VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 56

zu¬
den
her
gen
unterstützt, den Triester Italienern ein ähnliches Schicksat, wie
denen in Dalmatien, zu bereiten drohen. Besonders erbittert
sind die Triestiner Italiener seit den jüngsten Vorgängen an der
Handelsschule, wo es zu Tätlichkeiten zwischen italienischen und
slowenischen Studenten kam, die wie alle anderen in letzter Zeit
vorgekommenen Unruhen nach Auffassung der italienischen Liberalen
nur den einen Zweck haben sollen, die Errichtung einer italienischen
Universität in Triest zu verhindern. Als ein Glied in der Kette
der nationalen Provokationen betrachtet man es ganz besonders,
daß seit einiger Zeit bei den slowenischen Festen in Opéina bei
Triest russische Jahnen gehißt werden.
Ebenso traurig und vielleicht noch trauriger als in Triest
sehen die Verhältnisse in Fiume aus. Nominell regiert wohl die—
ungarische Reaierune N. ###1.
ertastet, um sie gleich wieder zu verhüllen. Der Dichtung kommt
es nicht so sehr auf das Räderwerk der Motive, als auf die Be¬
wegung an, die es bewirkt. Und in der Bewegung, in der Er¬
scheinung, in Resultaten das Räderwerk wie durch Schleier ahnen
zu lassen, das ist eben die Kunst der Dichtung.
Was ist für das Verständnis des Hamlet=Problems getan,
wenn eine psychoanalytische Literaturbetrachtung es auf dem Inzest¬
Motiv basiert?! Das Beispiel ist lehrreich: Hamlet fühlt sich zur
Rache für die Ermordung seines Vaters so mächtig angzespornt —
aus einem Gefühl der Neue: er „überkompensiert“ die ## Lehzeiten
seines Vaters empfundenen Haßregungen nun überreieh mn Liebe.
Der Haß gegen den Vater aber wird mit den aus der frühesten
Kindheit herrührenden, „infantilen“ im Heranwachsenden „un¬
bewußt stabilisierten“ erotischen Gefühlen für die Mutter erklärt.
Dieses sehr beliebte Schema der literarischen Psychoanalytiker
wird auch bei Theodor Reik bis zum Überdruß in Schnitzlers
Stücke hineingepreßt. Gewiß, Schnitzler hat das Inzestmotiv be¬
handelt, aber wo er es tat, ist er, bei aller dichterischen Ver¬
arbeitung und Einkleidung, deutlich genug, so daß nicht erst ein
Psychoanalytiker kommen muß, um es uns zu zeigen. Und wo
der normale Leser von einem Inzestmotiv nichts merkt, da wollen
wir nicht, daß der Psychoanalytiker eines herausdeute, selbst wenn
er Recht hätte. Unmöglich kann es im Sinn des Dichters und
der Dich
liegen, immer auf den vagen sexuellen Ursprung, auf
den Keim weisen, der den Vielfältigkeiten menschlichen Fühlens
und Handelns zugrunde liegt. Dies. Methode, immer bis auf
die Sexualzelle zurückzugehen, Leben und Dichtung ins Psycho¬
analytische zu übersetzen, verleidet uns die Dichtung, selbst wenn
der Psychoanalyse eine scharfsinnige Deutung gelingt. (Wie das
Leben, psychoanalytisch betrachtet, wegkommt, liegt außerhalb
der Grenzen dieses Themas).
Wenn ich einen wundervollen Hymnus auf die Sonne lese
und ein Physiker kommt und zeigt mir das Spektrum des licht¬
spendenden Körpers, so bin ich irritiert, so ruse ich: ich will nichts
wissen! Der literarische Seelentiefenforscher aus der Schule Freud
gibt das psychoanalytische Spektrum der Dichtung; sie, deren
höchste Wirkung Synthese heißt!
Wem zum Danke? Dem
Dichter?, der Dichtung?, dem Leser?
Es finden sich in Reiks Buch treffliche Bemerkungen über
das Schaffen des Dichters; besonders in dem Kapitel „Von der
Gerechtigkeit des Dramatikers“ Auf die gelungenen Einzelheiten
sei nicht eingegangen. Denn das Bedeutende, um das es sich hier
handelt, ist der Versuch, die psychoanalytische Methode in die
literarische Betrachtung einzuführen. Bei allem (oft wunderbaren)
p#ychologischen Scharfsinn, bei allen unfreiwilligen Humoren psycho¬
analytischer Kuriosa (wofür ich Beispiele in Hülle geben könnte)
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