VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1909–1912, Seite 54

Mchen ereitnernertene in
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hdruck veröoten.)
größte.
Ich meine, er ist der vortrefflichste Erzähler, der
glänzendste Stilist, der allerschärfste Beobachter physischer und
zu erreichen,
sozusagen nervlicher Zustände und Vorgänge. Aber Seelisches.
sal vielleicht,
feelische Aufwärtsentwickelungen wird man bei ihm nicht
aber dies zu
finden. Man prüfe doch daraufhin Maupassants Dar¬
as Erstlings¬
stellungen der Liebe und seine Frauenporträts. Liebe ist ihm
e der Welt
fast immer nur das sexuelle Moment, und wie ihm das
zu werden.
Sexuelle an sich gar so wesentlich ist, so sieht er in der #
zu verspüren. Auch der Autor des „Anatol“ lächelt — aber, Betrachtung seelischer Zu
mit wenigsten Ausnahmen) die Begehrte oder Begehrende,
ganz anders als Maupassant, immer sehr wehmütig und wie Maupassant durch sei
ie rätselhaft Triebbewegte, die launisch und unberechenbar
manchmal recht bitter. Man hat im allgemeinen viel trachtung des Erotischen
bewährende und Versagende. Er ist unerhört reich in der
zu einseitig auf die ironischen Töne in diesen Szenen ge= rechischen Dichter seine!
zum Ergründen des Psych
Schilderung von physiologischen Verschiedenheiten der Frau —
iber es ist eben immer Physiologie, was er bietet. Hier hat selbst lauscht, hat sein Urteil zu sehr auf die beiden völligen
Zu solchem seelischen
Paul Mahn eine schöne Einwendung gegen Maupassant erSatyrspiele „Abschiedssouper" und „Hochzeitsmorgen“ ba¬
ein anderes zu kommen.
siert. Und doch ist schon reichlich viel Tragik in diesem
erobern, das der Franzo
hoben: „Man findet in seinem Werke keine Gestalt, welche die
Erstlingswerk angehäuft. Anatol ist erfüllt von all
letzte Tiefe und Bedeutung des Geschlechtes ausschöpfte ..
dieser Vergleichung f
dem Lebenssehnen seines jungen Dichters und belastet
Schnitzler gegen den Novck
Nirgends begegnet bei ihm der Typ, dem man auf Tod und
mit all der Grübelei, all dem zerfasernden Beobachten
sich im letzten Grunde
Leben verbunden ist oder gar nicht, dem gegenüber das
des eigenen Selbst und seiner Umgebung, die auf Schnitzler
von muhr novellistischen
bißchen Sinnlichkeit zur Bagatelle wird, dem gegenüber
selber drücken. Anatol ist ein gequälter glückloser Glücksucher,
auch — vielleicht zu Unr
es soviel wichtigere Dinge des Verstehens und Empfindens
der eigentlich bei den einzelnen Frauen, die ihn nicht dauernd
wartsdichtern Maupassan
Aber diese Bemerkungen, di: so ganz den Kern
gibt ..
zu beglücken vermögen, kleine Tragödien erlebt — und diese
Schnitzler zu nennen; des
der Sache treffen, werden paralysiert durch ansechtbarste Lob¬
Trauerspiele sind nur ins Tragikomische abgebogen, weil der
Märchen des Oesterreiche
sprüche, und in solchen Hymnen ist der Biograph nicht
junge Schnitzler noch nicht den Mut seiner eigenen Tragik hat
allem Tagesgetriebe befreh
originell, sondern nur der Mund der Vielen. Einen beson¬
und deshalb in eine Art romantischer Ironie flüchtet, indem
als stecke in diesem viell
deren Ruhm hat sich der glückliche Novellist erworben
er dem Schwärmer Anatol den robusteren kälteren Freund
ein historischer Gestalter.
und nach deutschem Wortgebrauch den Namen eines
Max beigesellt sodann auch, indem er einen Teil seines
wahrhaft die Luft der
Dichters eigentlich erst so recht verdient durch die tragischen
Wesens, das Weiche, Verschleiernde der Wiener Gemütsart,
„Jungen Medardus“,
Novellen, die von der Zerrüttung des Geistes handeln. Hier
in den Vordergrund drängt.
maßen mißlungenen Sch
hat man ja auch, und dazu in der äußersten Verfeinerung, die
Und schon zwei Jahre nach diesem Erstling zeigt es sich
stadt von 1809 mit staun
Maupassantsche Beobachtungs= und Darstellungskunst; und
evident, daß Schnitzler mehr zu geben hat, als die Schilderungs¬
des Lesers. Vielleicht ist
weiter hat man hier, glaubt man hier aus dem Stoffe selber
kunst des Franzosen und die Stimmungskunst des Wieners.
