VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 53

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2. Cuttings
anchmal für den Dichter werden, wenn man ihn epischen Muse Schnitzlers gehören. Das Schicksal ist
vom Standpunkt seines Erstlingswerkes aus be= das uns treibende und beherrschende Rätsel — aber
lt. So ist es ein Irrtum, wenn man Schnitzler
auch alles andere ist uns ein Rätsel, unsere eigene
nach seinem „Anatol“ und seiner „Liebelei“ ein¬
Seele, die Seele der andern, die eigenartigen Ueber¬
t. Der Dichter ist in seinen folgenden Werken
gänge, die es vermögen, zwischen Mensch und Mensch
lange darüber hinausgeschritten; alle Mensch¬
Freund und Freund — und vor allem zwischen
fragen haben ihn bewegt, und er ist manchmal im
Mann und Frau zu treten. Das ist eins der Schnitz¬
nlichen Kampf mit Gegenwartsproblemen so
ler am meisten entsprechenden Probleme, daß uns
gegangen, daß er wie in „Professor Bernhardi“.
alles ein Rätsel ist, nur der Tod nicht. Die beiden
lich ein jedem Liebesmotiv fernes Problem zur
großen Grundfragen, das Rätsel unseres Lebens und
iche kommen läßt.
das Rätsel des Schicksals, wie es in symbolischen
kach einer kurzen, markanten Schilderung des
Worten in der „Dreifachen Warnung“ wiederkehrt,
sganges des Dichters, aus der zu entnehmen
sind die Hauptausgangspunkte von Schnitzlers Welt¬
daß Schnitzler mit 23. Jahren zum Doktor der
anschauung.
zin promovierte, drei Jahre als Sekundärarzt
Der Redner streifte sodann kurz das lyrische Schaf¬
Allgemeinen Krankenhaus zu Wien, dann als
fen Schnitzlers, das im Verlauf des Abends durch
kenzarzt an der Poliklinik und später als prak¬
den Vortrag dreier Gedichte näher illustriert wurde.
rArzt tätig war, ging der Redner in großen
Die eigentliche Domäne Schnitzlers ist neben der
n auf die Werke des Dichters selbst über, die als
Bühne die Novelle. Eine scharfe Trennung dieser
dstimmung Pessimismus und Fatalismus zeigen
beiden Dichtungsgattungen ist in technischer Be¬
durch die Gegenüberstellung zu dem Phäakentum,
ziehung bei Schnitzler nicht vorhanden. Bei man¬
es Beiwort man dem genießerischen Wien ge¬
chen Stücken gefällt sich der Dichter in epischer Breite,
hat, besonders interessante Konflikte und Lö¬
und die meisten seiner Novellen erfreuen sich eines
en hervorriefen.
Kräftigen dramarischen Pulsschlages.
die beiden Pole in Schnitzlers geistiger und räum¬
Der Vortragende versuchte sodann mit viel Ge¬
Welt sind Liebe und Tod, Schein und Wirk¬
schick eine Dreiteilung von Schnitzlers epischem Schaf¬
lit. Wenn mitten in das Leben die dürre Hund
fen zu geben. Anfänglich regt den Arzt und Erlebe
Todes hereingreift, wenn aus dem Schein plötz¬
im Menschen das Interesse für das rein Stoffliche au,
Wirklichkeit wird oder die Wirklichkeit sich zum
dann gewinnt der Psychologe in ihm die Ueberhand.
n wandelt, diese Momente werden der Haupt¬
Er versenkt sich in die geheimen Gründe der mensch¬
u Schnitzlers Motiven.
lichen Seele und versucht, unser innerstes Fühlen zu
ls Dichter Wiens trifft er mit prächtigem und
analysieren, als stünde er in seiner Fähigkeit, uns
tem Kolorit das pulsierende Leben dieser schön¬
Menschen zu begreifen, über menschlich denkbaren
krunkenen und kulturreichen — aber bereits einer
Grenzen, so sehr sogar, daß er, wie in den „Schicksalen
denz entgegengehenden Stadt und schafft durch
des Freiherrn von Leisenbogh“ Motive wählt, die aus
Begenüberstellung zu den ewigen Schicksalsmäch¬
den rätselhaften Zwischenreichen unseres Seelenlebens
wundervolle Reize, die zu dem Schönsten der hervorgeholt sind. Und dann kommt die Zeit, da sich !
alles zu einer Wetsheit klärt, die symbolisch gestallet.
„Die dreifache Warnung“ und „Die Hirtenflöte“ sind
die Ergebnisse dieser dritten Periode.
In interessanter Weise verstand es der Redner zum
Schluß, die Frage zu behandeln, wie bei Schnitzler die
Frau dasteht. Man tut dem Dichter unrecht, in seinen
Frauengestalten nur liebestolle Geschöpfe und lebens¬
hungrige Gesellschaftswesen sehen zu wollen. Frauen,
wie Anna Rosner im „Weg ins Freie“, scheinen ganz
besonders von der Gloriole seiner Zuneigung um¬
geben zu sein. Auch sie lieben, aber ihre Liebe ist eine
große, ewige, schaffende, gebärende, weil nicht die Lust.
sie treibt, sondern das Verlangen nach einem Kind.
Und so wächst gerade Anna Rosner in ihrer wunder¬
vollen Mütterlichkeit turmhoch hinaus über den
Mann, dessen Augenblicksbegehren sie gestreift hat.
Von solchen Gestalten möge man ausgehen, wenn
man Schnitzlers Auffassung von der Frau beurteilen
will.
Der Vortrag wie auch die spätere Verlesung der
mit großer Realistik geschriebenen Novelle „Die Toten
schweigen“, die Herr Dr. Janko mit hervorragendem
Geschick zur Geltung brachte, wurden von der sehr
zahlreichen Zuhörerschaft durch lebhaften Beifall aus¬
gezeichnet. Gleichen Beifall fanden die Rezitationen
von Fräulein Paula Höllfritsch, die die drei
Schnitzlerschen Gedichte: Prolog zum „Anatol“, „An¬
fang vom Ende“ und „Lebewohl“ mit feingeglieder¬
tem Rhythmus und edler Durchgeistigung vortrug.
Mit vollem Recht konnte der Schlußredner des Abends,
Herr Direktor v. Bezold, den beiden Vortragenden
den lebhaften Dank der zahlreichen Versammlung zum
Ausdruck bringen.
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