VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1909–1912, Seite 18

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Herausgeber: Dr. Friedrich Lange.
N 31.
Berlin, den 2. Mai 1909.
lI. Jahrgang.


—.—
Inhalt: Indentum und Literatur. Von Adolf Bartels. — Rechtspflege im Lande der Zuchtlosigkeit. Streiflichter über Haiti. Von
E. Baron Binder=Krieglstein. — Die Schwestern. Novelle von August Meißner. — Anthropologische Rundschau. Von
Dr. Otto Ammon. — Büchereingänge. — Aufgaben.
e
1


Judentum und Literatur.
9
Von Adolf Bartels.
M
In der „Kölnischen Zeitung“ war unter der Ueber=] ordentlich gering. Die Brüder Hart, Bleibtreu, Conrad,
die Führer der Gärung der achtziger Jahre, sind ebenso¬
schrift „Judentum und Literatur“ neulich zu lesen?): „Die
wenig Juden wie die vielbesprochenen Persönlichkeiten
neue Ausgabe der Geschichte der deutschen Literatur von
Sudermanns und Hauptmanns. Ein Typus des Dekadenten¬
Adolf Bartels veranlaßt uns zu einigen Bemerkungen, die
tums wie Otto Erich Hartleben war so wenig Jude, wie
sich von dem ausgeprägten antisemitischen Standpunkt des
es Otto Julius Bierbaum, der Schöpser des Prinzen Kuckuck,
Verfassers herleiten. Wir haben keine Veranlassung, uns
ist, und auch der ausgeprägteste Dekadent Deutschlands,
über diesen Standpunkt, obwohl er das Werk vielfach
Frank Wedekind, ist Christ, ebenso wie die als dekadent
schädigt, besonders zu erhitzen, sondern möchten ihn nur in
anzusehenden Damen Madeleine, Doloroso, Peutler, Gabriele
aller Ruhe auf seine Berechtigung prüfen. Mir beionen¬
Reuter. Nur in allerneuester Zeit hat sich dazu eine öster¬
dabei, daß wir, abgesehen von dieser Tendenz, in den
reichische Jüdin gesellt. München zeigt in seinem ganzen
meisten Fällen mit Adolf Bartels durchaus einverstanden
künstlerischen Leben eine ausgeprägte Neigung zur Dekadenz,
sind, namentlich was die Urteile über die moderne Literatur
zum Radikalismus nach allen Richtungen und zur Bohéme¬
angeht. Sie treffen im einzelnen meistens das unserer
wirtschaft, aber gerade im Münchener geistigen Leben spielt
Meinung nach Richtige, weil sie sich freihalten von dem
das Judentum eine höchst unbedeutende, eigentlich völlig
engen Standpunkt dieser oder jener Clique, und sie treten
verschwindende Rolle. Bartels macht sich seinen Standpunkt
der Sensations= und Reklamewirtschaft ebenso entschieden
doch zu leicht, wenner den „Simplizissimus“ kurzwegals Träger
entgegen, wie wir es seit langem an dieser Stelle tun.
jüdischen Geistes bezeichnet. Die Leitung des „Simplizissimus“
So ist das Werk nach einer wesentlichen Seite wirklich
in Verlag und Redaktion und die wichtigsten Mitarbeiter,
ein vorzüglicher, auf zuverlässigem Urteil beruhender Führer.
die dem „Simplizissimus die eigentliche Prägung geben, sind
Wie er aber schon mit einer nicht zu billigenden Schärfe
keine Jnden, wenn sich auch einige jüdische Mitarbeiter ge¬
sich gegen die Berliner jüdischen Salons im Zeitalter des
legentlich geltend machen mögen. Auch hat der „Simpli¬
jungen Deutschlands stellt und gegen dieses selbst, so
eissimus“ tatsächlich in seiner Haltung, wie radikal er auch
sollen auch die Juden, und nur diese, die Sündenböcke
ist, doch ganz und gar nichts von dem besonderen Gepräge
sein für alle die Schattenseiten in der modernen Literatur,
des jüdischen Witzes und der jüdischen Kritik. Was nun
für den dekadenten Geist und die Reklamewirtschaft
gerade die jüdische Kritik angeht, so ist ja schon oft und sicherlich
mit falschen Genies. Andere besondere Zeitumstände, wie die
nicht mit Unrecht gerügt worden, daß sich da neben Vor¬
Weltstadtentwickelung Berlins, die sozialen Bewegungen, die
zügen arge Schattenseiten offenbaren. Auf diesem Gebiete
Bewegung der Frauenfrage, die modernen naturwissenschaft¬
machen sich gerade auf jüdischer Seite allerdings Sensations¬
lichen Theorien zieht er kaum in Rechnung. Sieht man nun
lust, geräuschvolle Modereklame vielfach geltend und daneben
aber genau zu, wer denn unter den schöpferischen Per¬
ein unangehmer Ton der Gehässigkeit gegen eben nicht in eine
sönlichkeiten der modernen deutschen Literatur eine führende
Moderichtung passende Persönlichkeiten. So mag Bartels
Rolle spielt oder wenigstens zeitweise Aufsehen erregte, so
in dem Sinne nicht ganz unrecht haben, daß durch die
ist die Zahl der Juden, die dabei in Frage kommen, außer¬
allzugeschäftige, ihre Ansichten dem Publikum zudringlich
aufnötigende jüdische Kritik in unserem Geistesleben manche
*) Ich gebe das Citat nach den „Mitteilungen aus dem Verein
zur Abwehr des Antisemitismus“, muß diesen also die Verantwort¬
1 bedenkliche Schiefheiten und Schädlichkeiten entstanden sind,
lichkeit für Vollständigkeit und Richtigkeit überlassen.