VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1909–1912, Seite 51

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2. Cuttings
so klingt in der Tragikomödie „Die letzten Masken“ das Leben; zum künstlerischen geworden. „Die metaphysische Glut der sehn¬
eines armen Journalisten aus, der vor seinem Tode im Spital] süchtigen, auf das Ewige gerichteten Einzelseele, die soviel wirrer,
einem Freunde ins Gesicht sagen will, daß er trotz seiner Er¬
gemeinsamen Glauben und Geist getragene, lebt in dieesr Religio¬
folge nur ein niederträchtiger und lächerlicher Geselle war, den
sität, die nicht mehr in der Religion sich erlösen kann, und mündet
seine eigene Frau, von der sich am meisten geliebt wähnte, am
in die Gestaltung.“
meisten verachtete. Wie aber der mit der Sehnsucht des Hasses
In dieser Gestaltung liegt zugleich die Begrenzung der Kunst,
Herbeigewünschte ihm gegenübersitzt, in der Eitelkeit seines Nichts,
denn Formung heißt Entsagung dem Reichtum an Leben gegen¬
gutmütig herablassend, dünkt's dem Sterbenden nicht mehr der
über. Aber Gestaltung, Stilisierung durch den Rhythmus. Wahl
Mühe wert, was will das alles dem Tode gegenüber! Hauptmann
und Ordnung der Worte, ist notwendig, um das Ausdrucksmittel
findet am Sarge des jungen Kramer ein Wort erlösender Liebe,
der Lyrik, das Wort, von seiner Abgebrauchtheit zu reinigen, es
Schnitzler im Angesicht des Todes ein Wort des Verzichts, aber
auf seine ursprüngliche Bedeutung zurückzuführen und wieder zu
dieser Verzicht macht besser, er adelt. Auf die Dauer hat er sich
erhöhen zum Wortsymbol. Nur dieses Eingehen eines letztmöglichen
nicht damit beschieden. 1905 erschien sein Schauspiel „Der Ruf
Verhältnisses der Einzelseele zum Ewigen in die Gestaltung, diese
des Lebens“. Eine Tochter reicht ihrem bösartigen alten Vater,
Steigerung zum Symbol, ist schöpferische Lyrik.
Gewiß, die Grundforderungen der Lyrik sind im gleichen Sinn
der ihr die Jugend vergiftete und sie in greisenhafter Selbstsucht
schon knapper und schlichter ausgesprochen worden. Aber es heißt
vom Leben abschließt, den tötenden Trank. Mord und Buhlschaft
viel, daß Margarete Susman es verstand, den Weg dahin fest und
liegen auf ihrem Wege, aber die Ereignisse werden zu Begriffen,
begrenzend abzustecken, wo ihr das Ziel zu liegen scheint. Es ändert
zu leeren Worten vor der Sehnsucht zu leben trotz aller Schuld
nichts daran, mag man ihrer Anschauung zustimmen oder sie ab¬
und der Gewißheit, daß die Sonne noch scheint. Schnitzler ar¬
weisen, bei ihrer Formulierung des Problems ist für die eigentlich
beitet hier mit Gefühlszusammenhängen, nicht mit logischen Ge¬
„moderne“ Lyrik nur die Lösung möglich, die sie selber gibt: Ab¬
dankenreihen. Das Drama stellt einen elegischen Stimmungs¬
lehnung des Naturalismus, der keine lyrisch schöpferische Künstler¬
dithyrambus dar, keine Konstruktion, und seine ins Poetische ge¬
persönlichkeit hervorzubringen vermag, und Auerkennung der drei
hobene Prosa ist erfüllt von der Weichheit des Frühlings und
führenden Formkünstler der Zeit als der Vollender.
durchleuchtet vom Gold der Sommersonne, ohne daß dabei die
Und es bleibt nur zu bedauern, daß ein Buch, seinem inneren
reale Möglichkeit der Charaktere leidet. Der sterbende Vater der
Aufbau nach dazu geschaffen „das Vorurteil gegen diese Formkunst,
Heldin z. B. in seiner feigen Lebensgier ist grauenhaft echt und
die mancher sich schon gemüßigt sah, mit der zweiten schlesischen
gehört mit zu den besten Typen der modernen Bühne. — Viel
Schule auf eine Stufe zu stellen, zu verstreuen, in einem bei aller
umstritten wurde Schnitzlers 1904 erschienenes Schauspiel „Der
Schönheit sich schwerer erschließenden Stil geschrieben ist, als gut
einsame Weg“. In den Voraussetzungen anfechtbar, verdient es
sein mag, um ihm weitere Kreise zu öffnen.
in seinem Grundgedanken, daß es heiligere Bande gibt als die
Die Vase. Neue Gedichte von Camill Hofmann. Axel Juncker,
Verlag, Berlin=Charlottenburg.
