VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1909–1912, Seite 19

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2. Cuttings
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in der deutschen Literatur hätten, als sie der Verfasser
aber trotz der starken Betonung der Kritik von jüdischer
von „Judentum und Literatur“ bei uns voraussetzt. Ich
Seite, namentlich in Berlin, hat aber doch nicht die Kritik
will ihm hier von vorne bis hinten und gründlich falgen
die moderne Literatur geschaffen, und was die schaffenden
und zeigen, wie schlecht es um die Begründung seiner An¬
Künstler angeht, mögen diese vielleicht auch zu laut, wie
schauungen bestellt ist, mögen sie auch ganz ehrlich sein.
z. B. Hauptmann, von jüdischen Freunden angepriesen
Zunächst spricht er von meiner nicht zu billigenden
worden sein, so waren es doch überwiegend Christen, und
Schärfe gegen die Berliner Salons im Zeitalter des jungen
manchen unter unsern jüdischen produktiven Schriftstellern,
Deutschlands und gegen dieses selbst. Ich verstehe es natürlich
„wie z. B. den Wiener Schnitzler, möchten wir wahrlich nicht
sehr gut, wenn eine liberale Zeitung für das mit dem Liberalis¬
entbehren. Allein noch etwas ganz anderes, Entscheidenderes
mus intim verbundene junge Deutschland Partei nimmt,
ist gegen den Standpunkt von Vartels einzuwenden, das
glaube aber, daß die scharse Kritik dieser Literaturrühtung,
ist die außerordentliche Bedeutung des jüdischen Publikums
die sich schon bei ihren Zeitgenossen Friedrich Hebbel und
für die deutsche Literatur christlicher Herkunst so
Otto Ludwig findet und später von Heinrich von Treitschle
gut wie jüdischer. Es wäre eine große Täuschung, wenn
wieder ausgenommen worden ist, ihre Berechtigung hat —
man glauben wollte, das rege literarische Leben Berlins
unbedingt verdanken wir dem jungen Dentschland den
sei eine allgemeine, durch die ganze Gesellschaft gehende
oberflächlichen Feuilletonismus und die meisten Schwächen
Erscheinung. Es gibt dort eine große Menge hochstehender,
unseres Zeitungswesens, das hat selbst ein Jude wie Emil
hochbetitelter Persönlichkeiten, denen Theaterpremieren oder
Kuh zugegeben. Aus den Berliner jüdischen Salons im
ein aufsehenerregender Roman höchst gleichgültig sind, und
besonderen ist uns Deutschen wenig Gutes gekommen:
die davon trotz alles Zeitungslärms keine Kunde bekommen.
Schon, daß Friedrich Schlegel, ein von Haus aus be¬
In den Provinzstädten macht sich diese Erscheinung noch
deutender Geist, dann so völlig versumpfte, ist vielleicht mit
viel deutlicher geltend. Wenn nun trotzdem sich seit einer
auf jene Salon=Atmosphäre zurückzuführen, sicher ist aber,
Reihe von Jahren überall das Interesse für das ernste
daß Hebbel recht hat, wenn er in seiner Besprechung des
Schauspiel erheblich gesteigert hat, wenn das früher dem
Schmidt=Weißenfelsschen Rahel=Buches meint: „Es heißt
Deutschen ganz fremd gewesene Kaufen belletristischer Werke
bis ins Lächerliche übertreiben, wenn man die Rahel, deren
mmer mehr zugenommen hat und die Werke beliebter
pikante Begabung niemand bestreitet, zum Zentralpunkt
Autoren zahlreiche Auflagen erleben, so ist das unbestreit¬
alles „schöngeistigen“ Lebens in Berlin, ja in Deutschland
jar nach Beobachtungen jedes im literarischen Leben
erheben und selbst Goethes Stellung auf ihre Bemühungen
tehenden Menschen zunächst dem regen Interesse der jüdischen
zurückführen will, obgleich es vollkommen richtig, aber auch
kreise zu danken, die auch bei allen Gelegenheiten, wie
ebenso bekannt und begreiflich ist, daß er die Anerkennung
Vorträgen literarischer Art, das Hauptkontingent stellen,
seiner olympischen= Ueberlegenheit erst sehr spät, und nicht
ind die intelligente jüdische Jugend ist es gewesen, die im
etwa, wie mancher glauben mag, der ihn jetzt bewundert,
Laufe der Jahre auch die christliche mit fortgerissen hat,
gleich durch den Götz und den Werther errang. Es heißt
so daß wir allerdings, was eine künftige Generation an¬
jedenfalls auch zu weit gehen, wenn man Heinrich Heines
geht, erwarten dürsen, daß das Interesse an der Literatur
Dichterruhm zu einem Topsgewächs des Rahel=Kreises macht,
sich gesellschaftlich immer mehr ausbreiten wird. Die Pionier¬
so unzweiselhaft es auch zu sein scheint, daß die grenzenlose
dienste hat die besondere jüdische Gesellschaft geleistet.
