VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1909–1912, Seite 55

— aber es ist auch seine
rtrefflichste Erzähler, der
e Beobachter physischer und
Vorgänge. Aber Seelisches,
wird man bei ihm nicht
ufhin Maupassants Dar¬
uenporträts. Liebe ist ihm
oment, und wie ihm das
ist, so sieht er in der ##
zu verspüren. Auch der Autor des „Anatol“ lächelt — aber Betrachtung feelischer Zustände. Man könnte geradezu sagen,
ehrte oder Begehrende,
wie Maupassant durch seine Krankheit immer wieder zur Be¬
ganz anders als Maupassant, immer sehr wehmütig und
fisch und unberechenbar
trachtung des Erotischen geführt werde, so zwinge den öster¬
manchmal recht bitter. Man hat im allgemeinen viel
unerhört reich in der
reichischen Dichter seine seelische Zerrissenheit immer wieder
zu einseitig auf die ironischen Töne in diesen Szenen ge¬
iedenheiten der Frau —
zum Ergründen des Psychischen.
er bietet. Hier hat selbst lauscht, hat sein Urteil zu sehr auf die beiden völligen
Zu solchem seelischen Mehr scheint mir bei Schnitzler noch
Satyrspiele „Abschiedssouper" und „Hochzeitsmorgen“ ba¬
gegen Maupassant er¬
ein anderes zu kommen. Er beginnt allmählich ein Gebiet zu
siert. Und doch ist schon reichlich viel Tragik in diesem
keine Gestalt, welche die
erobern, das der Franzose nie betreten hat. Ich hielt es in
Erstlingswerk angehäuft. Anatol ist erfüllt von all
lechtes ausschöpfte...
dieser Vergleichung für unangebracht, den Dramatiker
dem Lebenssehnen seines jungen Dichters und belastet
dem man auf Tod und
Schnitzler gegen den Novellisten Maupassant auszuspielen, weil
mit all der Grübelei, all dem zerfasernden Beobachten
t, dem gegenüber das
sich im letzten Grunde Schnitzlers Dramen nicht gar so weit
des eigenen Selbst und seiner Umgebung, die auf Schnitzler
von mehr novellistischem Gestalten entfernen. Ich habe es
wird, dem gegenüber
selber drücken. Anatol ist ein gequälter glückloser Glücksucher,
— vielleicht zu Unrecht — unterlassen, neben den Gegen¬
ehens und Empfindens
auch
der eigentlich bei den einzelnen Frauen, die ihn nicht dauernd
wartsdichtern Maupassant und Schnitzler den Märchendichter:
die so ganz den Kern
zu beglücken vermögen, kleine Tragödien erlebt — und diese
Schnitzler zu nennen; denn schließlich findet sich auch in den
durch anfechtbarste Lob¬
Trauerspiele sind nur ins Tragikomische abgebogen, weil der
Märchen des Oesterreichers die freilich groß gesehene und von
der Biograph nicht
junge Schnitzler noch nicht den Mut seiner eigenen Tragik hat
Vielen. Einen beson¬
allem Tagesgetriebe befreite Gegenwart. Aber es scheint doch,
und deshalb in eine Art romantischer Ironie flüchtet, indem
als stecke in diesem vielleicht reichsten Dichter des Heute auch
Novellist erworben
er dem Schwärmer Anatol den robusteren kälteren Freund
ein historischer Gestalter. Man atmet im „Grünen Kakadu“
den Namen eines
Max beigesellt sodann auch, indem er einen Teil seines
wahrhaft die Luft der französischen Revolution, und im
nt durch die tragischen
Wesens, das Weiche, Verschleiernde der Wiener Gemütsart.
„Jungen Medardus“, der als dramatische Ballade einiger¬
Geistes handeln. Hier
in den Vordergrund drängt.
maßen mißlungenen Schöpfung, steht die österreichische Haupt¬
ersten Verfeinerung, die
Und schon zwei Jahre nach diesem Erstling zeigt es sich
stadt von 1809 mit staunenswerter Deutlichkeit vor den Augen
Darstellungskunst; und
evident, daß Schnitzler mehr zu geben hat, als die Schilderungs¬
## Lesers. Vielleicht ist Schnitzlers „Weg ins Freie“ — ich
aus dem Stoffe selber
kunst des Franzosen und die Stimmungskunst des Wieners.
meine den Weg aus der Enge des Allzuindividuellen — der
er Deutsche nun einmal
Im „Sterben“ findet er zum erstenmal sein mächtigstes,
Weg ins Historische. Man sollte sich hüten, diesen rastlos
Doch man betrachte
das Todesmotiv. Einer wird vorwärts gepeitscht von
ist das Wahngebilde
Strebenden durch ein spöttisches Schlag= oder nur scheinbar
der sicheren Nähe des Todes. Das wird nun für die Tragik
hes und doch seiendes,
ehrendes Vergleichswort zu kennzeichnen.
und Größe des Schnitzlerschen Schaffens bestimmend. Er ist
des zweites Ich. Der
Arzt und sieht viele Menschen sterben: der Gedanke an das
ist des Leidenden, „Er“
Nachher — denn weder Glaube noch Wissenschaft geben ihm
eiben, „Er“ trinkt, wäh¬
zuverlässige Auskunft — ersüllt ihn mit neuen Schauern.
