaus nicht der Parteilichkeit
beschuldigen, noch unsere Zeitungen der Lässigkeit, der Inter¬
esselosigkeit. Das macht nicht so viel aus. Die Hauptsache liegt
vielmehr darin, daß den Instinkten der Menge eine Kunst der
Unterhaltung, der Sensation, der Frivolität, des Skandals, der
Paradoxie leichter eingeht, als eine Kunst der Zucht, der Er¬
hebung, des Ernstes, der Strenge. Was sogt Heine vom Ver¬
ständnis der Menge: „Wo wir uns im Kote fanden“ usw.
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Das Publikum dekadiert von selber, die Kultur die Gesellschaft
dekadiert von selber, wenn nicht strenge Führer, Propheten,
Lehrer, Politiker, Reformatoren das Niedersinken durch ge¬
waltiges Eingreifen aufhalten. Ein Autor aber, der allein steht,
der keinen Mäcenas, keinen Perikles, keinen Solon hinter sich
hat, der kann nur Erfolg haben, wenn er mit seinem Publikum
immer mehr herabsteigt. Bahr wird sich hüten, jemals
wieder ein so ausgezeichnetes Stück wie den „Franzl“ zu
schreiben. Denn der „Franzl“ ist ihm gerade deshalb, weil er so
gut ist, durchgefallen wie nichts zweites.
Daraus ergibt sich der Schluß: Hohe Kunst in der Art,
wie sie Eichert übt, kann ohne Unterstützung der öffentlichen
Faktoren nicht gedeihen. Sie kann erheben, sie kann dem Volk
und dem Staat nützen, aber sie kann nicht Geschäfte machen.
Eichert hat kein Geschäft gemacht. Er hat nicht um Lohn ge¬
dichtet, er hat, noch ehe die christlichsoziale Partei Aussicht auf
Erfolg hatte, sein Dichterwort für ihre regenerativen Grundsätze
eingesetzt. Und das hat wesentlich mit zum Siege der Reform
beigetragen. Das hat die ihrer Pflicht bewußten Kreise be¬
geistert, befeuert, vor Mißmut und Kleinmut bewahrt. Er hat
diese Partei ergriffen mit dem Rechte jedes politisch reifen
Mannes. Und der Gemeinderat hat keinen Grund, einen wirklich
bedeutenden und voll anerkannten Dichter deshalb nicht zu
ehren.
Ich hoffe im Gegenteil, daß unsere öffentlichen Faktoren
in Zukunft, dem erhabenen Beispiel aller großen Gesetzgeber und
Regeneratoren folgend, der Pflege der Literatur die größte Be¬
deutung für das staatliche und soziale Leben zubilligen
werden und ihr dieselbe zielbewußte Aufmerksamkeit und
Förderung zuwenden werden, wie sie etwa Lykurg
und Solon dem nationalen Epos, Perikles dem nationalen
Drama, Augustus und Mäcenas der geistigen Restauration des
Römertums durch ihr Mäcenatentum zugewendet haben.
In diesem Sinne eignen wir uns dankbar zwei An¬
regungen der „Arbeiterzeitung“ an, die sehr richtig und treffend
den Vorschlag macht, nicht nur die Stadt Wien, sondern auch
das Land Niederösterreich und außerdem der reiche öster¬
reichische Adel möge sich in gleicher Weise kräftig betätigen.
Die „Arbeiterzeitung“ meint das freilich zum Teil nur im
Spaß, aber ein geistvoller Mann hat einmal gesagt, es gebe
keinen Spaß, aller Spaß habe einen erusten Gehalt. Wir
werden die Sache noch weiter verfolgen, Ene jede Parteilich¬
keit, nur im Interesse der höchsten Blüte unserer Kultur, der
Blüte unseres Volkes, unserer Mutterstadt und unseres Vater¬
landes. Wir verlangen durchaus nichts anderes als die volle
Gerechtigkeit, die reine Sachlichkeit, die rücksichtsloseste, aber
ehrliche Kritik.
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