VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1909–1912, Seite 52

2. Cuttings box 37/4
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„OBSERTER
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burg, Toronto.
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Ausschnitt aus:
vom:
Arthur Schnitzler und Wien. Von Leo Feigl.
Verlag Panl-Ku##tri Wien, 1911. Ich weiß nicht, ob es
Schnitzler gern hört, wentn män ihn den typischen Wiener Dich¬
ter nennt. Vielleicht hört er es zu oft und kommt dadurch zum
Bewußtsein, daß er die Grenzen seiner Kunst zu eng gezogen


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hat und daß es endlich an der Zeit ist, über sich und sein
Milieu emporzuwachsen. Andererseits wiederum drängt es ihn,
gerade über jene Kreise, in denen er selbst wie in einem Brenn¬
spiegel steht, das letzte Wort zu sagen, überjenen—mendäu
Zirkel, der gesellschaftlich einen so größen, kulturell einen so
kleinen Raum einnimmt. Die Aufgabe, den Wiener Roman“
zu schreiben, ist zwar sehr verlockend und erfolgverheißend, aber
der Versuch, das Bild eines vielerlei soziale Schichten um¬
fassenden Gebietes zu zeichnen, ist im Grunde genommen
psychologisch unlösbar. Selbst unter den Händen des größten
Dichters wird das Gesamtschicksal dem Erlebnis des einzelnen
weichen müssen. Der Ausnahmsfall des Georg v. Werghentin
im „Weg ins Freie“ ist ein Musterbeispiel dafür, daß das
Judenprohlem nicht durch einzelne Figuren gelöst werden kann.
Schnitzlers Menschen sind an den Horizont ihres Schöpfers
gebunden: sie sind Halbmenschen, problematische Gesellen, die
immer suchen und grübeln und auf dem Weg zur Tat niemals
zur Tat kommen. Sie sind moderne Hamlets, in bürgerlichem
oder aristokratischem Gewande, voller Neigungen und Talente,
aber es fehlt ihnen die Kraft zur letzten Entscheidung. Es sind
materiell unabhängige, psychisch ewigbewegte Naturen, die sich
vor der Langeweile fürchten und schon auf den geringsten Reiz
temperamentvoll reagieren. Sie spielen Nervosität, ohne nervös
zu sein, beschäftigen sich; ohne einen Beruf zu haben, sind fort¬
während verliebt, ohne zu lieben, aber in alldem sind sie
Meister und darum glaubwürdig. Im Drama allerdings er¬
scheinen sie in einer wesentlich anderen Struktur; sie holen zum
Schlage aus, besinnen sich und gehen mit offenen Augen in
den Tod. Das Wienertum gibt bloß den Hintergrund für ihre
Silhonetten. Ueber Feigls Studie selbst läßt sich nichts sagen:
auf dreißig Seiten gewalkte, im schlechtesten Deutsch servierte
Dr Oskar Rosenfold.
Banalitäten.