oft nur zufälligen des Blutes, und daß ein Vater keinen Anspruch
Diese Base müßte in einem Zimmer voll Rokokoanmut stehen,
auf Sohnesliebe hat, wenn er weiter nichts tat als diesen Sohn
rosa, blau und silbern, und zärtliche Hände müßten über ihre ver¬
zu zeugen, eine ernsthafte Würdigung. Nebenmotive verdunkeln
letzliche Schönheit wachen. Es sind weiche, getönte Farben, und da
die leitende Idee und beeinträchtigen das Verständnis des von der
ist keine, die eigenwillig und laut sich vordrängen würde. Ein
wehmütigen Scheidestimmung schöner Frühherbsttage durchzitter¬
Lächeln hebt sich aus diesen Gedichten, das nie zum Lachen wird,
ten Dramas, das im Guten und minder Guten eine echte Gabe
aber manchmal verhalten im Spott aufblinkt, ein Traurigsein, das
der eigenartigen Dichterpersönlichkeit Schnitzlers bedeutet, für die
Sehnsucht ist; und all diese Dinge spiegeln sich in Versen, deren
der Mangel an Sensationserfolgen vor dem der dramatischen
grazielle Schönheit in Wort und Ryythmus die Wiener Schule
Historie „Der junge Medardus“ vielleicht am ehrendsten spricht.
verrät. Silbrige, stille Bilder „September“ Schönbrunn“, „Reise“.
stehen in kapriziösen Rokokorahmen, wie Schaukal sie zu forme¬
liebt. „Letzte Zeilen“:
—(D-
Prinzessin Anna Pia geruhte
Moderne deutsche Lyrik.
mir heut diesen Brief zu übersenden:
„Herr! Ich flehe Euch an mit erhobenen Händen##e
mik
Margarete Susman, das Wesen der modernen deutschen Lyrik.
zügelt den Brand in Euerem Blute,
des
Band 9 der Sammlung Kunst und Kultur, Stuttgart, Strecker
denn hört: mein Gemahl
nel¬
und Schröder 1910.
hat Euer Sonett in meiner Schatulle gefunden Sie
Daß die moderne deutsche Lyrik ihre Führer und Vollender:
und will Euch, wenn Ihr, wie täglich,
in George „Hofmannsthal, Rilke hat, daß diese drei viel verrufenen
zu meinen Fenstern kommt in den Abendstunz###end
as der
und wenig gekannten Aestheten die eigentlich schöpferischen Lyriker
O Qual!
auflauern.
der Zeit sind, sofern lyrisch schöpferisch das Durchdringen von
Ich liehe Euch nicht, allein mich dauert unsäg Ver¬
neuer Form mit neuen Inhalten bedeutet, Ausdruck eines zum
Euere Not
Symbol emporwachsenden individuellen Ich in der ihm allein
So. Der Abend ist da, entflammt wie von Küssendia
gemäßen Form, daß diese drei Lyriker keineswegs Aestheten, son¬
Ich kenne mein Schicksal. Süß ist der Tod.
dern höchst lebendig sind in ihrer aus der Zeit bedingten esoteri¬
Mich liebt sie nicht, doch ihn wird sie hassen müsseart
2 dem
schen Kunst, diese versönliche Erkenntnis zur sicheren Folgerung
Camill Hofmann ist kein Neuschöpfer, der bezwingt, Am
aus Grundlage und Entwicklung der deutschen Lyrik werden zu
Widerspruch reizt. Aber er hat das künstlerische Maß, u.
# er¬
lassen, gibt den Weg, den Margarete Susman in ihrem Buch
und Inhalt zur Einheit zu bringen.
genommen hat. Sie geht von der Voraussetzung des mythischen
Die kühlen Wälder. Gedichte von Felix Lorenz. Axel.
Charakters aller Kunst aus, mythisch im Sinne „ewiger Verhält¬
Verlag, Berlin=Charlottenburg.
nisse des Seins.“ Mythisch sind auch die Grundlinien der Reli¬
Eine geschlossene Gestaltung gelingt Felix Lorenz am
gion, die mit der wachsenden Individualisierung der Seele von
wo er sich ohne Prätension als schlichter Nachfahr der Runi¬
ihrer Stellung als Kulturzentrum abgerückt ist und in einer per¬
gibt. Um eine tiesere künstlerische Wirkung zu erzielen, sehn¬
sönlichen, innerlichen Religiosität des Einzlnen die große Sach¬
das letzte Gefühl für Rhythmus und Klang der Worte, unten
lichkeit verloren hat, um länger Ausdruck einer Zeit zu sein. Was
Im
Verse bleiben oft trocken und zerhackt.
sie an tiefstem Gehalt besaß, gab sie an Philosophie und Kunst hin,
In schärfstem Gegensatz zu ihm steht Edgar Byk mit be
und es ist die Lyrik, die am meisten von ihr empfangen hat, die