meine den Weg aus der
heraus jenes Seelische zu haben, das der Deutsche nun einmal
Im „Sterben“ findet er zum erstenmal sein mächtigstes,
Weg ins Historische. M
in der Dichtung zu fingen liebt. Doch man betrachte
das Todesmotiv. Einer wird vorwärts gepeitscht von
Strebenden durch ein s#
unbefangen den „Horla“. Der Horla ist das Wahngebilde
der sicheren Nähe des Todes. Das wird nun für die Tragik
ehrendes Vergleichswort
eines Geisteskranken, sein unkörperliches und doch seiendes,
und Größe des Schnitzlerschen Schaffens bestimmend. Er ist
selbständig handelndes, ja herrschendes zweites Ich. Der
Arzt und sieht viele Menschen sterben; der Gedanke an das
Horla kniet in der Nacht auf der Brust des Leidenden, „Er“

Nachher — denn weder Glaube noch Wissenschaft geben ihm
zwingt ihn in der einsamen Villa zu bleiben, Er“ trinkt, wäh¬
zuverlässige Auskunft — erfüllt ihn mit neuen Schauern.
rend der andere schläft, die Wasser= und Milchflaschen leer, „Er“
„Warum reden Sie vom Sterben?“ heißt es im „Einsamen
tritt zwischen den Beschauer und das Spiegelglas, so daß kein
Weg“ und die Antwort lautet: „Gibt es einen anständigen
Spiegelbild sichtbar wird. Den Horla zu vernichten, zündet der
Menschen, der in irgend einer guten Stunde an etwas anderes
Kranke sein Haus an, nachdem er „ihn“ mit vieler List ein¬
denkt?“
gesperrt hat. Dann fällt ihm ein: Wie kann ein wesenloses
Wer so vom immer gegenwärtigen Todesgedanken gepackt
Geschöpf im Feuer Schaden nehmen? Und so wird denn der
ist, für den gibt es kein heiteres und lässiges Erfassen des
Besessene vor dem stärkeren Gegner kapitulieren, wird Hand
Lebens, er muß krampfhaft dem heißesten völligen Lebensgenuß
Das ist die erschütternd meisterhafte
an sich selber legen.
zustreben, dem gänzlichen Erwerb des einzigen ihm sicheren
Darstellung eines halluzinatorischen Wahnes — aber es ist
Besitzes. Schnitzler tut das und sieht sich im wirklichen Ge¬
s4
auch nicht mehr als eben nur dies. Kein ärztlicher Bericht¬
nießen doppelt gehemmt. Aus dieser Aufpeitschung, diesen
erstatter könnte fein Krankheitsprotokoll in so wundervolles
Hemmungen ergibt sich die nicht Wienerische, nicht Mau¬
Sprachgewand kleiden, es so ergreifend gestalten, aber im
passantsche, sondern schlechthin Schnitzlersche Tragik einer
letzten Grunde bleibt Maupassants Novelle doch nur ein Krank¬
Reihe tiefer Schöpfungen, denen jene eingangs genannten
heitsprotokoll. Wohl macht der Dichter eine Anstrengung,
Schlagworte nicht entfernt gerecht werden.