Milchflaschen leer, „Er“
„Warum reden Sie vom Sterben?“ heißt es im „Einsamen
Spiegelglas, so daß kein
Weg“ und die Antwort lautet: „Gibt es einen anständigen,
u vernichten, zündet der
Menschen, der in irgend einer guten Stunde an etwas anderes
hn“ mit vieler List ein¬
denkt?“
ie kann ein wesenloses
Wer so vom immer gegenwärtigen Todesgedanken gepackt
Und so wird denn der
ist, für den gibt es kein heiteres und lässiges Erfassen des
apitulieren, wird Hand
rschütternd meisterhafte Lebens, er muß krampfhaft dem heißesten völligen Lebensgenuß
Wahnes — aber es ist zustreben, dem gänzlichen Erwerb des einzigen ihm sicheren
Besitzes. Schnitzler tut das und sieht sich im wirklichen Ge¬
Kein ärztlicher Bericht¬
se
nießen doppelt gehemmt. Aus dieser Aufpeitschung, diesen
oll in so wundervolles
Hemmungen ergibt sich die nicht Wienerische, nicht Mau¬
end gestalten, aber im
passantsche, sondern schlechthin Schnitzlersche Tragik einer
elle doch nur ein Krank¬
hter eine Anstrengung, Reihe tiefer Schöpfungen, denen jene eingangs genannten
kommen; aber sie bleibt Schlagworte nicht entfernt gerecht werden.
Was den Dichter vom Lebensgenusse fernhält, ist einmal
Klage über die Plump¬
dies. Der scheinbar sichere Besitz des Lebens, des bewußt er¬
nSchlußgebanken. d
ufe nach dem Menschen lebenden Ichs erscheint ihm gar nicht als etwas so unbedingt
Sicheres. Schnitzler, der moderne Arzt und Naturforscher,
Aber worin zeigt sich
hat auch an dem zweifeln gelernt, was einfachere Naturen für
ur in ebenso unsinnigen
sicher hinnehmen. So beunruhigen ihn die Seltsamkeiten der
em es den von ihm Be¬
Hypnose, die einen Menschen zu einer ganz anderen Persön¬
Wasserflasche leert sein
lichkeit machen kann. Und noch merkwürdiger fast als solch
st Mahns Urteil charak¬
ein hypnotischer Traum erscheint ihm das Träumen im natür¬
Es heißt von dieser
lichen Schlaf. Da werden Schicksale durchlebt, werden
wird dies Wahngebilde
Wünsche rege, die dem Wachen durchaus fremd sind. Und wo
eht mit dem einen Bein
ist nun wahre Natur, wahres Leben, wo ist die Wahrheit —
rster Menschenmöglich¬
im Wachen oder Träumen? Und wo ist die Grenze zwischen
anderen mitten im er¬
Traum und Wachen, und welche Weltleitung schafft solche
die der Kausalität ent¬
Wirrnis, und welch ein seiner selbst unbewußter Spielball in
ß dem Künstler taugen,
fremder Hand ist der einzelne? Gewiß, hier streift Schnitzler
nschheit hinaus zu deu¬
an das Psychiatrische, als dessen Meister sich Maupassant er¬
Mensch, war ein sehr
wies. Aber wo Maupassaut nur die Krankheit beschreibt, da
nschönen Gaben, die er
schildert Schnitzler das Leiden der im Dunkeln tastenden Seele,
hönste hinzu; er gilt als
die Qual des Menschen, den so äußerste Unsicherheit an allem
ellen des Physischen, sie
Auskosten des ersehnten Genusses hindert. Man kann diesen
ufwärtsentwickler. —
Unterschied zwischen Schnitzler und Maupassant ganz erkennen,
dessen künstlerische
wenn man unter dem angegebenen Gesichtspunkt den „Para¬
n begann, ist es nicht so
celsus“ neben den „Horla“ stellt. Dort Seelisches hier Nerv¬
nicht so gut zu werden,
liches — sicherlich zwei Kunstwerke, aber nur das Schnitzlersche
bedarf. Das Beiwort,
ist in letzter Hinsicht mit dem vollen Ehrentitel „Dichtung“ zu
r Schnitzler sogleich mit
belegen, einem Titel, den der Deutsche, der moderne wie der
Suite. Diese Gespräche
unmoderne, doch wohl nur den vom Seelischen handelnden
sen, sie spielen aufs an¬
Kunstwerken beilegt.
alles und bleiben doch
Und das zweite das sich zwischen Schnitzlers Lebenssehn¬
im die ganze Schärfe im
süchtige und den Genuß des Lebens drängt, trennt diesen
auch so verschwimmen¬
Dichter noch entschiedener von Maupassant, macht ihn vielleicht
Und später wird sich
zum geringeren Künstler, sicher zum bedeutenderen Dichter.
nt bei Schnitzler finden.
Schnitzler ist so unfähig zu jedem starken Lebensgenuß weil
schen in „Frau Bertha
ihm alles naive Empfinden, alle Einheitlichkeit im Lieben
wo der hanebüchene
und Hassen versagt ist. Ohne solche kraftoolle Einheitlichkeit
n ihrer vollendet künst¬
aber, die sich oft genuo als Einseitigkeit darstellt, die mit!
Den französischen Meister
ruhiger Sicherheit zwischen Freund und Feind, Recht und Un¬
fr. so steht doch schon der
recht unterscheidet, ist ein kraftvolles Zugreifen eben nicht
kilenfern. Hinter Mau¬
denkbar. Doch gerade aus diesem Mangel erwächst die bohrende
ein behagliches Lächeln
MKEK WEE