VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 34

2. Guttings
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Hofmannsthal ist der Dichter der Bezüge, Eindrücke, Reaktionen,
der Former des Geformten, der Seher des Gesehenen.
Der Schöpfer, nicht nur der Wegbereiter, ist George. In George
und nur in ihm ist das ursprüngliche Feuer, dort entzündete der Wiener
die Kandelaber, womit er seine schätzereichen, spiegelhellen Säle be¬
leuchtete, während George damit eine ungefüge Erde durchglühen und
fruchtbar lockernd erwärmen mußte. Was George von den Franzosen
lernte, ist handwerkliches, was Hofmannsthal von George empfing, ist
die seelische Substanz selbst, die ihn aus dem geschmackvollsten und
reifsten Epigonen Goethes — der war er noch in Gestern — zum
ersten dichterischen Verbreiter des neuen Geistes machte. Nicht gleich¬
zeitig mit Georges ersten Konzeptionen ist Der Tod des Tizian, Der
Tor und der Tod und die große Lyrik Hofmannsthals geworden, sondern
eingestandenermaßen durch sie entzündet. Hofmannsthals klangliche Süße
darf man freilich bei dem nicht suchen, der nur ein Dröhnen der heiligen
Stimmes ist, auch nicht jene holde Gewohnheit und Gewandtheit des
Umbildens oder Vielgestaltigkeit der Gattungen (dabei muß man nicht
einmal so flach wie Borchardt es tut die Vielseitigkeit einer Kunstübung
mit Fülle des Gehalts verwechseln)...
Ihm (George) gegenüber Hofmannsthal: Herr über die Mittel und
Möglichkeiten, aber an keine gebunden, unverantwortlich schaltend mit
den gelockerten und ausgebreiteten Gütern der Zonen und Zeiten, Seelen
und Kulturen, ein beflügelter Merkur botenlaufend zwischen Himmel,
Erde und Hölle — und nirgends daheim, mit glücklichen Organen alles
herausfühlend was durch ihn schön und schöner werden kann und ihn
selber verschöne, „nichts für sich in der Natur unternehmend, sondern
sich in allen Stücken nur auf bereits Vorhandenes einlassende. So
erklärt Goethe „das Würzhafte gewisser Stauden, die zu den Parasiten
gehören, aus der Steigerung der Säfte, da sie nicht nach dem gewöhn¬
lichen Lauf mit einem roh irdischen, sondern mit einem bereits gebil¬
deten ihren Anfang machens. Niemals festgelegt, stets bereit zur Wahl,
zu =Mischung und Entmischunge, Proteus der Bildung, geschickt sich
in alles zu verwandeln, ohne irgend etwas unentrinnbar zu sein, von
jedem zu nehmen, ohne ihm schuldig zu werden, jedem zu geben, ohne
zu opfern, sich allem und alles sich zuzueignen, an jede Bezauberung
glaubend und jeder Entzauberung gewiß, macht er aus jeder augenblick¬
lichen Not eine dauernde Tugend, saugt wurzellos aus allem Nahrung,
jeder Schönheit und Süße bedürftig und in der Sehnsucht ihrer Spiege¬
lung fähig, im Schweigen nur von der einen Angst geplagt, daß irgend
etwas ihm entgehen könnte, irgendein Reiz ihn nicht träfe, irgendein
Besitz einem andren zufaile, irgendein Wissen ihm verborgen bleibe.
Darum pocht er an allen Pforten, lauert an allen Höhlen, zittert jedem
Schauer nach und flüchtet kainhaft unter dem Fluch des horror vacui,
und lechzt die ganze Außenwelt zu sich heran, begierig nach immer
andren Stoffen, Kleidern, Leibern, Betäubungen, Entzückungen, um nur
nicht allein sein zu müssen mit dem Ich oder zu entdecken, daß da kein
Ich ist. In immer glühenderen Metaphern, gequälteren Fragen, trostloseren
Antworten wandelt er von Gestern bis zum Odipus dies eine Problem
ab: wie werde ich ein All, wenn ich kein Ich bin? -Wir besitzen unser