über den Krankheitsbericht herauszukommen; aber sie bleibt
Was den Dichter vom Lebensgenusse fernhält, ist einmal
vergeblich. Ich meine die eingestreute Klage über die Plump¬
dies. Der scheinbar sichere Besitz des Lebens, des bewußt er¬
heit der menschlichen Sinne, den irren Schlußgedanken, der

lebenden Ichs erscheint ihm gar nicht als etwas so unbedingt
Horla könne wohl die nächsthöhere Stufe nach dem Menschen
Sicheres. Schnitzler, der moderne Arzt und Naturforscher,
in der Weltentwickelung bedeuten. Aber worin zeigt sich
hat auch an dem zweifeln gelernt, was einfachere Naturen für
denn dieses höhere“ Wesen? Doch nur in ebenso unsinnigen
sicher hinnehmen. So beunruhigen ihn die Seltsamkeiten der
wie brutalen Daseinsäußerungen, indem es den von ihm Be¬
Hypnose, die einen Menschen zu einer ganz anderen Persön¬
sessenen quält und martert, seine Wasserflasche leert sein
lichkeit machen kann. Und noch merkwürdiger fast als solch
Spiegelbild verdrängt. Und wieder ist Mahns Urteil charak¬
ein hypnotischer Traum erscheint ihm das Träumen im natür¬
teristisch für Maupassants Geltung. Es heißt von dieser
lichen Schlaf. Da werden Schicksale durchlebt, werben
Nichts=als=Krankheitserscheinung: „So wird dies Wahngebilde
Wünsche rege, die dem Wachen durchaus fremd sind. Und wo
zu einer dichterischen Prophetie. Es steht mit dem einen Bein
ist nun wahre Natur, wahres Leben, wo ist die Wahrheit —
in der realistischen Begreifung äußerster Menschenmöglich¬
im Wachen oder Träumen? Und wo ist die Grenze zwischen
keiten drin und fußt doch mit dem anderen mitten im er¬
Traum und Wachen, und welche Weltleitung schafft solche
träumten dichterischen Jenseits. Die der Kausalität ent¬
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Wirrnis, und welch ein seiner selbst unbewußter Spielball in
bundene Gefügigkeit des Wahns mnuß dem Künstler taugen,
fremder Hand ist der einzelne? Gewiß, hier streift Schnitzler
in hohe und liebe Phantasien aller Menschheit hinaus zu deu¬
an das Psychiatrische, als dessen Meister sich Ma passant er¬
.. Maupassant, der unglückliche Mensch, war ein sehr
ten“
wies. Aber wo haupassant nur die Krankheit beschreibt, da
Nu¬
glücklicher Schriftsteller. Zu zen vielen schönen Gaben, die er
schildert Schnitzler das Leiden der im Dunkeln tastenden Seele,
besaß, schenkte ihm die Nachwelt die schönste hinzu; er gilt als
die Qual des Menschen, den so äußerste Unsicherheit an allem
der Meister im Beobachten und Darstellen des Physischen, sie
Auskosten des ersehnten Genusses hindert. Man kann diesen
erhöhte ihn zum Seelenkünder, zum Auswärtsentwickler. —
Unterschied zwischen Schnitzler und Maupassant ganz erkennen,
Dem „österreichischen Maupassant“, dessen künstlerische
wenn man unter dem angegebenen Gesichtspunkt den „Para¬
Laufbahn im Todesjahr des Franzosen begann, ist es nicht so
celsus“ neben den „Horla“ stellt. Dort Seelisches, hier Nerv¬
gut geworden — brauchte es vielleicht nicht so gut zu werden,
liches — sicherlich zwei Kunstwerke, aber nur das Schnitzlersche
weil der Besitzende keiner Geschenke bedarf. Das Beiwort,
ist in letzter Hinsicht mit dem vollen Ehrentitel „Dichtung“ zu
das ihn schmücken soll, erwirbt Arthur Schnitzler sogleich mit
belegen, einem Titel, den der Deutsche, der moderne wie der
seinem Erstlingswerk, der „Anatol“=Suite. Diese Gespräche
unmoderne, doch wohl nur den vom Seelischen handelnden
enthalten die ganze Grazie des Franzosen, sie spielen aufs an¬
Kunstwerken beilegt.
mutigste mit erotischen Themen, sagen alles und bleiben doch
Und das zweite, das sich zwischen Schnitzlers Lebenssehn¬
künstlerisch; auch ihnen eignet vor allem die ganze Schärfe im
süchtige und den Genuß des Lebens drängt, trennt diesen
Auffassen und Wiedergeben der Dinge, auch so verschwimmen¬
Dichter noch entschiedener von Maupassant, macht ihn vielleicht
der wie der Töne und Stimmungen. und später wird sich
zum geringeren Künstler, sicher zum bedeutenderen Dichter.
noch mancher Anklang an Maupassant bei Schnitzler finden.
Schnitzler ist so unfähig zu jedem starken Lebensgenuß weil
Die unerhörte Deutlichkeit des Physischen in „Frau Bertha
ihm alles naive Empfinden, alle Einheitlichkeit im Lieben
Garlan“, wo der Arzt, im „Reigen“ wo d.: hanebüchene
und Hassen versagt ist. Ohne solche kraftvolle Einheitlichkeit
Satiriker das Wort führt, erinnert in ihrer vollendet künst¬
aber, die sich oft genug als Einseitigkeit darstellt, die mit
lerischen Durchführung durchaus an den französischen Meister
ruhiger Sicherheit zwischen Freund und Feind Recht und Un¬
dieses Gebirtes. Aber blickt man tiefer, so steht doch schon der
recht unterscheidet, ist ein kraftvolles Zugreifen eben nicht
„Anatol“=Dichter dem Franzosen meilenfern. Hinter Mau¬
denkbar. Doch gerade aus diesem Mangel erwächst die bohrende
passants erotischen Novellen ist immer ein behugliches Lächeln

e
mnein