Ueberschätzung dieses Talentes, die so wenig ihm selbst wie
Wenn nun Bartels es als eine unmittelbare Aufgabe der
seinen Zeitgenossen zum Segen gereichte, ven dort ausging.“
deutschen Intelligenz betrachtet, das Judentum von der Literatur
Wir sehen in diesen Dingen ja nun allmählich klar, wissen
zurückzudrängen, so werden sich alle deutschen Dichter und
beispielsweise genau, daß neben der Heine= auch die Börne¬
Schriftsteller eifrig dagegen wehren müssen, daß ihnen der
Ueberschätzung auf den Rahelkreis zurückzuführen ist, und
Ast abgesägt wird, auf dem sie sitzen. Gewiß entstehen da¬
daß da jüdisches Gemeinsamkeitsgefühl sicherlich mitspielt.
durch mancherlei Einseitigkeiten, es leidet die nationale
Wie verwüstend aber Börne und Heine in unserer Literatur
Tiese unserer Literatur, und die Großstadt gibt zu einseitig
und unserem Leben gewirkt haben, das braucht man nach
den Ton an, aber dieses Uebel ist jedenfalls geringer als
Treitschke nun doch wohl nicht mehr des Näheren auszu¬
dasjenige, an dem die deutsche Literalur früher gelitten hat,
daß der Deutsche es überhaupt als eine frevelhafte Ver¬
führen, sieht's von Heine auch noch jeden Tag, wenn
man einen Blick in gewisse Witz= und sozialdemokratische
schwendung betrachtete, ein Buch um einen Preis zu kaufen,
für den man sich eine gute Flasche Wein leisten kann.“
Blätter tut. Das engere junge Deutschland der Gutzkow,
Laube usw. war ja nicht einmal von Haus aus jüdisch,
Soweit die „Kölnische Zeitung". Ich will zunächst
aber wie stark es jüdisch infiziert war, das haben u. a.
meine Genugtnung darüber aussprechen, daß das Blatt,
wieder die Heine=Laube=Briefe gelehrt, die die „Deutsche
das mich gelegentlich meines Heine=Buches als „Vierbank¬
Rundschau“ im verflossenen Jahre veröffentlichte. Ich bin
literaten“ bezeichnete, zu einem würdigen Ton zurückgekehrt
nicht eben ein leichtsinniger Geschichtschreiber, man kann
ist. Irgend welchen Eindruck können seine Ausführungen
immer annehmen, daß ich zureichende Gründe habe, wenn
über Judentum und Literatur freilich nicht auf mich machen,
ich etwas scharf verdamme und, wo etwas nicht klar liegt,
nicht, weil ich bereits zu „verbohrt“ bin, wie man ge¬
vorsichtig vorgehe.
wöhnlich sagt, sondern weil sie äußerst schwach sind und
So bin ich auch weit entfernt, „die Inden, und nur
den wirklichen Verhältnissen, wie sie außer mir auch zahl¬
diese, zu Sündenböcken für alle Schattenseiten in der
reichen anderen Deutschen bekannt sind, sehr wenig ent¬
modernen Literatur, für den dekadenten Geist und die
sprechen. Es stünde traurig um meine und um die nationale
Sache, wenn wir keine gründlicheren Kenntnisse vom Judentum 1 Reklamewirtschaft mit falschen Genies“ zu machen. Band II
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